Süddeutsche Zeitung

Erpresserische Methoden:China: Kredit gibt es nur gegen Nacktfoto

  • Seit einiger Zeit werden in China vor allem junge Frauen dazu aufgefordert, sich nackt und mit Ausweis fotografieren zu lassen, wenn sie einen Kredit haben wollen.
  • Zahlen sie das Geld nicht zurück, könnten die Bilder im Internet veröffentlicht werden.

Von Christoph Giesen

Es klingt erfunden, so abenteuerlich und ehrverletzend ist das Prozedere, und doch existieren sie in China: die "nackten Kredite", wie chinesische Medien diese Form der Online-Erpressung inzwischen nennen. Seit einiger Zeit werden vor allem junge Frauen, zumeist Studentinnen, dazu aufgefordert, sich nackt und mit gut sichtbarem Ausweis in der Hand fotografieren zu lassen, wenn sie einen Kredit aufnehmen wollen.

Zahlen sie das Geld nicht pünktlich zurück, drohen die Verleiher damit, die Bilder im Internet zu veröffentlichen. Zwischen 500 und 5000 Yuan bewegen sich die Darlehen. Bis zu 30 Prozent Zinsen werden verlangt - und das pro Woche. Vereinbart werden die Kredite gewöhnlich beim Chatten mit den Kurznachrichtendiensten Wechat oder QQ.

Seit in den vergangenen Tagen mehrere chinesische Medien über die "nackten Kredite" berichtet haben, wird im Internet intensiv darüber diskutiert. Vor allem ein Screenshot macht derzeit die Runde. Eine Studentin, deren Name und Foto verpixelt worden ist, hatte sich offenbar 10 000 Yuan geliehen, um eine Abtreibung vornehmen zu lassen. Nun drohte der Verleiher damit, die Nacktaufnahmen ihren Eltern zu schicken, falls sie das Geld nicht binnen einer Woche nebst 24 Prozent Zinsen überweise.

Kredit zu bekommen ist schwierig

Für Studenten in China ist es nahezu unmöglich, einen Kredit abzuschließen, und das trotz happiger Studiengebühren. Auch wer einen Konsumentenkredit bekommen möchte oder eine finanzielle Anschubhilfe zum Beispiel für ein Geschäft benötigt, wird es bei den großen Banken des Landes schwer haben. Gewöhnlich hilft man sich in der Familie aus.

Die staatlichen Institute finanzieren vor allem staatliche Unternehmen oder vergeben Immobiliendarlehen. Der Grund: Im Gegensatz zu einer Bank in Europa oder in den Vereinigten Staaten sind Chinas Institute eher mit modernen Pfandhäusern zu vergleichen. Sie dürfen höchstens Dreiviertel der Einlagen ihrer Kunden wieder verleihen. Zwar kann so eine Bankenpleite wie etwa im Fall der Investmentbank Lehman Brothers in China keine Turbulenzen auslösen, da die Banken untereinander kaum miteinander verbunden sind.

Dreister Wucher wurde zwar mit harten Strafen belangt - aber vergeblich

Doch der negative Nebeneffekt ist gewaltig: Risikoreiche Geschäfte versuchen die Banken um jeden Preis zu vermeiden und leihen deshalb am liebsten an Staatskonzerne - notfalls haftet schließlich eine Provinz oder gar die Zentralregierung. Dasselbe gilt für Immobiliendarlehen, die mit der Wohnung selbst abgesichert sind. Zudem ist der Verwaltungsaufwand für die Banken geringer, wenn man lediglich einige Hundert Großkredite zu managen hat, anstatt Zehntausende Kleindarlehen im Auge behalten muss. Die Folge: Wer sich Geld in China leihen möchte, landet schnell bei obskuren Schattenbankern und ihren Wucherzinsen.

Die Regierung hat in der vergangenen Zeit mehrmals versucht, diesen Markt auszutrocknen. Allzu dreister Wucher wurde mit harten Strafen belangt - allerdings vergeblich. Längst weiß niemand mehr, wie viele Milliarden, wenn nicht gar Billionen Yuan außerhalb der Bücher von großen Banken verliehen werden. Ob nackt oder nicht.

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SZ vom 21.06.2016/hgn
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