Essay:Absturz einer Ikone

Die Deutsche Bank war mal der Stolz der bundesrepublikanischen Wirtschaft. Dann hat sie der Größenwahn gepackt - und es folgten Skandale, Skandale, Skandale. Wie konnte das bloß passieren?

Von Ulrich Schäfer

"Vertrauen ist der Anfang von allem", lautet ein Slogan, mit dem die Deutsche Bank 1995 geworben hat. In einem rührseligen, 31 Sekunden langen TV-Spot präsentierte sie den Fernsehzuschauern ein Baby, welches seine kleinen Finger nach der Hand seiner Eltern streckt; ein Kind, das auf dem Schwebebalken einen Salto vollführt; und eine Braut, die erwartungsvoll vor den Traualtar tritt. Alles war in ein wohliges, warmes Licht getaucht. Und zum Schluss dann der Slogan: "Vertrauen ist der Anfang von allem".

Aber in dem Spot ist auch ein anderer Satz zu hören: "Ohne Vertrauen entsteht nichts." Genau das ist heute immer noch das Problem.

Die Deutsche Bank, dieses einst so renommierte Institut, hat in den vergangenen zwei Jahrzehnten in einem Maße Vertrauen verspielt, wie man es nie und nimmer für möglich gehalten hat. In ihrem Bestreben, immer mächtiger und bedeutender zu werden, hat sie sich auf Dinge eingelassen, die sie lieber niemals angepackt hätte. Im großen Stil haben ihre Trader mit obskuren Finanzprodukten gehandelt und dabei auch Ramsch verkauft. In London, New York oder Moskau haben sie virtuos mit Dollar, Rubel, Pfund oder Euro gewirbelt, im Geschäft mit Devisen waren sie zeitweise die weltweite Nummer eins, und natürlich haben sie auch noch die verborgenste Steueroase genutzt und jede Menge Briefkastenfirmen, um Geldflüsse ihrer Kunden zu verschleiern.

Kaum eine Affäre, kaum ein schmutziges Geschäft, in das die Bank nicht verwickelt war

Im Laufe der Jahre wurden so die Grenzen des Denk- und Machbaren immer weiter hinausgeschoben. Die Deutsche Bank wähnte sich angekommen im Kreise der großen Investmentbanken, sah sich auf Augenhöhe mit Goldman Sachs oder Merrill Lynch, mit den führenden Häusern der Wall Street. Doch mit der Zeit haben zu viele Mitarbeiter den Blick dafür verloren, was gesetzlich noch legal und moralisch noch legitim ist - und was eben nicht.

Deutsche Bank

In Verruf: Die Deutsche Bank - hier die berühmten Zwillingstürme ihres Hauptsitzes in Frankfurt - hat in den vergangenen Jahren viel Vertrauen verspielt.

(Foto: Arne Dedert/picture alliance/dpa, Bearbeitung: SZ)

Lange hat dies niemand bemerkt. Hier und da poppten schmutzige Dinge auf, das schon. So etwa 1996, als die Bank einen ihrer prominentesten Händler schasste, den jungen Briten Peter Young. Dieser hatte mit seinen Fonds gegen grundlegende Anlageregeln verstoßen und zudem über ein Netz an Briefkastenfirmen kräftig in die eigene Tasche gewirtschaftet. 180 000 Anleger hatten seinen Künsten vertraut, zu Unrecht, wie sich zeigte; die Deutsche Bank musste sie mit umgerechnet mehr als 200 Millionen Euro entschädigen. Young selber entging einer Strafe, in seinem Prozess tauchte er in Frauenkleidern und mit High Heels auf, seine Anwälte legten Gutachten vor, wonach er schizophren sei. Das Gericht ließ sich von dem, was manche für Theater hielten, beeindrucken: Es stellte Youngs Schuld fest, sah sich aber nicht in der Lage, ihn zu verurteilen.

So richtig ans Licht kam der Sittenverfall bei der Deutschen Bank aber erst nach dem Zusammenbruch von Lehman Brothers im Jahr 2008. Mit einem Mal zeigte sich, dass die Bank in den Jahren ihres Sturm und Drangs fast nichts ausgelassen hatte: kaum ein Affäre, kaum einen Skandal, kaum ein schmutziges Geschäft. Das größte deutsche Geldhaus war damit nicht allein. Aber bei der Deutschen Bank fanden Aufseher und Ermittler eben besonders viel Unrat.

Und so reiht sich fortan Skandal an Skandal, Gerichtsverfahren an Gerichtsverfahren, Strafe an Strafe. Alles in allem musste die Deutsche Bank bis heute mit mehr als 20 Milliarden Euro für ihre Fehler büßen: für die hochriskanten Hypothekengeschäfte in den USA, für die Manipulation von wichtigen Referenzzinsen wie Euribor und Libor, für den Bruch von Sanktionen, für den trickreichen Handel mit Verschmutzungsrechten oder für ihre umstrittene Rolle beim Zusammenbruch des Medienimperiums von Leo Kirch.

