Süddeutsche Zeitung

Angst nach US-Herabstufung:Schuldenkrise bedroht Kurse und Konjunktur

Wie gefährlich sind die Herabstufung der US-Staatsanleihen und die Schuldenkrise? Nun werden Warnungen vor Folgen für das Wirtschaftswachstum auch in Deutschland laut - Politiker und Notenbanker verhandeln, um einen Kurssturz an den Weltbörsen an diesem Montag zu vermeiden.

Wird die Schuldenkrise auf das Wirtschaftswachstum des Westens durchschlagen? Die Angst vor einem Börsenbeben an diesem Montag nach der S&P-Herabstufung von US-Staatsanleihen ist groß - und nun werden auch Sorgen geäußert, nach den Finanzmärkten könne die Realwirtschaft geschädigt werden.

Der Konjunkturchef des Instituts für Weltwirtschaft (IfW), Joachim Scheide, erwartet, dass die Folgen der Schuldenkrisen vor allem im kommenden Jahr durchschlagen. Die Aussichten für 2012 seien trüber als noch vor einigen Wochen, sagte er dem Handelsblatt laut Vorabbericht. Ende Juni hatte sein Institut 1,6 Wachstum für 2012 vorhergesagt. "Das würde ich heute pessimistischer sehen." Wesentlicher Grund seien die ungelösten Verschuldungsprobleme in den USA und Europa. "Das Risiko hat zugenommen, dass es weltweit zu einer Rezession kommen könnte."

Wie eröffnen die Börsen an diesem Montag?

Nach der spektakulären S&P-Entscheidung herrscht weltweit Nervosität in Wirtschaft und Politik. Die Öffnung der Börsen in Asien in der Nacht auf Montag wird mit großer Sorge erwartet - eilig sind für diesen Sonntag telefonische Notkonferenzen einberufen worden, um den Finanzmärkten die Sorge vor einer Eskalation der Schuldenkrise zu nehmen. Die S&P hatte in der Nacht auf Samstag spektakulär und erstmals in der Geschichte die US-Staatsanleihen von AAA zu AA+ herabgestuft - nachdem die Weltbörsen geschlossen hatten. Das eröffnete den Finanzmärkten und Politikern zwei Tage Zeit, um in Ruhe zu reagieren - trotzdem erwarten Ökonomen, dass an diesem Montag die Kurse an den Börsen noch fallen. Nicht zuletzt weil S&P wenig später nachlegte, die Entscheidung gegen scharfe Kritik verteidigte und warnte, es könnten weitere Herabstufungen folgen.

Die Notenbanken der Eurozone haben sich nach Angaben der Nachrichtenagentur Bloomberg für den heutigen Sonntag um 18 Uhr zu einer Telefonkonferenz verabredet. Die Präsidenten der Notenbanken wollen besprechen, wie sie die Schuldenkrise in der Eurozone in den Griff bekommen können. Ein Sprecher der Europäischen Zentralbank (EZB) wollte die Informationen nicht kommentieren. Bei den Gesprächen solle es vor allem darum gehen, wie die Notenbanken verhindern können, dass Italien und Spanien noch stärker unter Beschuss der Finanzmärkte kommen und deshalb auch unter den Euro-Rettungsschirm flüchten müssen.

Trichet drängt auf Entscheidung über Rückkauf von Italien-Anleihen

In einem Gespräch mit den Mitgliedern des EZB-Rats will Zentralbankpräsident Jean-Claude Trichet am Sonntag zudem eine endgültige Entscheidung über den Kauf italienischer Staatsanleihen erreichen, verlautet aus dem Umfeld der EZB. Sollte sich die Europäische Zentralbank zum Eingriff entschließen, würden sie und nationale Notenbanken bei Eröffnung der Märkte am Montag mit dem Kauf der Bonds beginnen, sagte eine mit dem Vorgang vertraute Person. Die Renditen für italienische und spanische Staatsanleihen waren in der vergangenen Woche mit deutlich über sechs Prozent auf ein 14-Jahreshoch gestiegen.

