Spieltheorie:So verstehen Sie Donald Trump

Spieltheorie: Drohen, beschwichtigen, twittern. Der Präsident sieht Handel nicht als Veranstaltung zum gegenseitigen Nutzen, sondern als Nullsummenspiel - was des einen Gewinn, ist des anderen Verlust.

Drohen, beschwichtigen, twittern. Der Präsident sieht Handel nicht als Veranstaltung zum gegenseitigen Nutzen, sondern als Nullsummenspiel - was des einen Gewinn, ist des anderen Verlust.

(Foto: AFP)

Für den US-Präsidenten ist derjenige, der zuerst nachgibt, ein Feigling. Die Spieltheorie kann helfen, diese Haltung endlich zu entschlüsseln. Doch selbst dann muss die EU mitspielen.

Essay von Nikolaus Piper

Alles wie gehabt. Zwar hat Donald Trump am 1. Mai nicht, wie befürchtet, für Europäer, Kanadier und Mexikaner die Ausnahmen von den Strafzöllen auf Stahl und Aluminium auslaufen lassen. Aber der Präsident verzichtete auch nicht dauerhaft auf die Strafmaßnahmen, sondern verschob die Deadline lediglich auf den 1. Juni. In der Zwischenzeit geht das gewohnte Spiel weiter: drohen, beschwichtigen, twittern. Der Präsident sieht Handel nicht als Veranstaltung zum gegenseitigen Nutzen, sondern als Nullsummenspiel - was des einen Gewinn, ist des anderen Verlust. Gerade verlangte er von der Volksrepublik China, deren Überschuss im Handel mit den USA um 200 Milliarden Dollar abzubauen.

Für Ökonomen ist dies die Stunde der Spieltheorie. Diese Theorie an der Grenze von Ökonomie und Mathematik versucht, in Modellen zu analysieren, wie Menschen in Konfliktsituationen entscheiden. Sie passt zu einer Weltwirtschaft, die konfliktreicher und unberechenbarer geworden ist. Hoffte man in den Neunzigerjahren, als der Kalte Krieg vorbei war und die Welthandelsorganisation (WTO) gegründet wurde, auf einen friedlichen, regelgebundenen Welthandel, so ist heute ein Handelskrieg, wenn nicht gar ein Wirtschaftskrieg wieder denkbar.

Das stellt sicher Geglaubtes infrage. Zwar gibt es nicht den geringsten Grund, die alte Überzeugung aufzugeben, wonach freier Handel in der Summe allen nützt. Aber Trump und andere Populisten auf der Welt zeigen, dass es möglich ist, bei Wahlen tatsächliche und vermeintliche Verlierer der Globalisierung zu mobilisieren. Deren Erwartungen versucht man dann durch aggressive Sprache und gezielten Protektionismus ("America First") zu erfüllen.

Die Spieltheorie versucht, Konflikte mit Parabeln anschaulich zu machen. Zum Beispiel das berühmte Gefangenendilemma: Nach einem Raubüberfall werden zwei Verdächtige gefasst. Der Staatsanwalt bietet einen Deal an: Wenn du aussagst, kommst du als Kronzeuge frei, dein Komplize geht für zehn Jahre ins Gefängnis. Am besten wäre es, wenn beide schwiegen, dann müssten sie, weil Beweise fehlen, nur für ein Jahr in Haft wegen unerlaubten Waffenbesitzes. Da sie aber nicht wissen, wie der andere handelt, werden beide gestehen und fünf Jahre Haft akzeptieren. Besser wäre es gewesen, beide hätten sich abgesprochen , dann wäre es bei einem Jahr geblieben. Die Lehre: Manchmal ist Kooperation besser als Wettbewerb.

Erprobt wurde die Spieltheorie im Kalten Krieg, als sich die Vereinigten Staaten und die Sowjetunion gegenseitig mit nuklearer Vernichtung bedrohten. Damals war "The Strategy of Conflict", das Hauptwerk des amerikanischen Spieltheoretikers Thomas Schelling von 1960, eines der einflussreichsten Bücher. Ob Schelling wirklich dazu beigetragen hat, dass die Kubakrise im Oktober 1962 nicht im atomaren Inferno endete, ist offen. Auf jeden Fall half er, den Kalten Krieg durch ein Stück Rationalität zu entschärfen. Schelling erhielt 2005 den Wirtschaftsnobelpreis.