Das sagt die Bank

Die Deutsche Bank äußerte sich am Sonntagabend zu den FinCEN-Files-Enthüllungen des International Consortium of Investigative Journalists (ICIJ), zu dessen Partnern die SZ gehört: "Wir bei der Deutschen Bank haben in den letzten Jahren massiv in die Verbesserung der Kontrollen investiert, und wir konzentrieren uns mit Nachdruck darauf, unseren Verantwortlichkeiten und Verpflichtungen nachzukommen. Dazu gehört auch, dass wir Maßnahmen ergreifen, um Risiken zu minimieren, und Beziehungen zu Kunden oder Korrespondenzbanken beenden, wenn dies angezeigt ist. Das ICIJ hat über eine Reihe historischer Themen berichtet. Soweit sie sich auf die Deutsche Bank beziehen, sind sie den Aufsichtsbehörden bekannt. Die Themen wurden bereits untersucht und führten zu Einigungen mit den Behörden, in denen die Zusammenarbeit und die Mängelbeseitigung der Bank öffentlich anerkannt wurden. Wo nötig und angemessen, haben wir Konsequenzen gezogen."

In unschöner Regelmäßigkeit tauchte die Deutsche Bank auch in allen großen Leaks der letzten Jahre auf: in den Luxemburg- oder Offshore-Leaks; und auch in den Panama Papers und Paradise Papers, in jenen riesigen Datensätzen also, die die Süddeutsche Zeitung und Dutzende internationale Medien gemeinsam mit dem International Consortium of Investigative Journalists (ICIJ) ausgewertet haben. Auch in den FinCEN-Files finden sich nun wieder Dokumente, die ein haarsträubendes Geschäftsgebaren der Bank in Russland zeigen, aber auch die Nachlässigkeit dokumentieren, mit der interne Prüfer aus der Abteilung des heutigen Bankchefs Christian Sewing das Russland-Geschäft untersuchten.

Wie aber konnte es so weit kommen? Wie konnte eine Bank, die mal eine Ikone der deutschen Wirtschaft war, so weit abgleiten? Und damit auch derart viel Kapital verspielen?

Vor der Finanzkrise war die Aktie der Deutschen Bank gut 100 Euro wert, heute wird sie für unter acht Euro gehandelt. Vor zwei Jahrzehnten zählte die Deutsche Bank, gemessen an der Bilanzsumme, zu den drei größten Geldhäusern der Welt, heute sucht man sie vergeblich unter den Top 20.

Das Versprechen, einen "Kulturwandel" zu vollziehen, scheiterte auf ganzer Linie

Die Anfänge dieser Entwicklung reichen zurück bis in die 1960er- und 70er-Jahre. Als der Wiederaufbau geschafft war und die Wirtschaft wieder florierte, fing auch die Deutsche Bank damit an, sich in Weltgegenden zu begeben, die bis dahin nicht gerade als Zentren des Welthandels galten. Zu ihren Niederlassungen in den großen Hauptstädten, gegründet, um deutsche Unternehmen bei ihren Auslandsgeschäften zu begleiten, kamen nun Dependancen in entlegenen Steueroasen hinzu. Denn mit dem neu gewonnenen Reichtum kam bei immer mehr Deutschen der Wunsch auf, ihr Vermögen vor dem hiesigen Fiskus zu verstecken.

Die eigentliche Verwandlung der Bank begann dann 1989, kurz bevor die RAF mit einer Bombe den damaligen Vorstandssprecher Alfred Herrhausen tötete. Herrhausen eilt ein geradezu phänomenaler Ruf hinterher, als letzter Chef der Deutschen Bank alter Schule. Aber er schloss auch ein Geschäft ab, mit dem die Deutsche Bank in ein für sie neues Feld einstieg: ins Investmentbanking. Drei Tage vor seinem Tod übernahm das Institut aus Frankfurt das britische Geldhaus Morgan Grenfell und etablierte sich damit in der Londoner City - eben dort, wo später auch viele der Exzesse der Deutschen Bank stattfanden. Ein Grund für die Übernahme war auch der Big Bang, mit dem die britische Premierministerin Margaret Thatcher den britischen Finanzmarkt entfesselte. Die Deutsche Bank wollte die Möglichkeiten durch die Liberalisierung nutzen.

