Süddeutsche Zeitung

Indexfonds:Passiv in jeder Beziehung

ETFs können nur deshalb so günstig sein, weil sie nichts in die Kontrolle von Unternehmen investieren. Das muss sich ändern.

Von Harald Freiberger

Es ist selten, dass man im Leben Dinge findet, die eigentlich nur Vorteile haben. ETFs scheinen so ein Ding zu sein, eine Art Wundermittel der Finanzmärkte. Die Fonds, die Aktienindizes wie den weltweiten MSCI World mit 1600 Unternehmen eins zu eins nachbilden, haben die Geldanlage in den vergangenen Jahren revolutioniert. Sie ermöglichen es auch normalen Anlegern, zu geringen Kosten und breit gestreut in die Kapitalmärkte zu investieren. Die Börsen boomen seit mehr als zehn Jahren, während die Zinsen bei null liegen. ETFs sind das ideale Produkt, um die breite Bevölkerung an diesem Boom teilhaben zu lassen.

Jüngste Zahlen belegen, dass auch die Deutschen sich zunehmend von diesen Vorteilen überzeugen lassen. Inzwischen haben sie 67 Milliarden Euro in ETFs angelegt, und sie besparen drei Millionen ETF-Sparpläne mit meist monatlichen Raten. Solange die Börsen immer weiter steigen, sind alle zufrieden.

Bei so vielen Vorteilen fragt man sich, ob ETFs denn gar keine Nachteile haben. Bisher stellten sich diese Frage fast nur Ökonomen und Kapitalmarktforscher. Sie diskutierten darüber, welche Folgen die immer stärkere Ausbreitung der Indexprodukte für die Kontrolle der Unternehmen und für die Preisfindung an der Börse haben. Solche Diskussionen wirkten bisher theoretisch und abstrakt. Doch je mächtiger ETFs werden, umso mehr treten ihre negativen Begleiterscheinungen in den Vordergrund. Die Anbieter der Produkte müssen diese Fragen ernst nehmen und bald Antworten darauf finden.

Deutlich wurde dies vor vier Wochen bei der geplanten Übernahme des Wohnungsbaukonzerns Deutsche Wohnen durch den Konkurrenten Vonovia. Dieser erreichte die erforderliche Quote von Aktionären nicht und führte das unter anderem darauf zurück, dass ETFs schon 20 Prozent der Deutsche-Wohnen-Aktien halten. Da ETFs von ihrer Konstruktion her nur Aktien kaufen und verkaufen dürfen, wenn sich ein Index verändert, konnten sie ihre Haltung zur geplanten Übernahme gar nicht kundtun.

Das wirft ein Licht auf ein Problem, das immer größer zu werden droht, je höher der Anteil von ETFs an Unternehmen wird: Ihre Anbieter bilden nur den Index nach, sie haben keine Haltung zu den Aktien im Index, sie analysieren und kontrollieren nicht, wie gut oder schlecht die Unternehmen geführt werden, ob sie ökologische und soziale Kriterien einhalten, sie geben keine Einschätzungen ab und tragen nichts zur Preisfindung bei. All diese für das Funktionieren der Börse wichtigen Funktionen überlassen ETFs den Managern aktiver Fonds. Sie sind passiv in jeder Beziehung.

ETF-Anbieter müssen selbst mehr in die Analyse der Unternehmen investieren

Das ist kein triviales Problem, weil es an den Kern der Aktionärsdemokratie rührt. Unternehmen, die an der Börse notiert sind, lassen sich von der Allgemeinheit finanzieren. An sie werden besondere Transparenz-Anforderungen gestellt, da die Anleger wissen müssen, in was sie da investieren. Gleichzeitig müssen die Eigentümer die Unternehmen kontrollieren und ihr Veto einlegen können, wenn sie aus ihrer Sicht falsch handeln.

Diese Kontrollpflicht ist sogar durch eine EU-Richtlinie vorgeschrieben, die Deutschland im Aktiengesetz umgesetzt hat. Fondsgesellschaften, die Unternehmen im Namen ihrer Anleger nicht ausreichend überwachen, machen sich also strafbar. Zwar beteuern ETF-Anbieter, dass sie ihr Stimmrecht auf Hauptversammlungen sehr wohl ausüben. Doch es darf bezweifelt werden, dass sie ausreichend ökonomische Mittel in die Analyse stecken. Schließlich ist es ihr Versprechen an die Kunden, günstig zu sein, nicht die Unternehmen zu kontrollieren.

Es gibt nur einen Ausweg aus dem Dilemma: ETF-Anbieter müssen selbst mehr in die Analyse der Unternehmen investieren, sie können diese Arbeit nicht allein aktiven Fondsmanagern überlassen. Es gibt keine gute Unternehmenskontrolle zum Nulltarif. Der Nachteil für die ETF-Anbieter wird es sein, dass sie ihre Produkte dann teurer machen müssen. Doch das sollte es ihnen wert sein und auch ihren Kunden. Unternehmen wie VW oder Wirecard, die zu wenig kontrolliert wurden, haben zuletzt viel Schaden angerichtet - für die Anleger und für die gesamte Gesellschaft.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5386062
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.