Süddeutsche Zeitung

Erneuerbare Energien:"Wir warten zu lange"

Der Energieforscher Michael Sterner kritisiert, dass wir neue Technologien wie "Power-to-X" im Bereich der erneuerbaren Energien nicht frühzeitig nutzen. Er warnt, dass dieses Know-how bald ins Ausland abwandern könnte.

Interview von Katharina Kutsche

Michael Sterner, 39, ist Professor für Erneuerbare Energien und Energiespeicher an der Ostbayerischen Technischen Hochschule Regensburg. Er leitet die Forschungsstelle für Energienetze und -speicher und ist Experte für Power-to-X.

SZ: Herr Sterner, was verstehen Sie unter Power-to-X-Technologien?

Michael Sterner: Sie bestehen immer aus Power, englisch für Strom, und einer Variable X, etwa Gas, Wärme, Kälte oder Kraft- und Rohstoffe. Dahinter steht die Idee, dass wir die günstigste Form der Erneuerbaren Energien, also Wind und Sonne, zum Heizen, für die Mobilität, die Herstellung von Rohstoffen nutzen. Erneuerbarer Strom soll damit "Primärenergie" werden - was bisher Kohle, Erdöl oder Erdgas sind, die für die Stromerzeugung als Sekundärenergie genutzt werden. Das "to" bedeutet, dass man den Strom in eine andere Energie umwandelt.

Wie funktioniert das?

Bei Power-to-Gas: Wasser wird mithilfe von Strom per Elektrolyse in Wasser- und Sauerstoff gespalten, der Wasserstoff wird mit CO₂ kombiniert, woraus ein synthetisches Gas entsteht. Das ist dem Erdgas gleich. Mit diesem grünen Gas kann man sowohl Häuser beheizen als auch Autos antreiben und Stromlücken füllen. Über Power-to-Liquid kann man in ähnlichen Verfahren flüssige Kraftstoffe wie Flugbenzin herstellen. Und das Prinzip Power-to-Heat findet man in jeder Wärmepumpe.

Dass Sie CO₂ für die Umwandlung brauchen, wird von manchen kritisch gesehen.

Für das Klima ist die CO₂-Herkunft irrelevant, da durch Power-to-X nur eine Wiederverwertung von CO₂ stattfindet und keine Mehremission. Entscheidend ist die Stromquelle: Stammt der Strom aus der Kohle, ist die Klimabilanz negativ. Aber wenn er aus Wind, Sonne und Wasserkraft gewonnen wird, ist Power-to-X klimaneutral. Das gilt auch für die Elektromobilität. Klar ist: Nur mit Erneuerbaren Energien machen diese Technologien Sinn.

Welche Chancen ergeben sich durch Power-to-X für die Energieversorgung in Städten und Gemeinden?

Zunächst, dass sie ihre Klimaschutzziele erreichen können. Gerade in Städten haben wir hochverdichtete Räume, die Sie über Wärmepumpen in kalten Nahwärmenetzen oder grünes Gas in Blockheizkraftwerken heizen können. Aber es ist auch für die Mobilität und die Industrie wichtig, mit Power-to-X zu arbeiten. Die Elektromobilität ist nicht für alle Verkehrsbereiche geeignet, die Biokraftstoffe in Potenzial und Akzeptanz begrenzt. In der Industrie gibt es erste Containeranlagen, die mit Windstrom Wasser und Luft zerlegen, so dass Wasserstoff und Stickstoff entstehen. Auf die Art können Sie überall Düngemittel herstellen. Das ist vor allem wichtig für Bauern in Entwicklungsländern: Es macht sie unabhängig von den großen Lieferanten.

Wie ist derzeit der Forschungsstand?

Seit der Erfindung von Power-to-Gas arbeiten wir etwa zehn Jahren an dem Thema. Bund, Länder und Industrie haben 300 Millionen Euro Forschungs- und Entwicklungsgelder investiert. Wenn diese Investitionen in Arbeitsplätze fruchten sollen, brauchen wir ein Markteinführungsprogramm für die Kerntechnologie Elektrolyse. Die brauche ich in allen Technologien. Es gibt leider Personen in der Bundespolitik, die diese Technologie nicht unterstützen, weil sie der Meinung sind, dass wir sie jetzt noch nicht brauchen, erst die Stromnetze ausbauen müssten. Aber damit warten wir zu lange, denn wenn unser Fachwissen im Thema ins Ausland abwandert, primär dort Wertschöpfung erzeugt, ist das nachteilig für unseren Industriestandort. Das haben wir beim Thema Batterie erlebt.

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Quelle:
SZ vom 26.09.2017
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