Essay: Illustration: SZ

Illustration: SZ

In den folgenden Jahren baute sie das Investmentbanking systematisch aus. Zwei Schritte waren dabei besonders wichtig. 1995, in jenem Jahr also, in dem der wohlige Fernsehspot mit dem Slogan "Vertrauen ist der Anfang von allem" lief, wechselte Edson Mitchell vom US-Rivalen Merrill Lynch zur Deutschen Bank. Er galt als einer der besten Investmentbanker der Welt, ihm folgten etwa 100 getreue Mitarbeiter. Erstmals zog damit eine jener Söldnertruppen bei der Deutschen Bank ein, wie es sie im Investmentbanking häufig gibt. Sie sind in erster Linie ihrem Chef gegenüber loyal, nicht so sehr ihrem Unternehmen, und sie ziehen oft weiter, wenn es anderswo mehr zu verdienen gibt. Der zweite große Schritt kam dann 1999: Da erwarb die Deutsche Bank für zehn Milliarden Dollar den amerikanischen Bankers Trust, der zwar keine reine Investmentbank war, aber als führend beim Handel mit Zins- und Währungsderivaten galt. Damit war sie nun auch eine große Nummer an der Wall Street.

Die Männer, die in dieser Zeit die Deutsche Bank führten, erst Hilmar Kopper, dann Rolf-Ernst Breuer, später Josef Ackermann, begründeten den Ausbau des Investmentbankings damit, dass man dort sehr viel mehr Geld verdienen könne als im Geschäft mit deutschen Firmen- und Privatkunden. Zugleich zog damit eine völlig andere Kultur in die Bank ein. Die Investmentbanker in London oder New York verdienten sehr üppig, vor allem dank ihrer riesigen Boni. Manche kassierten weit mehr Geld als die Vorstände in Frankfurt. Und sie gaben die Millionen oft mit vollen Händen aus, leisteten sich die allerbesten Immobilien, die teuersten Autos, die edelsten Clubs, die wildesten Feste. Manchmal schmiss auch die Bank die Party, so wie 2007, als Anshu Jain, der spätere Vorstandschef, die Rolling Stones anheuerte, damit sie seinen Leuten einheizten.

Je mächtiger die Investmentbanker wurden, umso mehr zerfiel die Deutsche Bank in zwei Welten: Hier die "Masters of the Universe", die mit Milliarden jonglierten; dort die Kundenbetreuer, die in Duisburg oder Rosenheim am Schalter standen. Als vor knapp zehn Jahren die Skandale überhandnahmen, versuchte die Deutsche Bank, diese beiden so unterschiedlichen Welten wieder miteinander zu versöhnen - und zwar durch eine Doppelspitze, in der beide Seiten vertreten waren: Anshu Jain, der mächtige Mann des Investmentbankings, und Jürgen Fitschen, der Landwirtssohn aus Hollenbeck, der sich vor allem um Firmenkunden gekümmert hatte.

Doch ihr Versprechen, in der Bank einen "Kulturwandel" zu vollziehen, scheiterte auf ganzer Linie. Immer wieder schob sich die Bank selbst ins Visier der Ermittler. Alles Geschichte, erklärt die Bank oft und gerne. Aber manches Vergehen aus der Vergangenheit reicht eben bis in die Gegenwart, wie auch Christian Sewing, der jetzige Vorstandsvorsitzende, zu spüren bekam. Sewing hat 1989 als Lehrling bei der Deutschen Bank in Bielefeld angefangen, in jenem Jahr, in dem Alfred Herrhausen die Morgan Grenfell kaufte. Er hat das Bankgeschäft von der Pike auf gelernt und sich bis ganz nach oben gearbeitet. Aber kaum war er 2018 ein paar Monate im Amt, durchsuchten 170 Ermittler die Zwillingstürme in Frankfurt. Denn ausweislich der Panama Papers war die Deutsche Bank in vielfältige Geschäfte ihrer Kunden mit Briefkastenfirmen verstrickt gewesen. Ein möglicher Verdacht damals: Geldwäsche. Die Bank zahlte später ein Millionenbußgeld wegen schlechter Kontrollen gegen Geldwäsche.

Um Geldwäsche, diesmal in Russland, geht es nun auch in den FinCEN-Files. Und dabei stellt sich die Frage, ob Sewing als Leiter der Konzernrevision genauer hätte hinschauen müssen, als erste Warnungen die Bank erreichten. Nein, versichert die Bank. Und von Sewing persönlich kommt dazu kein Wort.

Sewings Vorgänger John Cryan ging vor gut drei Jahren einen offensiveren Weg. Im Februar 2017 ließ er in überregionalen Zeitungen ganzseitige Anzeigen schalten, um sich so im Namen des Vorstandes für die vielen Verfehlungen der Bank seit 2008 zu entschuldigen: "Das Verhalten der Bank entsprach nicht unseren Standards und war inakzeptabel." Nicht allen in der Deutschen Bank gefiel diese Geste, manche warfen Cryan vor, er rede die Bank schlecht und treibe den Aktienkurs weiter runter.

Den kompletten Kulturwandel bekam auch er nicht hin. Bei Sewing, der sich in dieser Hinsicht viel vorgenommen hat, steht der Beweis noch aus.

Weitere Artikel, Podcasts und Interviews zu den FinCEN-Files unter www.sz.de/fincenfiles

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