Essay:Fair Play

Der Streit von Volkswagen mit einem kleinen Zulieferer offenbart ein grundsätzliches Problem in der Wirtschaft: Wer seine Geschäftspartner demütigt und ihnen zu viel abverlangt, hat keine Zukunft.

Von Karl-Heinz Büschemann

Es gibt manchen Satz, der zum Nachdenken anregt, weil er paradox erscheint. Zum Beispiel diesen, der dem legendären Deutsche-Bank-Chef Hermann Josef Abs zugeschrieben wird. Der alte Fuchs des Geldgewerbes sagte sinngemäß: Ein Geschäft sei nur dann gut, wenn nach der Unterschrift beide Seiten weinen. Wie bitte? Sagen nicht alle Prediger der Marktwirtschaft das Gegenteil? Sollen bei einem Handel nicht beide Seiten lachen? Ist nicht beiderseitiger Nutzen der Antrieb für Geschäfte? Auch das stimmt. Aber das eine folgt erst aus dem anderen. Wie gut ein Geschäft war, stellt sich stets erst nach einiger Zeit heraus. Am Anfang ist die Unsicherheit.

Der VW-Konzern hat in den vergangenen beiden Wochen vorgeführt, wie Geschäfte auf keinen Fall laufen dürfen: zum einseitigen Vorteil. Die Wolfsburger hatten einen kleinen Teile-Zulieferer mit harten Preisvorgaben und Kündigungen von Lieferverträgen so gequält, dass der zurückschlug. Er lieferte einfach keine Getriebegehäuse und Sitzbezüge mehr und legte die Produktion bei VW lahm.

Welch ein Vorgang, welche Symbolik! Der größte Autokonzern in Europa kann in seinem Stammwerk den Golf nicht bauen, weil ein kleiner Mittelständler es so will. Der Vergleich von David und Goliath macht die Runde, der Kleine hat den großen ausgeschaltet. Es stimmt offenbar: Auch vermeintlich Schwache können Stärke zeigen. Die Welt sollte dem Wolfsburger Autokonzern dafür danken, dass er diese Banalität wieder ins Bewusstsein gerückt hat, wenn auch unfreiwillig.

Wer seine Geschäftspartner mit Diktaten und Bevormundung quält, darf sich nicht wundern, wenn die Unterlegenen unvermutet zum Gegenschlag ausholen. Irgendwann finden sie die Kraft, weil sie nichts mehr zu verlieren haben. Es ist kein nachhaltiges Geschäftsprinzip, wenn Verzweiflung das Handeln eines Partners leitet. Am Ende tragen beide Seiten den Schaden davon.

Brutaler Preisdruck ist die wichtigste Begleiterscheinung von Globalisierung und Digitalisierung. Wo die Grenzen offen sind und Produkte fast ungehindert über Kontinente hinweg gehandelt werden, wächst der Wettbewerb. Ein russischer Bauer kann zum Konkurrenten eines Landwirts in Ostfriesland werden. Der Buchhandel kämpft für seine gesetzliche Preisbindung, um im Kampf gegen Verlage und globale Internethändler nicht in einen tödlichen Strudel zu geraten. Supermarktketten werden dafür gescholten, dass sie ihren Mitarbeitern kaum auskömmliche Löhne zahlen. Die Bundesregierung hat einen gesetzlichen Mindestlohn eingeführt, um Auswüchse auf dem Arbeitsmarkt wenigstens einzuschränken.

Wo rasant wachsender Wettbewerb das Handeln bestimmt, verrohen die Sitten. Die Globalisierung liefert den Arbeitgebern gegenüber den Mitarbeitern ein treffliches Argument, das die entschuldigende Wirkung einer Naturkatastrophe hat. Man könne nichts dagegen tun. Sorry. Der Feind sind nicht wir Manager in Deutschland. Die Gegner sitzen in China oder Vietnam, wo billiger gearbeitet wird.

Bei diesem Druck bleiben Anstand und Respekt auch vor dem Geschäftspartner schnell auf der Strecke. Der ehrbare Kaufmann, ein Jahrhunderte altes Idealbild der europäischen Wirtschaftskultur, wird zur historischen Reminiszenz mit romantischem Beigeschmack und schrumpfender Bedeutung für die moderne Welt.

