ESG:Ist der grüne Kapitalismus am Ende?

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Eine Ölraffinerie von Valero in Houston, Texas. (Foto: BRANDON BELL/Getty Images via AFP)

Die US-Republikaner lösen eine weltweite Revolte gegen grüne Investitionen aus. Die Widersprüche nachhaltiger Geldanlage werden nun immer sichtbarer.

Von Jannis Brühl, Meike Schreiber

Von einem neuen Verbrechen wird geraunt im beschaulichen New Hampshire. Es hört auf den Namen, den andere buchstäblich mit der Rettung der Welt verknüpfen: ESG, kurz für Umwelt, Soziales, gute Unternehmensführung (Environment, Social, Governance). Zumindest wenn es nach einigen republikanischen Abgeordneten geht, soll es New Hampshires Regierung und öffentlichen Pensionsfonds des US-Bundesstaats bald verboten sein, Geld unter diesen Gesichtspunkten anzulegen. Bei Zuwiderhandlung sollen bis zu 20 Jahre Haft drohen. Ähnliche Bestrebungen gab es in Florida, Texas und anderen Bundesstaaten.

ESG ist eigentlich der Testfall, ob der Kapitalismus gut für eine nachhaltige Welt sein kann. Die Idee: Investorengeld soll so fließen, dass Unternehmen ethisch und umweltfreundlich handeln müssen. Sonst gibt es kein Kapital. Respekt vor Umwelt, Angestellten und Minderheiten – Ethik soll das Geld lenken statt Gier. Aufseher, Investoren und Kunden können anhand von ESG-Kriterien darauf achten, dass Geld eher bei Unternehmen landet, die ihren CO₂-Ausstoß senken und in ihren Lieferketten niemanden abzocken. Wäre das nicht ein Hebel, der mehr für die Welt tut als der tägliche Einkauf im Bioladen?

Was als Idee für umweltbewusste Anleger begann, wurde zu einer Industrie. Es folgten ESG-Label und Zertifizierung für „hellgrüne“ bis „dunkelgrüne“ Ökofonds und strenge Regulierung samt Skandalen rund um Greenwashing. Unternehmen und Fonds wie ETFs mit dem Label ESG verkauften sich gut: Trotz geringerer Mittelzuflüsse erreicht das globale Vermögen nachhaltiger Fonds noch Ende 2024 ein Allzeithoch von 3,2 Billionen Dollar. Aber der Trend ist klar: 2021 steckten Anleger Zahlen des Finanzdatenanbieters Morningstar zufolge noch so viel frisches Geld wie nie in nachhaltige Fonds, die Nachfrage nach ESG-Fonds verdoppelte sich. Dann ging es abwärts. Flossen 2021 noch 645 Milliarden Dollar neu in die Fonds, waren es 2024 nur noch rund 50 Milliarden Dollar.

In den USA sind schon große Abflüsse aus ESG-Fonds festzustellen.

Dabei machten die ganz Großen mit. MSCI, größter Anbieter von Indizes, auf denen zum Beispiel die beliebten nachhaltigen ETFs basieren, verdiente sehr viel Geld mit der Vergabe von ESG-Ratings. Auch die mächtigen Vermögensverwalter Blackrock und State Street waren dabei, sie halten Anteile an praktisch allen börsennotierten Unternehmen der Welt.

Republikanisch kontrollierte Bundesstaaten wie Texas führen nun aber seit zwei Jahren eine Art Kreuzzug gegen ESG. Diese Fonds brächten weniger Rendite als konventionelle, sagen sie, was stimmt. Aber sie verklagen Vermögensverwalter wie Blackrock auch mit dem Argument, ihre Pro-Klima-Regeln würden die Strompreise hochtreiben, weil sie Kohlefirmen ausschließen.

Nun sitzt mit Trump ein Verbündeter der fossilen Energiefirmen im Weißen Haus, und die ESG-Front bröckelte umgehend: Mehrere große US-Banken und Vermögensverwalter wie Blackrock haben sich aus Klimabündnissen zurückgezogen, wie der Net Zero Alliance, in der sie sich festlegt hatten, Klimaziele einzuhalten.

