Süddeutsche Zeitung

Geldanlage:Roboter sind auch nur Menschen

Robo Advisors investieren das Geld der Kunden automatisch über Algorithmen - und sie sind gerade sehr erfolgreich. Doch beim Crash im Februar verzeichneten die Finanzroboter starke Einbrüche.

Von Harald Freiberger

Roboter gehören bei der Geldanlage zu den großen Gewinnern der vergangenen Jahre. Sie arbeiten automatisch, lassen sich nicht von Emotionen leiten, dazu sind sie viel günstiger als Banken, Fondsgesellschaften oder Vermögensverwalter. Mit diesen Versprechen haben Finanzroboter, auch Robo Advisors genannt, seit 2014 immer mehr Zulauf bekommen. Inzwischen gibt es in Deutschland mehr als 20 Robo Advisors. Es sind Fintech-Neugründungen wie Scalable Capital, Ginmon, Fintego oder Vaamo, andere heißen Cominvest (dahinter steht die Commerzbank), Quirion (Quirin-Bank) oder Visualvest (Union Investment).

Erfolgreich sind die Robo Advisors auch deshalb, weil es in den vergangenen Jahren mit Aktien fast nur aufwärts ging. Ihr Geschäftsmodell besteht darin, zunächst zu ermitteln, wie viel Risiko ein Anleger tragen kann und daraus abzuleiten, welcher Teil des Geldes in den riskanteren Aktienmarkt fließen kann, der langfristig aber mehr Rendite abwirft. Die Aktienquote liegt dann, je nach Risikoneigung, in der Regel zwischen 20 und 80 Prozent.

Skeptiker der Finanzroboter wiesen immer darauf hin, dass es zuletzt keine große Kunst war, in Aktien zu investieren. Was die Modelle der Robo-Advisors wirklich taugten, werde sich erst zeigen, wenn es einmal zu einem Einbruch komme.

Diesen Crash hat es inzwischen gegeben. Anfang Februar verloren wichtige Indizes wie der Dow Jones in den USA oder der Dax in Deutschland binnen weniger Tage etwa zehn Prozent. Seitdem schwanken Aktien mit hohen Ausschlägen hin und her. Die Nervosität ist zurück, nach einem extrem ruhigen Jahr 2017, in dem es unaufhaltsam nach oben ging. Im Börsenjargon heißen solch starke Schwankungen Volatilität, und diese spielt auch für manchen Robo Advisor eine wichtige Rolle.

Das Internetportal www.brokervergleich.de ermittelte, wie die Finanzroboter unter dem Einbruch litten. Es hat bei allen Robo Advisors echtes Geld angelegt. Dabei investiert es jeweils in ein Portfolio mit mittlerer Risikogewichtung. Von 24. Januar bis 9. Februar fiel der Dax um 10,7 Prozent. Fünf von acht untersuchten Robo Advisors verloren im selben Zeitraum vier bis fünf Prozent (Quirion, Sutor Bank, Fintego, Vaamo, Easyfolio), zwei verloren fünf bis sechs Prozent (Whitebox und Ginmon), einer verlor 8,2 Prozent: Scalable Capital.

Marktführer Scalable verwaltet inzwischen mehr als eine Milliarde Euro

Die Ergebnisse sind wenig überraschend. Wenn der gesamte Aktienmarkt um zehn Prozent fällt, ergibt sich bei einer Aktienquote von 50 Prozent ein rechnerisches Minus von fünf Prozent. Auffällig ist aber, dass gerade der Marktführer Scalable mit gut acht Prozent Verlust deutlich nach unten ausreißt. Er verwaltet inzwischen eine Milliarde Euro Kundengeld, wie er am Montag mitteilte. Etwa die Hälfte davon brachte ihm die Kooperation mit der Direktbank ING-Diba ein. Damit dominiert Sacalable den Markt für Robo Advisor in Deutschland mit großem Abstand.