Dabei gilt noch immer, was der Florentinische Kaufmann und Politiker Francesco Bergucci Pegolotti schon um 1340 gesagt hat. Ein Kaufmann müsse fehlerfrei arbeiten, gerecht sein und weitsichtig. Er müsse Wort halten, niemals dürfe er Wucher treiben. Die "Versammlung eines Ehrbaren Kaufmanns zu Hamburg", die im kommenden Jahr ein halbes Jahrtausend des Bestehens feiern wird, sagt in einer ihrer Leitlinien über gutes Wirtschaften mit schöner Einfachheit: "Nicht alles, was rechtlich zulässig ist, ist auch ehrbar."

Wirtschaft Essay

Illustration: Stefan Dimitrov

Wo beinhartes Shareholder-Value-Denken das Handlungsprinzip ist, haben es weiche Faktoren schwer. Wie lässt sich mit Anstand der Übermacht rücksichtloser Konkurrenten gegenübertreten? In der Bankenwelt war vor 20 Jahren die Antwort schnell gefunden: mitmachen! Auch deutsche Banken orientierten sich am international verbreiteten Prinzip hemmungsloser Profitgier, sorgten so aber mit für eine massive Finanzkrise, die für die globale Wirtschaft zum Desaster wurde. Der Manager-Kaste brachte das Prinzip der globalen Rücksichtslosigkeit einen verheerenden Ansehensverlust.

Jetzt bekommen die Industriemanager zu spüren, wie gefährlich der Markt sein kann. Er fordert zum Missbrauch der Macht geradezu auf, gleichzeitig aber geht er daran kaputt. Wer die stärkere Position hat, kann den anderen gnadenlos über den Tisch ziehen. Doch wenn er es geschafft hat, ist der andere am Ende. Er braucht keinen Markt mehr.

Die Begründung, Markt und Wettbewerb zwängen zu gnadenloser Härte, stimmt deshalb nur auf den ersten Blick. Wer sein eigenes Geschäftsmodell nur auf Kosten anderer retten kann, ist in einer aussichtslosen Position und von vorneherein verloren. Die Zukunft der Autoindustrie muss auf sehr wackeligen Füßen stehen, wenn man sieht, mit welch brutalen Methoden sie gegen ihre Zulieferer vorgeht, auf die sie angewiesen ist wie ein siamesischer Zwilling auf den anderen.

Zu dieser verhängnisvollen Entwicklung hat aber jener VW-Konzern erheblich beigetragen, der gerade von seinem bosnischen Zulieferer zum Kampf gezwungen wurde. Das Verhängnis begann vor gut zwei Jahrzehnten, als Ferdinand Piëch zum Vorstandschef des Wolfsburger Konzerns geworden war. Piëch, der erst vor etwa einem Jahr als Aufsichtsratschef zurücktrat, hat den Konzern zwei Jahrzehnte lang geprägt wie kein zweiter. VW ist bestimmt vom Geist dieses inzwischen 79-Jährigen, der wie kaum ein anderer Furcht um sich herum verbreiten kann.

Für den asketischen und oft besessen wirkenden Piëch, auf dessen legendären Großvater Ferdinand Porsche der VW-Käfer wie der ganze Volkswagen-Konzern zurückgehen, ist Wettbewerb nicht das Rennen von Konkurrenten um die beste Marktposition. Für Piëch hat der Wettbewerb eine furchtbare Qualität: Er ist Krieg.

"Immer, wenn es um Krieg geht", so dozierte der rhetorisch wenig elegante Vorstandschef Piëch mit schneidendem Tonfall, "sind am Ende weniger vorhanden." Es gebe immer Gewinner und Verlierer. "Ich habe die Absicht, der Sieger zu sein."

