Globalisierung und Technologie raubten der Mittelschichtsrepublik Deutschland die Gemütlichkeit. Die Globalisierung favorisiert Wissensarbeiter, also viele aus der "neuen Mittelklasse", doch sie vernichtet gleichzeitig Arbeiterjobs. Genau wie dies neue Technologien tun, die zusätzlich Routinetätigkeiten wie Sachbearbeiter ersetzen. Der Ersatz sind häufig schlecht bezahlte Dienstleistungsjobs.
Und die Volksparteien? Haben die Lage häufig verschärft und so Menschen enttäuscht. Privatisierungen machten aus den Postboten mit Eigenheim von einst gehetzte Paketboten, die sicher nicht mehr zur Mittelschicht gehören. Selbst wer 8000 Euro im Monat verdiente, fällt als Arbeitsloser rasch auf Hartz IV. Und keiner hindert die mächtiger gewordenen Unternehmen, weit seltener als früher jene Tariflöhne zu zahlen, die einst die Mitte erblühen ließen. Mit sozialem Netz und Tariflöhnen sind beide Faktoren geschwächt, mit denen die Forscher Bosch und Kalina die Größe der deutschen Mitte im europäischen Vergleich erklärten.
Das alles zusammen führt dazu, dass der Merkel-Boom nicht nur Geringverdienern schal schmeckt, sondern auch vielen Menschen aus der Mittelschicht: Fast jeder zweite Arbeitnehmer verdient heute unterm Strich nicht mehr als vor 20 Jahren. Steigende Mieten und schwindende Renten nähren die Angst vor dem Abstieg. Die Mitte schrumpft, nach manchen Studien stellt sie nicht mehr die Mehrheit.
Wer wirklich nach oben will, kommt nach oben? Der Fahrstuhl des Wirtschaftswunders, in dem alle Schichten nach oben fuhren, hat sich in einen Paternoster verwandelt, der manche nach unten schickt.
Wer Homo-Ehe und Moscheebauten gut heißt, geht nicht zu den Rechtspopulisten
Das ist hochbrisant. Die Mitte trägt das Sozialsystem und einen Großteil der Steuern. Und bisher garantierte sie mit einer Präferenz für moderate Parteien auch die Demokratie. Rebelliert die Mitte, wackelt die Republik, nicht nur die deutsche. Die politischen Gewinne der Populisten von Donald Trump bis AfD sind ein Warnzeichen. Sie wurzeln auch in wirtschaftlichen Verlusten der Mitte überall im Westen - und in der Finanzkrise, als Banker ihre Risiken auf die Gesellschaft abwälzen durften, was den Leistungsethos der Mittelschicht verhöhnt.
Analysen der Bertelsmann-Forscher Robert Vehrkamp und Klaudia Wegschaider zeigen, wie differenziert das Wahlverhalten 2017 ausfiel. Die "neue Mittelklasse" dynamischer Akademiker wandte sich den Rechtspopulisten wenig zu. Viele von ihnen profitieren von der Globalisierung. Und wer in moderat entlohnten Dienstleistungsjobs oder befristeten Stellen beim Staat festhängt, den dürften oft seine kosmopolitischen Werte immunisieren. Wer Homo-Ehe und Moscheebauten gut heißt, geht nicht zu den Rechtspopulisten.
Anders sieht es bei traditionell eingestellten Arbeitern und Rentnern aus. Und besonders in der sogenannten bürgerlichen Mitte, womit hier keine gut verdienenden Anwälte und Ärzte gemeint sind, sondern eher Menschen mittlerer Bildung mit Abstiegssorgen, denen Status und Ordnung viel bedeuten. Hier dürften sich mancher jener Facharbeiter und Angestellten mit Lehre finden, die der Soziologe Reckwitz durch die Akademisierung der Berufswelt an den Rand gedrängt sieht - im Paternoster nach unten. In der bürgerlichen Mitte verlor die Union so viel wie in keiner anderen Gruppe. Eine große Koalition von Union und SPD kommt hier auf 42 Prozent der Stimmen. Eine große Koalition von AfD- und Nichtwählern auf 40 Prozent.