Süddeutsche Zeitung

Eurozone:Rüsten für die nächste Krise

Die EU-Finanzminister einigen sich auf eine Stärkung des Euro-Rettungsschirms ESM - wegen der Bedenken eines Landes mit einem Jahr Verspätung.

Von Björn Finke, Brüssel

Mit einem Jahr Verspätung ist es nun soweit: Die EU-Finanzminister einigten sich am Montagabend bei einer Videokonferenz auf die Reform des Euro-Rettungsfonds ESM. Das war ursprünglich schon für vergangenen Dezember geplant gewesen und galt nicht als kontrovers - doch dann geriet das Projekt in die Mühlen italienischer Innenpolitik, so dass Rom nicht mehr zustimmen konnte. Aber jetzt sieht sich Italiens Finanzminister Roberto Gualtieri offenbar in der Lage, sein Placet zu geben. Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) sagte, die Einigung "stärkt den Euro und den gesamten europäischen Bankensektor". Die Entscheidung klinge sehr technisch, habe allerdings große politische Bedeutung.

Der Europäische Stabilitätsmechanismus wurde 2012 gegründet, und dieser ESM springt Euro-Staaten mit Notkrediten bei, wenn diese Probleme haben, auf dem Finanzmarkt Käufer für ihre Anleihen zu finden. Griechenland, Zypern, Portugal, Spanien und Irland profitierten bislang von diesem Rettungsschirm, dessen Chef der Deutsche Klaus Regling ist. Der Umbau soll den Fonds nun stärken: Er soll mehr Einfluss darauf erhalten, zu welchen Reformen sich Regierungen als Gegenleistung für die Geldspritzen verpflichten. Der ESM würde damit dem Internationalen Währungsfonds aus Washington ähnlicher. Zudem sollen Schuldenschnitte einfacher werden. Bei solch einem Schnitt verzichten Gläubiger von Pleite-Staaten auf Teile ihrer Forderungen. Die Einigung sieht auch vor, dem ESM das Bereitstellen vorsorglicher Kreditlinien zu erleichtern.

Ebenfalls wichtig ist, dass der ESM die Aufgabe einer Rückversicherung für den 2014 gegründeten europäischen Bankenabwicklungsfonds SRF übernehmen wird: Geht dem Single Resolution Fund in einer Bankenkrise das Geld aus, springt der ESM ein. Diese Notsicherung startet nun sogar schon Anfang 2022 und damit zwei Jahre früher als ursprünglich vorgesehen. Voraussetzung für so ein Vorziehen war, dass Europas Banken Fortschritte beim Abbau von Risiken und faulen Krediten machen - und das ist geschehen.

Scholz sagte, der frühere Beginn mache "Europas Banken krisenfester und unterstützt die Realwirtschaft: Denn ein stabiler Bankensektor ist eine wichtige Voraussetzung für Wachstum und Beschäftigung in Europa". Auch Valdis Dombrovskis, der zuständige Vizepräsident der EU-Kommission, betonte die Bedeutung "für die Realwirtschaft und dafür, das Geld der Bürger zu schützen".

Die Regierungen der 19 Länder mit der Gemeinschaftswährung sollen den geänderten ESM-Vertrag nun im Januar unterzeichnen. Danach müssen ihn die nationalen Parlamente billigen, auch der Bundestag. Das kann sich noch ein Jahr hinziehen. Insgesamt verfügt der Fonds über 705 Milliarden Euro an Kapital. Davon haben die 19 Euro-Staaten aber nur 80,5 Milliarden Euro eingezahlt - für den Rest garantieren sie bloß. Auf Deutschland als größte Volkswirtschaft entfallen 21,7 Milliarden Euro eingezahltes plus 168,3 Milliarden Euro abrufbares Kapital. Diese üppigen Garantien erlauben es dem ESM, sehr günstig Darlehen aufzunehmen und an kriselnde Euro-Länder weiterzugeben.

Der Fonds sollte auch eine Rolle beim Kampf gegen die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie spielen. Im April einigten sich die Euro-Finanzminister darauf, dass der ESM Staaten mit der Gemeinschaftswährung vorsorgliche Kreditlinien zur Verfügung stellen kann, um die Corona-Zusatzkosten im Gesundheitswesen abzudecken. Länder können für diesen Zweck Darlehen im Wert von bis zu zwei Prozent ihrer Wirtschaftsleistung reservieren, was insgesamt maximal 240 Milliarden Euro ergeben würde. Bislang hat allerdings keine Regierung diese Option genutzt.

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