Erstausgabe von Aktien:Lotteriespiel mit vielen Nieten

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Anleger, die sich an einem Börsengang beteiligen, gehen ein hohes Risiko ein. Wer seit 1997 neunotierte Aktien kaufte, hat fast immer Verluste gemacht.

Von Martin Hesse

Vor nicht allzu langer Zeit erntete mitleidige Blicke, wer bei Börsengängen leer ausging. Kleinanleger klopften sich auf die Schultern, wenn sie dank raffinierter Tricks, guter Beziehungen oder einfach glücklicher Fügung Aktien von T-Online oder des Elektro-Bauelemente-Spezialisten Epcos bei der Erstausgabe zugeteilt bekamen.

An den Stammtischen stießen Hobby-Börsianer auf die Verdoppelung ihrer Einsätze an, der Held hieß nicht Michael, sondern Ulrich Schuhmacher und war Vorstandschef beim Chip-Hersteller Infineon, der auf dem Höhepunkt der Aktieneuphorie an die Börse ging. Das war im März 2000.

An die Zeit danach erinnern sich die meisten Anleger nur ungern. Die Hoffnung auf schnellen Reichtum zerplatzte so schnell, wie sie aufgekommen war.

Eine vor kurzem veröffentlichte Studie der Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger (SdK) zeigt in aller Deutlichkeit: Wer seit Anfang 1997 bei Börsengängen Aktien gezeichnet und seitdem gehalten hat, sitzt jetzt in neun von zehn Fällen auf Verlusten.

Totalverlust nicht ausgeschlossen

Nur 46 von 435 Börsenneulingen notieren über ihrem Ausgabepreis. Jede vierte erstmalige Ausgabe (Neuemission) führte zum Totalverlust, so etwa beim Medienunternehmen Kinowelt oder beim Luftschiffbauer Cargolifter - ihre Aktien sind mittlerweile praktisch nichts mehr wert.

Noch vergleichsweise gut bedient waren Anleger, die beim Börsengang der Deutschen Telekom im November 1996 Aktien zugeteilt bekamen. Die "Mutter aller Börsengänge" galt später als Geburtsstunde deutscher Aktienkultur. Privatanleger zahlten damals 28 DM je Anteilsschein. Gemessen am Schlusskurs vom vergangenen Donnerstag ergibt sich unterm Strich nur ein kleines Minus von 4,44 Prozent.

Zudem gab die Telekom in mehreren Etappen Treueaktien aus und zahlte für die Jahre 1996 bis 2001 Dividenden, so dass viele Erstkäufer mit der T-Aktie keinen Verlust gemacht haben.

Schon die weiteren Aktien-Platzierungen der Telekom im Juni 1999 und im Juni 2000 entpuppten sich jedoch als Geld-Grab, genauso wie die des Fußballklubs Borussia Dortmund, von Heidelberger Druckmaschinen und anderen Börsenneulingen.

Zu den wenigen Gewinnern zählen Firmen, die die meisten Anleger mittlerweile kaum mehr als Erfolgsgeschichte wahrnehmen dürften: Das Medienunternehmen EM.TV und der Telekomkonzern Mobilcom - beide mit knapper Not der Pleite entronnen - notieren weit über ihren Ausgabepreisen.

Das liegt vor allem daran, dass sie bereits 1997 und noch als sehr kleine Unternehmen an den Markt kamen, bevor die Kurse an den Börsen in irrwitzige Höhen schnellten.

Etwas relativiert wird die trübe Börsengang-Statistik dadurch, dass die meisten der neuen Aktien in den Jahren 1999 und 2000 ausgegeben wurden. Damals waren jedoch nicht nur neue Aktien extrem hoch bewertet, sondern auch bereits seit langem gehandelte Titel.

Inzwischen notieren auch die Kurse fast aller Unternehmen des Deutschen Aktienindex Dax, der die 30 größten börsennotierten Gesellschaften zusammenfasst, deutlich unter den damals erreichten Preisen. Insofern teilen die Börsenneulinge nur das allgemeine Schicksal.

Keine Publizitätspflicht

Dennoch ist es besonders riskant, Aktien von Unternehmen zu kaufen, die zuvor nicht an der Börse gehandelt wurden: Über ihre Geschichte ist meist weniger bekannt als bei etablierten Größen - schon deshalb, weil sie bis zum Gang aufs Parkett nicht den Publizitätspflichten für börsennotierte Firmen unterliegen.

Erst kurz vor der Aktienausgabe müssen die Kandidaten detaillierte Bilanzkennzahlen vorlegen, und erst dann erstellen Banken Analysen, in denen die Aspiranten bewertet werden.

Schon für professionelle Investoren ist es schwieriger, Börsenneulinge zu bewerten als etablierte Dax-Unternehmen. Für Privatanleger kommt erschwerend hinzu, dass sie vor dem Börsengang keinen Zugang zu den Analysen der Banken haben. Auch später vergeben die Geldinstitute ihre Studien vorwiegend an Fondsgesellschaften und andere institutionelle Investoren.

Ob die Analysen den Anlegern allerdings wirklich eine Hilfe wären, ist zweifelhaft. Aktionärsschützer kritisieren jedenfalls, dass die Banken, die Börsenneulinge betreuen und damit selber Geld verdienen, in ihren Studien systematisch ein zu schönes Bild von den jeweiligen Unternehmen zeichnen.

© SZ vom 05.06.04 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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