Noch vor wenigen Jahren hatte Larry Fink, Blackrock-Chef und damit Treuhänder von zehn Billionen Dollar, den Kampf gegen den Klimawandel ganz oben auf die Agenda gesetzt und sich einen Klimaschal um den Hals gewickelt. Er forderte Unternehmen auf, einen Plan vorzulegen, wie sie bis 2050 klimaneutral arbeiten wollen. Fink erzählte, wie ihm eine Angelreise nach Alaska die Zerstörung der Natur vor Augen geführt habe und ihn zum Kämpfer gegen den Klimawandel gemacht hat. Kurz darauf geriet Blackrock ins Visier der Fossil-Lobbyisten. Fink wurde hart angegriffen. Er hörte auf, das Kürzel ESG zu benutzen. Wenige Tage nach Trumps Amtsantritt trat Blackrock aus den Klimaallianzen aus.

Die Furcht vor Konsequenzen in der Ära Trump

Hortense Bioy leitet die Forschungsabteilung zu nachhaltigen Investitionen des Finanzdatenanbieters Morningstar. Sie sagt, Trumps Wahl mache die Zukunft von ESG unsicher. „Die Welt der Unternehmen und Investoren hat sich an Anti-ESG-Rhetorik aus den USA gewöhnt, aber jetzt werden politische und rechtliche Entscheidungen folgen.“  Investitionen stünden auf dem Spiel, auch Steuererleichterungen und Kredite, die an ESG-Vorgaben geknüpft seien. Der vorherige US-Präsident Joe Biden hatte grüne Projekte stark unterstützt, Trump wird diese Förderungen wohl abdrehen. Bioy sagt: „Wir hören, dass einige Unternehmen und Vermögensverwalter ESG-Zusagen zurücknehmen, weil sie Konsequenzen fürchten.“ Immer mehr Fonds ändern zudem ihre Bezeichnung. Die drei Buchstaben verschwinden, fast, als würden sich Anbieter plötzlich schämen.

Die Attacke von rechts kann bei vielen in der Branche auf fruchtbaren Boden fallen. Denn das ESG-System hat Konstruktionsfehler, etwa uneinheitliche Standards. Selbst gutwilligen Anlegern dürfte es schwerfallen, bei staatlicher Regulierung und den von privaten Anbietern wie MSCI vergebenen Ratings durchzublicken. Die „Offenlegungsverordnung“ der EU ist so komplex, dass die Kommission sie nun mit einem „Vereinfachungspaket“ entschlacken will.

Auch die Ratings selbst stehen in der Kritik. Im Dreiklang „Umwelt, Soziales, gute Unternehmensführung“ konnte gutes Abschneiden in einem der Bereiche Nachlässigkeiten in einem anderen übertünchen. Einer Bloomberg-Recherche von 2021 zufolge reichte manchmal schon die Ernennung eines Datenschutzbeauftragten – gezählt als gute „Governance“ –, um CO₂-lastige Geschäftsstrategien auszugleichen.

ESG bringt Anlegern auch nicht mehr Geld

Zur Intransparenz trägt schließlich auch ein Missverständnis bei. Die meisten Anleger wissen nicht: ESG-Einstufungen werden nicht dafür vergeben, dass ein Unternehmen die Umwelt schützt. Sondern umgekehrt dafür, dass es die Risiken reduziert, die Natur und Klima auf das Unternehmen selbst haben – also inwieweit etwa Dürren oder extreme Klimaereignisse ihm schaden können. Und dass ESG-Fonds mehr Rendite bringen als konventionelle, lässt sich auch nicht beweisen. Jan Fichtner, Politikwissenschaftler an der Universität Witten/Herdecke, erforscht die „grüne“ Finanzwelt und sagt:  „Nachhaltigkeit ist per se nicht profitabel, denn man reduziert ja nur Schäden für die Allgemeinheit. Die Schwelle, damit besser abzuschneiden, ist schon mal sehr hoch.“

Der Glaube, dass ESG höhere Renditen bringt, stammt aus der Zeit vor dem russischen Einmarsch in die Ukraine und ist selektive Wahrnehmung: Damals liefen grüne Anlagen tatsächlich gut, doch mit dem Krieg schossen Aktien fossiler Energiefirmen und Rüstungsfirmen nach oben. Auf ein solches Ereignis hat ESG keine Antwort, ebenso wenig auf Trumps „Drill, baby, drill“-Politik, die Ölfirmen hilft.