Piëch hatte Anfang der neunziger Jahre einen Konzern übernommen, der in einer tiefen Krise steckte. VW produzierte zu teuer und am Abgrund. Und was tat Piëch, um das Kostenproblem von VW zu lösen? Er attackierte seine Lieferanten. Kurze Zeit nach seinem Start in Wolfsburg 1993 warb Piëch den Einkaufsmanager Ignacio Lopez vom amerikanischen Konkurrenten General Motors ab. Der Spanier war für seine brutalen Methoden gefürchtet und passte zum Weltbild des Ferdinand Piëch, weil er sich selbst und seine engsten Mitarbeiter als Krieger bezeichnete. Sie knebelten die Zulieferer wie nie zuvor, VW-Vertreter zogen sogar in die Büros der Lieferanten ein, um auch noch den letzten Cent aus deren Kalkulationen herauszuquetschen. Lopez wurde bald der "Würger von Wolfsburg" genannt.

Drei Thesen

Erkenntnis: Die Gobalisierung lässt die Sitten verrohen

Verantwortung: Der Markt regelt den Handel, den Kompass für Anstand liefert er nicht

Erfahrung: Wer zu Lasten anderer Geld spart, zahlt die Rechnung später

Der Nebeneffekt konnte nicht ausbleiben. Nirgendwo hat die Demütigung von Geschäftspartnern inzwischen ein solches Ausmaß erreicht wie in der Autoindustrie, in der die Lopez-Methoden schnell zum Industriestandard wurden. Von dort strahlten sie aus, um auch in anderen Branchen ihr Gift zu verbreiten. Wo der Markt zum Schlachtfeld wird, kann keine gedeihliche Zusammenarbeit entstehen, die den Namen Partnerschaft verdient.

Es liegt nahe, die Stärke zu nutzen, die sich ein Unternehmen am Markt erarbeitet oder erkämpft hat. Aber bis zu welchem Maße ist es in Ordnung, sie auszuüben, wo beginnt die Ausbeutung des Geschäftspartners, wo dessen Vernichtung? Darüber sagt der Markt nichts. Angebot und Nachfrage mögen einen genialen Steuerungsmechanismus in Gang setzen, den der große Ökonom Adam Smith vage mit der unsichtbaren Hand erklärt, die den Wohlstand aller mehre. Einen Kompass zum Anstand bietet der Markt nicht.

Die Grenze zwischen Gut und Böse ist unsichtbar. Sie wird oft erst erkannt, wenn es zu spät ist. Der Autozulieferer Prevent hat im Krach mit VW auf den Moment gewartet, der es ihm erlaubt, den großen Kunden zu treffen. VW hatte mit der Attacke offenbar nicht gerechnet. Wolfsburg hatte eine Grenze nicht ernst genommen.

Das ist die eigentliche Kunst des Unternehmertums. Die Mitte zu sehen, zu wissen, wo die Grenze zwischen Anstand und Niedertracht verläuft. Die Kosten zu senken und den Profit möglichst groß werden zu lassen, mag als Aufgabe für Manager in den BWL-Lehrbüchern stehen. Das Geheimnis erfolgreicher Unternehmensführung ist schwieriger zu ergründen.

Wo Mitarbeiter schlecht bezahlt werden, mag der Gewinn an Höhe gewinnen. Aber ebenfalls wächst der Frust der Belegschaft. Niedrige Löhne werden oft mit Illoyalität der Belegschaft und hoher Personalfluktuation erkauft. Der Hausbesitzer, der seine Mieter mit häufigen Mieterhöhungen drangsaliert, wird keine Bewohner finden, die mit seinem Eigentum rücksichtsvoll umgehen. Ein Autohändler, der notdürftig geflickte Rostlauben geschäftstüchtig als neuwertig auf den Markt gibt, wird seine Kunden nicht wiedersehen, weil er Vertrauen missbraucht. Menschen haben ein Gespür für Recht und Unrecht im Wirtschaftsleben.

Es lohnt sich nicht, Geschäftspartner in die Enge zu treiben. Es liegt kein Segen darin, mit aller Gewalt seine Lieferanten an den Rand der Existenz zu treiben. Der von Kostendruck geplagte Volkswagen-Konzern musste seine vermeintlich überlegene Verhandlungskunst mit dem überraschenden Produktionsstopp beim Golf und mit einem Millionenschaden bezahlen. Wer auf Kosten anderer zu sparen gedenkt, bekommt die Rechnung trotzdem. Nur später.

Es ist eben nicht gut, wenn nach einem Vertragsabschluss nur einer weint.

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