Ernte:Keine Zeit für die saure Gurke

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Die gemeine Gewürzgurke wächst in dieser Saison unter erschwerten Bedingungen. (Foto: Nicolas Armer/dpa-tmn)

Die Cucumis sativus ist ein sensibles Wesen. Sie mag es warm, aber nicht zu heiß und hat auch gewisse Ansprüche an die Nacht. 2024 ist jedenfalls ein schweres Jahr für die saure Gurke.

Von Michael Kläsgen

Die Gurken sind auch nicht mehr das, was sie mal waren, vor allem wenn sie sauer sind. Die Gurke an sich kann vielleicht nichts dafür. Aber was soll man sagen? Sie hat gerade keinen Lauf. Keine Saure-Gurken-Zeit, nirgends.

Dabei sind in Sachsen, Sachsen-Anhalt, Niedersachsen und anderen Bundesländern längst Sommerferien. Das bevölkerungsreiche Nordrhein-Westfalen hat jetzt auch noch nachgezogen. Millionen Menschen sind also im Urlaub. Was gibt’s da also schon noch groß zu berichten? Eigentlich alles perfekt für die saure Gurke. Wären da nicht die Fußball-EM, Joe Biden, der ewige Trump, die Ampel, Wahlen in Großbritannien und Frankreich. Und natürlich die Gurke selbst.

Im Grunde hat sie nämlich ein recht sensibles Wesen. Wenn man Katja Behringer richtig versteht, muss einiges zusammenkommen, dass aus der Freilandgurke (Cucumis sativus), nicht zu verwechseln mit der langen Schlangengurke, eine richtige Senf- oder Essiggurke im Glas wird.

„Sie mag es kontinuierlich feucht und warm. Aber nicht zu heiß“, sagte Katja Behringer der Nachrichtenagentur dpa. Und die Frau muss es wissen, ist sie doch die Sprecherin des schwäbischen Unternehmens Hengstenberg. Das Familienunternehmen hat sich auf saure Sachen spezialisiert, verkauft Kraut und Kohl in Konservendosen, produziert Essig und jedes Jahr sehr viele Gläser saure Gurken. Doch die Frage ist natürlich: Wann ist es für die Gurke schön feucht und warm, aber nicht zu heiß?

Behringer sieht die Grenze klar bei 30 Grad Celsius. Bei Temperaturen über 30 Grad stelle die Gurkenpflanze ihr Wachstum einfach ein. Da könnte man meinen: alles bestens für die Gurke angesichts dieses fast schon eisigen „Sommers“. Die Temperaturen überstiegen bislang nur selten die für sie inakzeptable Schwelle. Doch das wäre vorschnell geurteilt.

Kühler als 30 Grad ist nämlich längst nicht alles, was die Gurke braucht, um sich zu voll entfalten zu können. Sie wächst außerdem nur nachts, wie Behringer sagt, „und zwar nur bei Temperaturen ab 15 Grad“. Das macht die Sache dann wieder komplizierter, aber in gewisser Weise auch interessant. Denn wenn die Nächte relativ warm, aber nicht zu heiß sind, legt die Gurke richtig los. Bis zu drei Zentimeter kann sie dann an Länge zulegen. Aber eben auch nur ab 15 Grad. Wobei, was widersprüchlich klingt, die kleinen eingelegten Gurken ja die teuersten sind. Warum also wachsen?

Der Preis ist noch stärker gestiegen als bei anderen Lebensmitteln

Keine wirkliche Hilfe für die saure Gurke ist auch der gestiegene Mindestlohn. Die Gurke wird ja nicht maschinell gepflückt, sondern mühsam per Hand auf dem Feld. Dazu legen sich die Erntehelferinnen und Erntehelfer bäuchlings auf den sogenannten Gurkenflieger, der aussieht wie ein Traktor mit Flügeln. Sie liegen also auf den Tragflächen und ziehen von dort aus mit geschickten Griffen die sensiblen Wesen aus dem Grün.

Weil ihre Löhne steigen, verteuert sich jedoch der Anbau. Für viele Landwirte lohnt er sich deswegen nicht mehr. Sie bauen weniger an, die Flächen schrumpfen, allein um ein Drittel in Baden-Württemberg. „Das Saure-Gurken-Geschäft steht vor vielen Herausforderungen“, sagt Behringer. Eine kommt noch hinzu.

Weil sie teurer geworden sind, hat auch die Nachfrage nach Gurken nachgelassen. Gurkenkonserven sind in den vergangenen vier Jahren sogar noch teurer geworden als andere Nahrungsmittel im Durchschnitt, so das Bundesagrarministerium. Und das will etwas heißen, war die Inflation bei Lebensmitteln wegen des Ukraine-Kriegs und der Energie-Krise doch besonders hoch. Man mag es drehen und wenden, wie man will, es ist im Moment einfach keine Saure-Gurken-Zeit.

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