91 Jahre ist Erwin Müller inzwischen alt, einer der letzten großen Patriarchen in der deutschen Wirtschaft. Da ist es eigentlich so langsam an der Zeit, das Erbe gesichert zu wissen. Insofern trifft es sich aus Sicht des Drogerie-Königs gut, dass das Landgericht Ulm an diesem Montag eine Klage von drei Adoptivkindern des Patriarchen abgewiesen hat. Die drei hatten vor Jahren vertraglich auf ihren Pflichtteil verzichtet; dies dann aber juristisch angefochten.
Mit dem Urteil kehrt erst einmal Ruhe ein bei einer der größten Drogerieketten Europas mit fast 1000 Filialen in acht Ländern und insgesamt rund 190 000 Artikeln im Sortiment. Hinzu kommt wertvolles Immobilieneigentum. An diesem milliardenschweren Konzern hätten die drei Adoptivkinder von Erwin Müller gerne einen erquicklichen Anteil gehabt. Über Nacht wären sie damit zu Millionären geworden. Oder gar zu Milliardären? Doch die Justiz mag da nicht mitspielen.
Es ist einer der seltsamsten Erbkonflikte bei Wirtschaftsgrößen hierzulande. Dass unter oder mit Milliardären erbittert gestritten wird, wem was zusteht, kommt gar nicht so selten vor. Aber Adoptivkinder, die gegen denjenigen klagen, der sie in seine Familie aufgenommen hat? Und überhaupt: Was heißt hier Kinder? Es handelt sich um zwei grauhaarige Brüder und die Ehefrau des Älteren. Der eine Anfang 60, je nach Sichtweise „gelernter Büchsenmachermeister“ oder Unternehmer; sein Bruder nicht viel jünger, und sie Mitte 40. Alle aus dem Allgäu.
Müllers Anwälte sahen „Geldgier“ als Motiv
Adoptiert hat Erwin Müller sie 2015 nach Jahren des freundschaftlichen Umgangs, zu einem Zeitpunkt, als er mit seinem leiblichen Sohn Reinhard brach. Im Zusammenhang mit dem Adoptionsantrag hatten sie, wie das Gericht feststellt, durch notariellen Vertrag jeweils auf ihren Pflichtteil am Erbe verzichtet. Später wollten die Drei dann doch Millionen von ihrem Adoptivvater. Sie fühlten sich von Erwin Müller getäuscht, wie bei einer Verhandlung am Landgericht Anfang Mai klar geworden war. Die Anwälte von Erwin Müller hielten dagegen und sprachen von „Geldgier“ als Motiv für die Klage.
Zum Verhängnis bei der Justiz wurde Müllers Adoptivkindern unter anderem deren Alter. Das Gericht begründete sein Urteil auch damit, dass die Kläger bei Abschluss des Vertrages bereits im „mittleren Erwachsenenalter“ gewesen seien. Es habe sich also nicht um junge Erwachsene gehandelt, welche die „Tragweite ihres Verzichts nicht abschätzen konnten“. Was geschehen war, wird vom Gericht auch nicht als sittenwidrig erachtet.
Die zweite Zivilkammer des Landgerichts Ulm war nach der mündlichen Verhandlung auch mitnichten davon überzeugt, dass „den Adoptivkindern als Gegenleistungen für ihren Pflichtteilsverzicht von Seiten der Eheleute Müller diverse finanzielle Zusagen und Schenkungsversprechen gemacht wurden“. Dies teilte das Gericht nach der Urteilsverkündung in einer Presseerklärung mit. Im Klartext dürfte das bedeuten: Erwin Müller habe sich die Zustimmung zum Verzicht nicht erkauft. So die Sichtweise des Gerichts, das auch keine Formverstöße bei dem angegriffenen Vertrag erkennen konnte.
Wie der „Rebell von Ulm“ sein Imperium schuf
Ein Sieg also auf der ganzen Linie für den Patriarchen, der sein Imperium aus kleinsten Anfängen heraus selbst geschaffen hatte. Der im September 1932 in München geborene Erwin Franz Müller gründete nach einer Friseurlehre im März 1953 seine erste Firma: ein Herren-Friseur-Geschäft in der elterlichen Wohnung im bayerischen Unterfahlheim bei Ulm, den Salon Müller. In den Handel mit Parfümerie, Kosmetik- und Drogeriebedarf stieg Müller dann 1966 ein. Ein Jahr später machte er als „Rebell von Ulm“ von sich reden, weil er seine Filialen entgegen den Anweisungen der Friseur-Innung auch montags öffnete. In der Presse war vom „Ulmer-Figaro-Streit“ die Rede.
Nach und nach wuchs das Unternehmen, eine Filiale nach der anderen kam hinzu. Heute sind es 941 Filialen, die Mehrzahl davon in Deutschland. Hinzu kommen Drogerien in der Schweiz und in Österreich, in Slowenien, Ungarn und Kroatien, sowie in Spanien. Und eine Filiale in Liechtenstein. Der Jahresumsatz des Konzerns betrug zuletzt mehr als vier Milliarden Euro. So groß das Imperium auch sein mag, so klein ist Müllers Bedürfnis, öffentlich aufzutreten.
Auch zum Erbprozess Anfang Mai war er nicht bei Gericht erscheinen. Stattdessen kam Anita Müller, seine 25 Jahre jüngere Ehefrau. Sie hatte schon vor Prozessauftakt via Bild wissen lassen, ihr Mann und sie seien bereit zu kämpfen. Es gehe um das „Lebenswerk“ des Gründers der drittgrößten Drogeriekette Deutschlands. Dieses Werk sei „platt“, wenn die drei Adoptivkinder vor Gericht recht bekämen. Die Gegenseite widersprach.
Der Ältere der beiden Adoptivbrüder hatte vor Gericht erklärt, die Kläger fühlten sich „be- und ausgenutzt“. Sie trugen vor, Müller habe ihnen etwas vorgespielt und sie dann „aus der Familie gedrängt“. Zu Erwin Müllers 90. Geburtstag hätten sie nicht am Familientisch sitzen dürfen. Spätestens da hätten sie den Eindruck gehabt, nur benutzt worden zu sein, um den leiblichen Sohn Reinhard auszubooten. Dieser habe auf sein Erbe verzichtet und sei mit einer geringeren Summe ausbezahlt worden als ihm zugestanden hätte, wären die Adoptivkinder nicht aufgetaucht.
Doch all das nützte nichts, das Landgericht gab jetzt dem Patriarchen recht. Der wiederum hat sein Vermögen Anfang dieses Jahres drei Frauen anvertraut. Die Managerin Elke Menold rückte in den Vorstand der Stiftungen, die den Konzern in Zukunft steuern sollen. Menold prägt seit zwei Jahrzehnten das Management der Kette, vor allem die Bereiche Einkauf, Marketing und E-Commerce. Die Managerin wird mit der österreichischen Ex-Justizministerin Beatrix Karl und der Feinkost-Unternehmerin Clarissa Käfer dem Vorstand der Erwin Müller Privatstiftung in Linz, der gemeinnützigen Erwin und Anita Müller Stiftung sowie der neuen Erwin Müller Unternehmens-Stiftung in Ulm angehören.
Es heißt, Müller wolle mit der Finanzkonstruktion verhindern, dass der Konzern nach seinem Tod verkauft wird.