Wenn sich Privatleute an die Börse wagen, bekommen sie es in den vergangenen Jahren häufig mit Hängematten-Strategien, Faulpelz-Depots oder Pantoffel-Portfolien zu tun. Wer sein Geld mit börsengehandelten Indexfonds (ETFs) eins zu eins an den Lauf eines Index heftet, will oft einfach 15, 20 oder 30 Jahre warten, bis sich zum Renteneintritt hoffentlich ein stattliches Vermögen angesammelt hat. Viele Privatleute tasten ihr Depot während der Laufzeit nicht einmal an, sondern lassen das komplette Geld an der Börse arbeiten. Was viele nicht wissen: Selbst in diesem Fall kann das Finanzamt bereits laufend mitkassieren. Gerade kurz nach dem Jahreswechsel müssen Anlegerinnen und Anleger aufpassen.
Warum wird schon während der Anlagelaufzeit eine Steuer fällig?
Manche ETFs zahlen laufende Erträge wie Gewinnausschüttungen oder Zinsen turnusmäßig aus, zum Beispiel quartalsweise. Weil solche Ausschüttungen den Anlegerinnen und Anlegern direkt zufließen, müssen sie natürlich auch direkt versteuert werden – das machen Fondsgesellschaft und Bank im Hintergrund in der Regel geräuschlos. Neben solchen ausschüttenden ETFs gibt es allerdings auch Produkte, die Zinsen und Dividenden nicht auskehren, sondern direkt wieder in den ETF reinvestieren. Der Ansatz: Die Erträge können sich so über die Jahre mitvermehren und dem eigenen Börsenvermögen besonderen Schub geben.
Das Finanzamt will allerdings nicht so lange warten, bis manche Privatleute ihre Erträge auf dem Papier erst nach Jahren oder Jahrzehnten tatsächlich versilbern. Deswegen hat man sich mit der Investmentsteuer-Reform 2018 die sogenannte „Steuer auf die Vorabpauschale“ ausgedacht. Salopp gesagt: eine Art steuerliche Vorauszahlung.
Was genau verbirgt sich hinter dieser Steuer auf die Vorabpauschale?
Einfach gesagt will das Finanzamt schon während der Haltephase von Fonds oder ETFs eine Art Anzahlung auf den späteren Steuerbetrag kassieren. Ist der eigene ETF im laufenden Kalenderjahr gestiegen, berechnen die Finanzbeamten im ersten Schritt darauf einen fiktiven Gewinn, die sogenannte Vorabpauschale. Im zweiten Schritt werden auf diese fiktive Gewinnsumme dann Steuern fällig – also Kapitalertragsteuer, Soli und gegebenenfalls Kirchensteuer.
Wie berechnet sich diese Steuer auf die Vorabpauschale?
Am Beispiel eines Anleihe-ETFs auf einen Index europäischer Staatsanleihen lässt sich das ganz einfach zeigen, viele ETF-Anleger nutzen solche Papiere als Gegengewicht zu Aktien für den Zinsbaustein in ihrem Portfolio. Hat ein Anleger am Jahresanfang 30 000 Euro in einem solchen ETF liegen und steigt das Papier bis Jahresende auf 31 000 Euro, gibt es zumindest auf dem Papier ein Plus. Hat der ETF im entsprechenden Jahr an Wert verloren, fällt auch keine Steuer auf die Vorabpauschale an. Da der Anleihe-ETF im entsprechenden Jahr aber um 1000 Euro gestiegen ist, kann das Finanzamt mitkassieren.
Dazu nimmt das Finanzamt den Eurowert der Anteile am Jahresanfang, multipliziert ihn mit 0,7 und einem Basiszins der Bundesbank, der für das Jahr 2024 bei 2,29 Prozent lag. Summa summarum ergibt sich im konkreten Beispiel eine Vorabpauschale von 480,90 Euro (30ؘ 000 Euro x 0,7 × 0,0229 = 480,90 Euro).