Der Konkurrenz aus der Fondsbranche und von anderen Robo Advisors ist dieser Erfolg nicht geheuer. Und so gibt es zunehmend Kritik am Risikomodell von Scalable. Das Münchner Institut für Vermögensaufbau, ein Dienstleister für die Fondsbranche, hat den Februar-Crash auf dem Aktienmarkt zum Anlass genommen, die Anlagestrategien der Robo Advisors zu untersuchen. "Es zeigt sich dabei, dass auch sie das Grundproblem bei der Geldanlage nicht lösen können", sagt Institutsleiter Andreas Beck. Es ist der Traum aller Aktien-Anleger, dann einzusteigen, wenn die Kurse unten sind und auszusteigen, wenn sie oben sind. Doch in der Praxis läuft es oft gerade umgekehrt. Ein Wunderrezept für den richtigen Einstiegszeitpunkt hat noch niemand gefunden. "Dieses Grundproblem wartet auch nach der Erfindung der Robo Advisors auf eine Lösung", sagt Beck.

Dass Scalable beim Februar-Crash höhere Verluste hatte als andere, liegt an seinem Risikomodell. Andere Robo Advisors wenden das sogenannte Rebalancing an, das regelmäßige Anpassen der Aktienquote an den ursprünglich vorgesehenen Wert. Es funktioniert so: Bei einem Anleger mit mittlerer Risikoneigung soll die Aktienquote bei 50 Prozent liegen, die anderen 50 Prozent fließen in risikoärmere Anlageklassen, meist Anleihen. Steigt der Aktienmarkt nun um 20 Prozent, hat der Anleger einen höheren Aktienanteil in seinem Depot, nämlich 60 Prozent. Deshalb werden zu einem vorher festgelegten Zeitpunkt, zum Beispiel einmal im Jahr, Aktien verkauft, um wieder auf eine Quote von 50 Prozent zu kommen. Dies ist ein bewährtes Instrument in der Fondsbranche, um Risiken zu begrenzen. Es wirkt auch gegen die psychologische Falle, in die Privatanleger oft laufen: Sie kaufen bei hohen Kursen und verkaufen bei niedrigen. Beim Rebalancing läuft es genau umgekehrt.

Scalable vertraut dagegen auf ein anderes Risikomodell. Es richtet sich nach dem sogenannten Value at Risk (VaR), einer Risikokennziffer. Ein VaR von 20 bedeutet zum Beispiel, dass das angelegte Geld mit einer Wahrscheinlichkeit von 95 Prozent binnen eines Jahres nicht um mehr als 20 Prozent fällt. Errechnet wird dies aus den Schwankungen der Märkte in den Wochen davor, also der Volatilität. Ist diese gering, ist nach diesem Modell auch die Wahrscheinlichkeit starker Kurseinbrüche gering. Deshalb hat Scalable die Aktienquote 2017 erhöht, als die Volatilität niedrig war. In einem Portfolio mit VaR 20, also mittlerer Risikoneigung, betrug die Aktienquote Anfang des Jahres 80 Prozent. Und deshalb waren die Scalable-Depots stärker vom Einbruch betroffen als jene anderer Robo Advisors, bei denen die Quote in der Regel bei 50 Prozent festgezurrt ist.

Scalable selbst sieht darin kein Problem. "Man darf nicht Äpfel mit Birnen vergleichen", sagt Erik Podzuweit, einer der Gründer des Marktführers. Ein Vergleichszeitraum von zwei Wochen sei viel zu kurz und willkürlich, um valide Aussagen zu treffen zu können, zumal man am Aktienmarkt langfristig investieren solle. Die Berechnungen von Scalable zeigten, dass das eigene Risikomodell gegenüber dem Rebalancing langfristig in der Mehrheit der Fälle besser abschneidet. Das gelte insbesondere für lang anhaltende Einbrüche am Aktienmarkt wie nach 2000 und 2008.