Die Branche hält dennoch an dem Konzept fest. „Die Verpackung ändert sich, der Inhalt nicht“, sagt Henrik Pontzen von Union Investment, der Fondsgesellschaft der Volksbanken. Auch Trump könne den Klimawandel nicht abschaffen. Pontzens Hauptargument ist das Risikomanagement: Es werde sich auszahlen, Klimarisiken weiter zu berücksichtigen. „Unsere ESG-Fonds sind kein zartes Pflänzchen mehr, sondern ein stabiler Baum, der wächst.“

Ali Masarwah von der Fondsplattform Envestor hält das für blauäugig: „Die Fondsbranche muss sich den Vorwurf gefallen lassen, nachhaltiges Investieren für Marketingzwecke missbraucht zu haben.“ Nach dem Pariser Klimaabkommen habe das Motto der Branche zunächst gelautet, es gebe keinen Beleg, dass nachhaltiges Investieren mit einem Verzicht auf Rendite verbunden sei. Mit steigender Nachfrage nach ESG hieß es dann, es sei effektives Risikomanagement, weil Firmen mit guter ESG-Bilanz weniger anfällig seien für Skandale wie Dieselgate. Als dann ESG-Fonds in den letzten Zügen der Nullzinsphase eine überdurchschnittliche Rendite erzielten, habe es plötzlich geheißen, ESG sichere strukturelle Überrenditen. „Bedauerlicherweise hat die Politik der Branche zudem eine Carte blanche ausgestellt, dieses fragwürdige Marketing zu betreiben. Eine interessante Alternative hätte sein können, den CO₂-Ausstoß konsequent über einen effektiven Preis zu steuern“, sagt Masarwah.

Erhält ein Unternehmen Kapital über einen nachhaltigen Fonds, steckt es dieses Geld aber nicht unbedingt in nachhaltige Projekte oder die eigene grüne Transformation. Forscher Fichtner argumentiert deshalb für sogenanntes „Impact Investing“, mit einem Fokus auf dem, was hinten rauskommt. „Dass man wirklich versucht, Kriterien zu entwickeln, die man messen kann, und dann wirklich auch nachzuweisen, dass man sich unterscheidet von den normalen Fonds.“

Manche Investoren sehen in ESG trotz des Gegenwinds einen Wert. Christian Teichmann von Burda Ventures sagt, die Anstrengung, Unternehmen diverser und nachhaltiger zu machen, lohne sich: „Wir sehen, dass sich unsere Firmen damit verbessern. Nur das zählt, nicht die Meinung anderer.“

Auch Organisationen wie Urgewald, die Banken zu mehr Klimaschutz bewegen wollen, geben nicht auf. „Gerade der europäische Finanzsektor hat bereits bewiesen, dass er einen Beitrag für die Lösung der Klimakrise leisten kann“, sagt Katrin Ganswindt von Urgewald. Beispielsweise hätten einige große Vermögensverwalter in Europa ihre Kohlegeschäfte gezielt zurückgefahren. Für die Kohleindustrie sei es insgesamt viel schwieriger geworden, ihr klimaschädliches Geschäft zu finanzieren. Dass dies einen Effekt hat, sei nachgewiesen.

Das Gesetz gegen ESG in New Hampshire dürfte es übrigens nicht durch die Abgeordnetenkammer schaffen.  Dafür jubeln ESG-Gegner über ein Urteil aus Texas. Der Richter erklärte es für illegal, dass American Airlines Pensionsgelder seiner Angestellten in ESG-Fonds von Blackrock angelegt hat: Geld verdienen und in einer besseren Welt leben zu wollen, das habe ja mal wirklich nichts miteinander zu tun.

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