Auch die Finanzminister und Notenbankchefs der sieben führenden Industriestaaten (G7) haben einer Telefonkonferenz angesetzt. Diskutiert wird, das für Mitte September geplante Treffen der Finanzminister vorzuziehen. Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy, derzeit Vorsitzender der G7 und der G20, sprach am Samstagabend mit dem britischen Premierminister David Cameron über die europäische Schuldenkrise und die Situation in den USA. Über Ergebnisse wurde nichts bekannt Davor hatte es bereits mehrere Telefonate zwischen führenden Politikern aus der Eurozone gegeben. Erwartet wird für diesen Sonntag außerdem eine Telefonkonferenz der stellvertretenden Finanzminister der 20 führenden Industrie- und Schwellenländer (G20).

"Schlag ins Gesicht"

Die weltweiten Finanzmärlte sind nach dem S&P-Verdikt in Alarmbereitschaft. Die ersten Börsenreaktionen auf die Herabstufung der US-Bonität durch die Ratingagentur Standard & Poor's (S&P) geben einen Vorgeschmack, was den Finanzmärkten am Montag bevorstehen könnte: Die Börse in Tel Aviv schob am Sonntag den Beginn der ersten Sitzung der Woche hinaus. Der Start sei um 45 Minuten nach hinten verlegt worden, damit Marktteilnehmer die Zeit haben würden, "um logisch und nicht unter Druck zu reagieren", sagte eine Börsensprecherin. Im vorbörslichen Handel war der Leitindex TA-25 um mehr als sechs Prozent zurückgegangen. Auch in den Märkten im Nahen Osten wurde ein Kurseinbruch verzeichnet. Der wichtigste Marktindex im Finanzzentrum Dubai sackte zunächst um mehr als fünf Prozent ab, ehe er sich später leicht erholte.

"Es könnte Verluste geben", sagt der Chefvolkswirt der Deutschen Bank, Thomas Mayer, in Bild am Sonntag zu den Aussichten für die großen Börsen der Welt. Schlechte Nachrichten seien immer ungangehm für die Märkte. Er rechne nicht mit einem weltweiten Börsencrash, allerdings sei die Herabstufung ein "Warnschuss" für die USA. Als unmittelbare Folge hält der Experte einen Anstieg der Inflation in Deutschland für möglich, wegen der zu erwartenden Reaktion der Zentralbanken: "Die Zentralbanken werden eine höhere Inflation nicht nur tolerieren, sondern sogar im Namen der Finanzstabilität herbeiführen", sagt Mayer.

Der Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK), Gustav Horn, erwartet einen Ausverkauf an den Börsen: "Das wird die Verunsicherung an den Märkten noch weiter treiben", sagte er der Nachrichtenagentur dapd. Die Herabstufung sei "ein weiterer Schlag ins Gesicht der Weltkonjunktur" und zeige, "dass die Ratingagenturen als Brandbeschleuniger wirken. Mit einer solchen Herabstufung wird die Gefahr noch verschärft".

Auch die US-Regierung hatte Standard & Poor's kritisiert und von fehlerhaften Berechnungen gesprochen. Die Agentur hat die Entscheidung dagegen verteidigt. Sie sei zu dem durchdachten Schluss gekommen, dass die USA Schwierigkeiten haben würden, ihr ausuferndes Staatsdefizit in den Griff zu bekommen, sagten leitende Mitarbeiter. Man habe mehrfach gewarnt, dass eine Herabstufung folgen könne, wenn Kongress und Regierung keinen glaubhaften Plan zum Defizitabbau vorlegen. Die Sorge sei, dass der Kompromiss von vergangener Woche dem nicht gerecht werde.

Italien zu groß für den Rettungsschirm?

Neben den USA ist vor allem Italien schwer von der Schuldenkrise betroffen. Der italienische Staat hat einen Schuldenberg von 1,8 Billionen Euro angehäuft. Laut einem Bericht des Magazins Der Spiegel werden die Zweifel in der Bundesregierung jetzt größer, ob Italien durch den vor kurzem vereinbarten europäischen Rettungsschirm EFSF gerettet werden könne, selbst wenn er verdreifacht würde. Eine Volkswirtschaft wie Italien sei zu groß, um sie zu stützen, berichtete das Nachrichtenmagazin unter Berufung auf Experten der Regierung. Daher bestehe sie darauf, dass Italien durch Einsparungen und Reformen selbst aus der Krise finde.

Die Angst vor der Ausweitung der Schuldenkrise ließ zuletzt Forderungen nach einer Aufstockung des Rettungsschirms über die bisher vereinbarten 440 Milliarden Euro hinaus laut werden. Die Bundesregierung lehnt dies jedoch ab.

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