Etikettenschwindel Bio-Puten:Hart umkämpfte Branche

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Ein Ökohof hat beim Verkauf von angeblichen Bio-Puten Etikettenschwindel betrieben - nun sollen die Kontrollen verstärkt werden.

Dirk Graalmann

Aus dem Radio dudelt leise Schlagermusik, und wenn einem der Tiere im Stall die seichte Berieselung nicht zusagt, kann es ein wenig mit dem Schnabel an den herumliegenden Lufballons picken. Und ob es einer der Puten, Hühner oder Gänse wirklich gut geht, pendelt die ausgebildete Geflügelwirtschaftsmeisterin Roswitha Franzsander im Zweifel anhand der Federn aus. Mit solchen Bildern bewirbt sich die Franzsander GbR, ein Ökohof im ostwestfälischen Delbrück, den das Ehepaar im Jahr 1994 gründete. "Geflügel o.k - Rendite o.k" lautet der Wahlspruch der familieneigenen Vertriebsfirma Robert's.

Das Bio-Business ist mit seinen zweistelligen Zuwachsraten hart umkämpft. Nicht jedem Produzenten geht es um ökologisch saubere Aufzucht. (Foto: Foto: dpa)

Seit Weihnachten ist nichts mehr in Ordnung. Denn die Franzsanders, die seit dem Jahr 2000 auch das Münchner Oktoberfest mit "Bio-Hendl" versorgen, sind nicht mehr "Bio". Das nordrhein-westfälische Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz hat den Betrieb "mit einem Vermarktungsverbot für Bioprodukte" belegt, der Hof ist gesperrt. Dem Biobauern, so das Landesamt, sei "ein nicht zulässiger Einsatz konventioneller Futtermittel nachgewiesen worden". Auch Bioland, Deutschlands größter Ökoanbauverband mit knapp 5000 Mitgliedern, kündigte die Verträge.

Überfordert oder gierig?

Berthold Franzsander zeigte sich reuig. "Ich habe Fehler gemacht und es tut mir aufrichtig leid", schrieb er seinen Kunden. Er habe den Putenküken im Sommer 2008 konventionelles Futter gegeben, da sie plötzlich die spezielle Futtermischung verweigert hätten. Die Pute, schrieb Franzsander, sei "sehr sensibel, und sobald es zu Problemen kommt, muss man schnell handeln, sonst nehmen sie überhaupt kein Futter mehr auf". Doch die Fragen blieben: Ist das der verzweifelte Versuch eines überforderten Ökobauern? Oder der kalkulierte Betrug eines gierigen Unternehmers, der sich das Bio-Siegel erschwindelt? Und vor allem: Kann der Verbraucher dem Bio-Siegel im Regal noch trauen?

Für Babette Winter vom Landesamt für Verbraucherschutz ist der Fall "der größte Bioschwindel Nordrhein-Westfalens". Es handele sich "definitiv nicht um ein Versehen. Der Betroffene wusste, dass es nicht erlaubt ist." Die Behörde stellte Strafanzeige, die Staatsanwaltschaft Paderborn leitete ein Ermittlungsverfahren wegen Verdacht des Betruges und Verstoßes gegen das Ökolandbaugesetz ein. Gleichwohl sagt auch Winter, "dass man hier nicht von erhöhter krimineller Energie sprechen kann. Aber die ganze Bio-Branche lebt von Vertrauen."

Vertrauen auch darauf, dass ein solcher Etikettenschwindel auffällt. Die zertifizierten Prüfer der privaten Kontrollbehörde Abcert jedoch hatten bei ihrer Routinekontrolle nichts bemerkt. Sie prüfen lediglich die Plausibilität, also ob die Masse der verkauften Produkte in einem stimmigen Verhältnis zu Futtermitteleinsatz und Flächen steht. Franzsander war zuvor nie auffällig geworden. Erst als das Landesamt im November als Prüfbehörde der Futtermittelhersteller bei einem dieser Betriebe in Lieferlisten auf Franzsander stieß, rollte die Lawine an. Am Ende stellten die Prüfer fest, dass Franzsander 2008 rund 960 Tonnen konventionelles Futter eingekauft hatte.

War der Druck so groß?

Die Bio-Branche mit ihren zweistelligen Zuwachsraten ist hart umkämpft und unterliegt zunehmender Konzentration. Franzsander etwa kaufte noch Geflügel von zwölf weiteren Höfen, die er dann zentral über seine Vetriebsfirma Robert's vermarktete. "Es geht nur so", sagte Bioland-Präsident Thomas Dosch der Süddeutschen Zeitung, "mit einem kleinen Hühnerhalter arbeitet kein Händler zusammen". Und Franzsander gehört für Dosch "zu den Pionieren artgerechter Haltung", der "in der Vergangenheit viel geleistet" habe. "Jetzt ist das Vertrauen hin." Dosch weiß um den wunden Punkt der Branche. Man habe aber in diesem Fall, anders als beim so genannten Nitrofen-Skandal 2002, "kontrolliert, festgestellt und reagiert", so Dosch: "Schneller und besser geht es nicht." Nur häufiger.

Zumindest sollen die Kontrollen von komplexen Betrieben nun verdoppelt werden, die Prüfer künftig zweimal im Jahr zu angemeldeten Kontrollen ausrücken, zudem die Stichprobenkontrolle ausgeweitet werden. Franzsander wird das nicht mehr treffen: Er steigt aus dem Bio-Business aus, die Firma Robert's wird von früheren Mitarbeitern unter anderem Namen weitergeführt. Bioland wird sie wieder als Partner aufnehmen, "mit schärferen Auflagen", so Dosch. Es ist aus seiner Sicht vermutlich die bessere Alternative. Denn der Bioland-Präsident weiß auch, "dass schon wieder die Geier kreisen, um sich die Marktanteile zu sichern." Und unter den Greifvögeln sind nicht nur Produzenten, denen es um ökologisch saubere Aufzucht geht.

Bis zur Wiesn zumindest dürfte sich auch ein neuer Bioland-Partner für die Hühner- und Entenbraterei Ammer finden lassen. Damit der Oktoberfest-Besucher auch sicher gehen kann, dass er für 14,80 Euro ein halbes Bio-Hendl kriegt, das in seinem kurzen Leben kein konventionelles Futter gepickt hat.

© SZ vom 23.01.20097/saf/mel - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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