Estland:Die Euro-Stars aus Tallinn

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Europa droht in Schulden zu ersticken, ein Land nach dem nächsten gerät ins Visier der Ratingagenturen. Doch es gibt auch Musterschüler wie Estland. Die Euro-Stars aus Tallinn haben kaum Schulden und bekommen beste Bewertungen. Profilieren wollen sich die Balten vor allem als Elektronikstandort - eine Internetrevolution hat das Land schon hervorgebracht.

Matthias Kolb

Toomas Hendrik Ilves liebt Vergleiche. In den Augen des estnischen Präsidenten befindet sich sein Land in einer ähnlichen Position wie ein Hochschulabsolvent: "Es fühlt sich toll an, keine Prüfungen mehr ablegen zu müssen, doch man fragt sich, wie es im Leben weitergeht."

Estland wird neues Mitglied der Eurozone

Blick über die Altstadt von Tallinn, der Hauptstadt von Estland.

(Foto: dpa)

Im Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung spielt Ilves auf den 1. Januar 2011 an: Als 17. Land führte Estland den Euro ein, was nicht nur an der Ostsee als Ritterschlag gesehen wird. Den Beitritt zu EU und Nato hatte die einstige Sowjetrepublik schon 2004 vollzogen.

Stolz erwähnt der Präsident, dass derzeit neben Estland nur Luxemburg die Maastricht-Kriterien erfüllt, die ein jährliches Defizit von höchstens drei Prozent der Wirtschaftsleistung erlauben. Europa erlebe tiefgreifende Veränderungen, diagnostiziert der 57-Jährige, der einst für Radio Free Europe gearbeitet hat: Die Aufteilung in Ost und West sei überholt, die Achse habe sich um 90 Grad gedreht: "Die Trennlinie verläuft heute zwischen Nord und Süd."

Ilves lässt keinen Zweifel daran, dass Tallinn Rettungspakete für verschuldete Euro-Staaten mittragen werde - auch wenn die Mehrheit der 1,4 Millionen Esten dies in Umfragen ablehnt. Die Elite des Landes setzt auf Europa und sieht sich dabei wirtschaftlich an der Seite von Deutschland, den Niederlanden und den skandinavischen Staaten.

Im ersten Quartal 2011 verzeichnete Estland mit 8,5 Prozent das höchste Wachstum aller EU-Staaten; auch die 4,4 Prozent für das Jahr 2010 waren dreimal so viel wie der Euro-Staaten-Durchschnitt. Die Gesamtstaatsverschuldung liegt weiterhin bei sagenhaften 6,6 Prozent - Deutschland beispielsweise wird im laufenden Jahr auf 80 Prozent kommen. Die Arbeitslosenquote ist 2010 nirgendwo in der Euro-Zone so stark gesunken wie in Estland.

Der estnische Erfolg ist auch im Baltikum eine Ausnahmeerscheinung: Den Nachbarn Lettland bewahrte nur ein Milliardenkredit der EU und des Internationalen Währungsfonds vor der Pleite. Estland profitiert von einer weitsichtigen Fiskalpolitik, die von keiner Partei in Frage gestellt wurde: In den Boomjahren zwischen 2000 und 2007 erreichten die Wachstumsraten zweistellige Werte. Die Überschüsse wurden in einen Stabilisierungsfonds eingezahlt, der ein Neuntel des Bruttoinlandsprodukts beträgt.

Da der Bankensektor von skandinavischen Instituten kontrolliert wird, musste die Regierung kein Geldhaus retten. Trotzdem schwenkte Premierminister Andrus Ansip nach der Wirtschaftskrise auf einen strikten Sparkurs ein, erhöhte Steuern, kürzte Beamtengehälter um ein Zehntel. Das war politisch umstritten, die Regierung setzte sich aber durch. Jetzt fährt sie den Lohn ein: Den "außergewöhnlich starken Zustand" der öffentlichen Finanzen nannte die Ratingagentur Fitch als wichtigen Grund für die Anhebung der Kreditwürdigkeit auf "A+".

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