Auf diesen fiktiven Betrag fällt dann im zweiten Schritt die normale Abgeltungsteuer mit Soli an, zusammen also 26,375 Prozent. Unter dem Strich würden also 126,84 Euro als Steuerlast anfallen, mit Kirchensteuer wäre es noch etwas mehr.
Welche Kosten können auf mich zukommen?
Bei einem Depotvolumen von 100 000 Euro ergäbe sich bei einem Anleihe-ETF eine Steuer auf die Vorabpauschale von rund 420 Euro, bei 50 000 Euro Depotvolumen wären es noch rund 210 Euro und bei 10 000 Euro spräche man von rund 40 Euro. An dieser Daumenregel können sich Anlegerinnen und Anleger grob orientieren, wenn sie die Steuerlast überschlagen wollen.
Übrigens: Das Finanzamt kassiert die Anlegerinnen und Anleger natürlich nicht doppelt ab. Verkaufen sie später einmal tatsächlich ihre ETFs, rechnet der Fiskus die bereits gezahlten Steuern auf die Vorabpauschale auf die dann fälligen Steuern an.
Kann ich dabei trotzdem Steuern sparen?
Ja, das geht – und zwar ganz automatisch. Bei vielen ETFs besteuert der Staat nämlich nicht 100 Prozent der fiktiven Erträge, sondern weniger. Einzig Käufer von Anleihe-ETFs haben Pech, sie müssen Steuern auf die komplette Vorabpauschale zahlen. Bei Aktienfonds, die zu mehr als 51 Prozent aus Aktien bestehen, stellt der Staat aber 30 Prozent der Erträge steuerfrei.
Im konkreten Beispiel bedeutet das: Würde sich die volle Vorabpauschale bei einer Aktien-ETF-Anlage von 30 000 Euro eigentlich auf 480,90 Euro belaufen, würde der Fiskus aber statt des vollen Betrags nur 336,63 Euro als Grundlage zur Besteuerung heranziehen – also nur 70 Prozent. Im Effekt würde das Doppel aus Kapitalertragsteuer und Soli auf diesen Betrag dann nicht bei rund 125 Euro liegen, sondern nur rund 90 Euro.
Bei Mischfonds, die mindestens zu 25 Prozent aus Aktien bestehen, stellt der Staat immerhin 15 Prozent frei. Bei offenen Immobilienfonds stellt der Staat 60 Prozent frei, wenn im Fonds mehrheitlich deutsche Immobilien liegen. Hält der Fonds mehrheitlich ausländische Immobilien, stellen die Finanzbeamten sogar 80 Prozent frei.
Muss ich mich selbst um diese Steuerzahlung kümmern?
Nur mittelbar. Die depotführende Bank zieht die Steuer auf die Vorabpauschale üblicherweise am 2. oder 3. Januar vom Verrechnungskonto des eigenen Depots ein – und zwar ganz automatisch. Ein Problem entsteht allerdings, wenn gerade langfristig orientierte Anlegerinnen und Anleger auf diesem Konto gar kein Geld geparkt haben. Dann ziehen manche Banken das Geld trotzdem ein und lassen das Konto in den Dispo rutschen, was unnötig teure Zinsen nach sich ziehen kann.
Führen Kundinnen und Kunden ihr Depot direkt bei einer Fondsgesellschaft, verkaufen die Anbieter teilweise auch eigenmächtig Fondsanteile aus dem Bestand des Kunden, um die Steuer auf die Vorabpauschale begleichen zu können. Wer das vermeiden will, sollte die nötige Vorabpauschale am besten vorher grob überschlagen und Geld auf das Verrechnungskonto des eigenen Depots überweisen.
Alternativ können Anlegerinnen und Anleger auch ihren Freistellungsauftrag nutzen. Bis zu 1000 Euro an Kapitalerträgen lassen sich bei Ledigen pro Person und Jahr schließlich steuerfrei kassieren, bei Eheleuten und eingetragenen Lebenspartnern sind es zusammen 2000 Euro. Erteilen Privatleute der depotführenden Bank einen solchen Freistellungsauftrag, kann sie damit direkt zu Jahresbeginn die Vorabpauschale abdecken.