Alles wie gehabt. Zwar hat Donald Trump am 1. Mai nicht, wie befürchtet, für Europäer, Kanadier und Mexikaner die Ausnahmen von den Strafzöllen auf Stahl und Aluminium auslaufen lassen. Aber der Präsident verzichtete auch nicht dauerhaft auf die Strafmaßnahmen, sondern verschob die Deadline lediglich auf den 1. Juni. In der Zwischenzeit geht das gewohnte Spiel weiter: drohen, beschwichtigen, twittern. Der Präsident sieht Handel nicht als Veranstaltung zum gegenseitigen Nutzen, sondern als Nullsummenspiel - was des einen Gewinn, ist des anderen Verlust. Gerade verlangte er von der Volksrepublik China, deren Überschuss im Handel mit den USA um 200 Milliarden Dollar abzubauen.
Für Ökonomen ist dies die Stunde der Spieltheorie. Diese Theorie an der Grenze von Ökonomie und Mathematik versucht, in Modellen zu analysieren, wie Menschen in Konfliktsituationen entscheiden. Sie passt zu einer Weltwirtschaft, die konfliktreicher und unberechenbarer geworden ist. Hoffte man in den Neunzigerjahren, als der Kalte Krieg vorbei war und die Welthandelsorganisation (WTO) gegründet wurde, auf einen friedlichen, regelgebundenen Welthandel, so ist heute ein Handelskrieg, wenn nicht gar ein Wirtschaftskrieg wieder denkbar.
Das stellt sicher Geglaubtes infrage. Zwar gibt es nicht den geringsten Grund, die alte Überzeugung aufzugeben, wonach freier Handel in der Summe allen nützt. Aber Trump und andere Populisten auf der Welt zeigen, dass es möglich ist, bei Wahlen tatsächliche und vermeintliche Verlierer der Globalisierung zu mobilisieren. Deren Erwartungen versucht man dann durch aggressive Sprache und gezielten Protektionismus ("America First") zu erfüllen.
Die Spieltheorie versucht, Konflikte mit Parabeln anschaulich zu machen. Zum Beispiel das berühmte Gefangenendilemma: Nach einem Raubüberfall werden zwei Verdächtige gefasst. Der Staatsanwalt bietet einen Deal an: Wenn du aussagst, kommst du als Kronzeuge frei, dein Komplize geht für zehn Jahre ins Gefängnis. Am besten wäre es, wenn beide schwiegen, dann müssten sie, weil Beweise fehlen, nur für ein Jahr in Haft wegen unerlaubten Waffenbesitzes. Da sie aber nicht wissen, wie der andere handelt, werden beide gestehen und fünf Jahre Haft akzeptieren. Besser wäre es gewesen, beide hätten sich abgesprochen , dann wäre es bei einem Jahr geblieben. Die Lehre: Manchmal ist Kooperation besser als Wettbewerb.
Erprobt wurde die Spieltheorie im Kalten Krieg, als sich die Vereinigten Staaten und die Sowjetunion gegenseitig mit nuklearer Vernichtung bedrohten. Damals war "The Strategy of Conflict", das Hauptwerk des amerikanischen Spieltheoretikers Thomas Schelling von 1960, eines der einflussreichsten Bücher. Ob Schelling wirklich dazu beigetragen hat, dass die Kubakrise im Oktober 1962 nicht im atomaren Inferno endete, ist offen. Auf jeden Fall half er, den Kalten Krieg durch ein Stück Rationalität zu entschärfen. Schelling erhielt 2005 den Wirtschaftsnobelpreis.
Der erste, der bremst, ist der Feigling - so denkt auch Donald Trump
Das Modell, das am besten zur Trump-Ära passt, heißt Feiglingsspiel, chicken game. Die Fabel ist angelehnt an den Film "Denn sie wissen nicht, was sie tun" mit James Dean: Zwei Halbstarke vereinbaren ein Spiel. Beide rasen mit ihren Autos auf eine Klippe zu. Der erste, der bremst, ist der Feigling und hat das Spiel verloren, der andere gewinnt einen Preis. Rational betrachtet, ist das Spiel sinnlos - beide Spieler drohen dem anderen mit Selbstmord. Besser wäre es, beide würden auf das Spiel ganz verzichten und sich den Preis teilen. Aber dieser "Kooperationslösung" kann vieles entgegenstehen: die Hormone der Beteiligten oder die Tatsache, dass ein Mitspieler erfolgreich den Eindruck erweckt, so verrückt zu sein, dass er den Selbstmord riskiert.
In diesem Sinne spielt Donald Trump heute mit Europäern, Chinesen und anderen das chicken game. Er droht mit Handelskrieg und versichert, ein solcher sei "gut und leicht zu gewinnen". Eigentlich ist die Drohung nicht glaubwürdig, denn die USA schädigen sich bei einem Handelskrieg auch selbst. Aber handelt Trump rational?