Der erste, der bremst, ist der Feigling - so denkt auch Donald Trump

Das Modell, das am besten zur Trump-Ära passt, heißt Feiglingsspiel, chicken game. Die Fabel ist angelehnt an den Film "Denn sie wissen nicht, was sie tun" mit James Dean: Zwei Halbstarke vereinbaren ein Spiel. Beide rasen mit ihren Autos auf eine Klippe zu. Der erste, der bremst, ist der Feigling und hat das Spiel verloren, der andere gewinnt einen Preis. Rational betrachtet, ist das Spiel sinnlos - beide Spieler drohen dem anderen mit Selbstmord. Besser wäre es, beide würden auf das Spiel ganz verzichten und sich den Preis teilen. Aber dieser "Kooperationslösung" kann vieles entgegenstehen: die Hormone der Beteiligten oder die Tatsache, dass ein Mitspieler erfolgreich den Eindruck erweckt, so verrückt zu sein, dass er den Selbstmord riskiert.

In diesem Sinne spielt Donald Trump heute mit Europäern, Chinesen und anderen das chicken game. Er droht mit Handelskrieg und versichert, ein solcher sei "gut und leicht zu gewinnen". Eigentlich ist die Drohung nicht glaubwürdig, denn die USA schädigen sich bei einem Handelskrieg auch selbst. Aber handelt Trump rational?

Irrationales Verhalten kann Drohungen glaubwürdiger machen

Die Tatsache, dass das niemand genau weiß, kann ein entscheidender Faktor sein. Axel Ockenfels, Wirtschaftsprofessor und Spieltheoretiker an der Universität zu Köln, sagt: "Schon ein bisschen Irrationalität kann eine Drohung glaubwürdiger machen." Insofern könnten die Irrationalität und Impulsivität von Donald Trump aus strategischer Sicht zuweilen ein Vorteil sein. Oder bezogen auf den Konflikt mit Nordkorea: "Die Drohung eines Atomkriegs durch Trump ist glaubwürdiger, als sie durch Obama gewesen wäre."

Der frühere US-Präsident Richard Nixon wollte angeblich 1968 gezielt den Eindruck erwecken, er sei nicht mehr ganz zurechnungsfähig, um den Vietnamkrieg zu beenden. Seine Berater sollten in Hanoi den Eindruck erwecken, ihr Chef sei ein so besessener Antikommunist, dass er, um den Krieg zu gewinnen, notfalls eine Atombombe zünden würde. Nixon nannte dies die "Madman-Theorie". Die Geschichte wurde von Harry R. Haldeman überliefert, einer der Schlüsselfiguren des Watergate-Skandals, und ist daher mit Vorsicht zu genießen. Aber sie zeigt immerhin, dass das Spiel mit dem Mangel an Zurechnungsfähigkeit zum Instrumentarium von Präsidentenberatern gehören kann.

Das berühmteste Beispiel dazu ist vielleicht das Chain Store Game des deutschen Nobelpreisträgers Reinhard Selten (1930-2016): Ein marktbeherrschender Supermarkt möchte sich potenzieller Konkurrenten erwehren, indem es diesen mit einem zerstörerischen Preiskrieg droht. Handelt es sich um ein rationales Unternehmen, ist die Drohung nicht glaubwürdig, weil es sich auch selbst schaden würde. Schon ein bisschen irrationales Verhalten kann sie aber glaubwürdig machen.

Außerdem kommt es auf die Form der Kommunikation an. Ockenfels sagt: "Drohungen sind in der Regel glaubwürdiger, wenn sie öffentlich gemacht werden, etwa über Twitter." Alle wissen, dass es Trump Stimmen kosten würde, wenn er eine Drohung zurücknähme. Daher ist Trumps Twitter-Account so wichtig. Die Spieltheorie zeigt, wie der Ökonom Ulrich Blume von der Universität Halle schreibt ("Wirtschaftskrieg", 2017): "Kurz und mittelfristig ist unmoralisches Verhalten extrem ertragreich."

