Süddeutsche Zeitung

Saisonarbeit:Erdbeeren und Elend

Am Bodensee haben sich Erntehelfer über unwürdige Wohn- und Arbeitsbedingungen beklagt. Nun durften sie den Hof wechseln. Doch ist das Grundproblem damit gelöst?

Von Claudia Henzler, Stuttgart

Zugemauerte Fenster. Wohncontainer, in denen sich Feuchtigkeit an Decken und Böden sammelt. Mangelhafte Sanitäranlagen. Anfang Juni hatten sich Erntehelfer aus Georgien über ihre Lage auf einem Hof in Friedrichshafen am Bodensee beklagt, auf dem sie als Erdbeerpflücker eingesetzt waren. In sozialen Netzwerken veröffentlichten sie Handyvideos, die den Eindruck erwecken, dass die 24 georgischen Frauen und Männer auf diesem Hof in beengten und teilweise maroden Unterkünften untergebracht waren.

In den vergangenen Jahren machten immer wieder Fälle Schlagzeilen, in denen Erntehelfer ausgebeutet oder unwürdig behandelt wurden. Der Bauernverband und der Verband der Erdbeer- und Spargelbauern betonten, dass es sich dabei um Einzelfälle handle. Die Landwirte seien auf die Saisonkräfte angewiesen und hätten ein großes Interesse daran, diese gut zu behandeln. Doch handelt es sich wirklich um Einzelfälle, oder liegt der Fehler im System?

In Georgien wurden die Aufnahmen von dem Erdbeerhof in Friedrichshafen aufgeregt diskutiert. Fast 90 000 Menschen aus dem Land hatten sich darum beworben, in Deutschland als Erntehelfer arbeiten zu können. Das ist in diesem Jahr zum ersten Mal möglich, weil die Bundesagentur für Arbeit und die georgische Arbeitsverwaltung ein Vermittlungsabkommen geschlossen haben. Maximal 5000 Georgier können für einige Monate nach Deutschland kommen, wenn sie von hiesigen Landwirten angefordert werden. Bisher bleibe die Nachfrage der Bauern laut der zentralen Auslands- und Fachvermittlung der Bundesagentur aber deutlich hinter dieser Zahl zurück. Im Schnitt arbeiten laut der Gewerkschaft IG Bau rund 280 000 Erntehelfer im Jahr in Deutschland.

Der Fall aus Friedrichshafen, die Videos und die Diskussionen darum erreichten die deutsche Botschaft in der georgischen Hauptstadt Tiflis. Die Behörde meldete den Fall nach Deutschland. Daraufhin schaltete sich nicht nur das Landratsamt im Bodenseekreis ein, sondern auch die Beratungsstelle Mira, die sich in Baden-Württemberg für die Rechte ausländischer Arbeitnehmer starkmacht. Die Arbeitsrechtsexpertinnen von Mira haben inzwischen veranlasst, dass die georgischen Erntehelfer auf einen anderen Hof wechseln konnten. Sie haben außerdem die Rechtsvertretung für die Arbeiter übernommen, um offene Fragen zu den Arbeitsbedingungen, zur Lohnabrechnung und zur Krankenversicherung zu klären.

Der Landwirt, der die 24 Menschen beschäftigte, wies die Kritik an den Wohn- und Arbeitsbedingungen auf seinem Hof zurück. Inzwischen will er sich in den Medien nicht mehr zu der Sache äußern. Das Landratsamt hat die Unterkünfte kontrolliert und ihm eine Liste mit Mängeln vorgelegt, die er beseitigen muss. Ein Sprecher der Behörde äußert sich zuversichtlich, dass die Probleme beseitigt werden. "Es gibt eine ernsthafte Kooperationsbereitschaft", sagt er. Etwa zwei Dutzend rumänische Saisonkräfte sind auf dem Erdbeerhof noch im Einsatz.

Ist dieser Hof eine Ausnahme?

Alles in Ordnung also? Nicht aus Sicht von Werner Langenbacher. Ihn hatte die Beratungsstelle Mira als Betriebsseelsorger zu dem Fall hinzugezogen. Der Theologe und ausgebildete Mediator ist eine Besonderheit in der katholischen Kirche: Nur wenige Diözesen engagieren sich so stark in der offenen Beratung von Arbeitnehmern wie die Diözese Rottenburg-Stuttgart, die das ehemalige Land Württemberg umfasst. Zwölf Betriebsseelsorger sind dort tätig; einer davon ausschließlich auf der Baustelle des Bahnprojekts "Stuttgart 21" mit ihren vielen ausländischen Arbeitskräften.

"Wer sagt mir, dass der Hof die große Ausnahme ist?", sagt Langenbacher. Er hat mehrere Betriebe in der Bodenseeregion besucht und gesehen, dass sich viele Landwirte große Mühe geben, ihren Saisonkräften auch unter den Bedingungen der Corona-Pandemie eine gute Unterkunft anzubieten - aber eben nicht alle. Margarete Brugger von der Beratungsstelle Mira hat die Erfahrung gemacht, dass Erntehelfer immer wieder vor ähnlichen Problemen stünden: Fehlende Krankenversicherungen und intransparente Abrechnungen, Unwissenheit, wie viel Lohn für Unterkunft und Verpflegung einbehalten werde. Oft seien sie nicht über ihre Rechte informiert. Es gebe keine zentrale Stelle, an die sie sich wenden könnten.

Für die Prüfung der Arbeitsbedingungen sind verschiedene Behörden zuständig

Die zentrale Auslands- und Fachvermittlung (ZAV) der Agentur für Arbeit sagt, dass ihr keine weiteren Beschwerden georgischer Erntehelfer bekannt seien. Ihre Rolle sei jedoch beschränkt: Die ZAV prüfe die Stellenangebote der hiesigen Landwirte und leite sie an die georgische Arbeitsvermittlung weiter. Diese vermittle der ZAV dann geeignete Kandidaten. Laut ZAV mussten die Landwirte für die Teilnahme an dem Pilotprojekt in ihren Stellenangeboten transparent darlegen, welche Kosten - etwa für die Unterkunft - auf die Arbeitenden zukommen können. Die Arbeitgeber hätten sich außerdem verpflichten müssen, alle rechtlichen Vorgaben einzuhalten, etwa zum Infektions- und Arbeitsschutz. Die Prüfung der tatsächlichen Arbeitsbedingungen sei nicht Sache der ZAV.

In der Tat sind dafür verschiedene Behörden zuständig: Die Finanzkontrolle Schwarzarbeit des Zolls sowie Gesundheitsämter und Gewerbeaufsicht der Kommunen. Langenbacher hält das für unbefriedigend. Er fordert, dass zum Start der Erntesaison alle Höfe, auf denen Saisonkräfte eingesetzt werden, einmal von einer zentralen amtlichen Einheit kontrolliert werden. Um das zu erreichen, will er nun alle Beteiligten zu einem Gespräch einladen. Damit zugemauerte Fenster, feuchte Wohncontainer und mangelhafte Sanitäranlagen der Vergangenheit angehören.

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