Das Risikomodell von Scalable reagierte laut Podzuweit auch auf den Einbruch vom Februar, sobald sich der Markt auf ein höheres Risikoniveau eingependelt hatte: Die Aktienquote bei Portfolios mit einem VaR von 20 wurde von 80 auf mittlerweile 50 Prozent gesenkt. Auch der Unterschied bei der Rendite gegenüber anderen Robo Advisors sei inzwischen deutlich geringer als in den untersuchten zwei Wochen. Podzuweit ist weiter überzeugt, dass sein Risikomodell dem Rebalancing überlegen ist. Dies belegten auch zahlreiche Studien.

Das Institut für Vermögensaufbau hat, inspiriert durch den Einbruch im Februar, ebenfalls eine Studie gemacht: Es wählte aus dem Dax-Verlauf der vergangenen 60 Jahre zufällig 100 000 Zeitintervalle von einem, drei oder zehn Jahren aus und maß die Wertentwicklung von zwei Modellen: einem Rebalancing-Modell und einem anderen, das sich an der Volatilität orientiert wie Scalable. Das Ergebnis: Auf Sicht von einem Jahr sind die Resultate der beiden Strategien noch relativ ähnlich. Bei zehn Jahren Haltedauer ist das Rebalancing-Modell jedoch deutlich besser. Das Risiko, mehr als zehn Prozent zu verlieren, kommt dabei zum Beispiel nicht mehr vor - beim Volatilitäts-Modell dagegen schon.

Welches Risikomodell ist besser? Das hängt davon ab, ob Einbrüche künftig kurz oder lang anhalten

Beck interpretiert das Ergebnis so, dass kleinere, plötzliche Markteinbrüche - so wie Anfang des Jahres - für die Steuerung über Volatilität ein Risiko sind, da sie sich summieren können. Dauere eine Krise lange, könne sich dieses Modell aber darauf einstellen und die Aktienquote senken. "Ob Krisen in Zukunft eher kurz und heftig oder lang gezogen und nachhaltig sind, weiß aber niemand", sagt Beck. Deshalb könne man auch nicht sagen, dass die Steuerung über Volatilität dem Rebalancing überlegen sei.

Auch Stefan May, Finanz-Professor an der Hochschule Ingolstadt, ist überzeugt, dass es keinen linearen Zusammenhang zwischen Kursschwankungen und der Entwicklung der Märkte gibt. "Es steht zwar fest, dass sich die Märkte in Phasen mit hoher Volatilität wahrscheinlich auch in Zukunft stark bewegen", sagt er. Das Problem sei aber, dass man nicht wisse, in welche Richtung. Sie könnten genauso gut steigen wie fallen. Es gebe keine Studie, die beweise, dass sich durch den Versuch eines richtigen Timings am Aktienmarkt systematisch Wertschöpfung erzielen lasse.

"Es beunruhigt mich, wenn Investoren suggeriert wird, dass man Rendite ernten kann, ohne Risiken einzugehen", sagt May, der auch den Robo Advisor Quirion berät. Man werbe Kunden mit dem Argument, dass man aus dem Markt rausgehe, bevor es zu Verlusten komme. In der Realität könne das aber niemand timen, wie auch der Einbruch vom Februar gezeigt habe. May ist davon überzeugt, dass es sich um ein systemimmanentes Risiko handelt, Scalable-Kunden könnten noch öfter negative Erfahrungen machen. Er glaubt, dass der Robo Advisor der Aktienkultur in Deutschland damit "einen Bärendienst erweist".

Für Institutsleiter Beck beweist der Crash vom Jahresanfang, dass Robo Advisor das Rad nicht neu erfunden haben. "Sie haben dieselben Probleme wie die Fondsbranche auch, nämlich dass man Risiko und Chance nie voneinander trennen kann", sagt er. Beck sieht Robo Advisors lediglich als neuen Vertriebsweg - der aber deutlich günstiger sei als traditionelle und deshalb seine Berechtigung habe.

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Quelle:
SZ vom 29.05.2018
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