Die Europäer müssen mitspielen

Die multilaterale Ordnung des Welthandels ist eine zivilisatorische Errungenschaft, ein öffentliches Gut, dessen Nutzen unteilbar allen zugutekommt. Populisten wie Trump könnten diese gemeinsame Ordnung um kurzfristiger Vorteile willen gefährden. Wenn jeder damit rechnen muss, dass der andere die Regeln verletzt, ist dies das Ende der gemeinsamen Ordnung. Auch hier liefert die Spieltheorie ein schönes Modell: die "Hirschjagd". Es geht zurück auf eine Parabel, die der französische Philosoph Jean-Jacques Rousseau 1755 in seiner "Abhandlung über den Ursprung und die Grundlagen der Ungleichheit unter den Menschen" aufgeschrieben hat: Eine Gruppe von Jägern geht auf die Pirsch, um einen Hirsch zu erlegen. Nun trifft einer aus der Gruppe im Wald auf einen Hasen. Erschießt er ihn, bringt er zwar ein Wildbret mit nach Hause, aber er gefährdet mit seinem lauten Schuss den Erfolg der ganzen Jagdpartie. Sein kleiner Nutzen geht also zulasten des gemeinsamen großen.

In der Übertragung auf die Realität: Trump erhebt Strafzölle (er schießt den Hasen) und steht so eine Zeit lang gut bei seinen Wählern da. Dadurch verhindert er das optimale Ergebnis, die Lösung des Problems der globalen Stahlüberschüsse auf kooperative Weise (den erlegten Hirsch). Rousseau schloss aus der Parabel auf die Notwendigkeit des Staates. In der Spieltheorie geht es darum, durch Zusicherungen den Beteiligten die Angst zu nehmen, dass jeder nach Belieben die Regeln bricht. Die Politik der EU, einerseits mit eigenen Strafzöllen zu drohen und gleichzeitig über gemeinsame Zollsenkungen zu reden, könnte man als eine Art Zusicherungsspiel begreifen. Wenn man nur wüsste, wie rational der amerikanische Präsident reagiert, genauer: ob er seine demonstrative Irrationalität auch wirklich einsetzen wird.

Die Anwendung der Spieltheorie auf die Tagespolitik mag im Einzelfall spekulativ sein, sie ist aber auf jeden Fall lehrreich. Man muss die Konsequenz ziehen aus der Erkenntnis, dass die Welt anders geworden ist und dass den Europäern nichts anderes übrig bleibt, als ihre eigenen Interessen zu definieren und wahrzunehmen. Dafür sind sie denkbar schlecht vorbereitet. John Kornblum, von 1997 bis 2001 amerikanischer Botschafter in Deutschland und heute häufiger Gast in Berliner Talkrunden, treibt das seit Jahren um. Der SZ sagte er: "Wenn es schwierig wird, schalten die Europäer nicht auf die strategische, sondern auf die normative Ebene. Statt eine Strategie zu entwickeln, verteidigen sie ihre Institutionen. Europa ist eine strategiefreie Zone."

Tatsächlich brauchen die Europäische Union und Deutschland heute eine Außenwirtschaftsstrategie, und das nicht nur wegen Trump. Zum Beispiel ist die Frage zu beantworten, wie das Land mit chinesischen Investoren umgehen soll, wenn die Herkunft von deren Kapital unklar ist und dahinter eine staatliche, auf Dominanz angelegte Strategie steht. Es hilft auch nichts, immer nur über die Steuervermeidung der großen amerikanischen Internet-Konzerne zu klagen. Es gibt Modelle dafür, wie man Google, Apple und Facebook besser besteuern kann. Sie sind kompliziert, und man muss aufpassen, dass man sich bei der Umsetzung nicht selbst schadet. Aber man muss mit der Arbeit einmal anfangen.

Europa muss sein überragendes Interesse am freien Welthandel klarmachen. Da ist auch Überzeugungsarbeit nach innen notwendig. Im September 2016, zwei Monate vor Trumps Wahl, demonstrierten in Berlin 70 000 Menschen gegen das transatlantische Freihandelsabkommen TTIP (gäbe es das heute, ließe sich mit Trump leichter umgehen). Vor allem aber muss Europa gegen Trump und andere um die Zukunft der Welthandelsorganisation (WTO) kämpfen. Die Europäer müssen mitspielen. Es muss ja nicht gleich das Feiglingsspiel sein.

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