Erneuerbare Energien:Ein Dorf heizt öko

Exklave Büsingen

Das Dorf Büsingen, eine deutsche Exklave in der Schweiz, setzt bei der Wärmeerzeugung ganz auf regenerative Energien.

(Foto: picture alliance / dpa)

Die kleine Gemeinde Büsingen am Hochrhein nutzt ausschließlich Sonne und Holz, um Wärme zu erzeugen. Öl ist nur noch ein Notnagel.

Von Jochen Bettzieche

Der Exklavenweg startet beim Büsinger Rathaus, führt ganz idyllisch zur ehemaligen Rheinmühle, zum Junkerhaus, der Schiffsanlegestelle und zum Strandbad. Doch die kleine Wanderung ist nicht das Einzige, wofür die Gemeinde am Hochrhein bekannt ist. Sie ist auch bekannt als Bioenergiedorf, das erste, das Solarthermie in größerem Stil zur Wärmeerzeugung nutzt.

Kern des sechs Kilometer langen Wärmenetzes ist ein Hackschnitzelheizkraftwerk. Das liefert etwa 87 Prozent der benötigten Wärme. Den Rest der 3,5 Gigawattstunden Wärme pro Jahr steuern die Vakuumröhrenkollektoren bei. 1090 Quadratmeter Fläche benötigen sie. Hinzu kommt ein Speicher, der 100 Kubikmeter Warmwasser fasst. "An schönen Tagen im Hochsommer ist er in zwei Tagen aufgeladen, das reicht auch, wenn dann drei Regentage folgen", sagt Bene Müller, Vorstand des regionalen Energieversorgers Solarcomplex, der die Anlage betreibt. Das Unternehmen hat ein ehrgeiziges Ziel: Bis 2030 will es die Energieversorgung in der Bodenseeregion weitgehend auf regenerative Energien umstellen.

Tatsächlich steht das Hackschnitzelheizkraftwerk im Sommer meistens still, da die Wärme aus den Solarkollektoren den Bedarf deckt. Das spart nicht nur Brennmaterial. Die Zeiten des Stillstands eignen sich auch hervorragend für die Wartung.

Ölheizung läuft nur wenige Stunden im Jahr

Heizzentrale, Kollektorfeld und Wärmenetz haben zusammen ungefähr 3,5 Millionen Euro gekostet. Drei Viertel der Finanzierung läuft über ein KfW-Darlehen, 100 000 Euro hat das Land Baden-Württemberg als Zuschuss gegeben. Um die 400 000 Liter Heizöl spart die Anlage pro Jahr, rechnet das Baden-Württembergische Verbundvorhaben Solnet BW in seiner Studie "Solare Wärmenetze für Baden Württemberg" vor. Die Holzhackschnitzel für Büsingen stammen aus einem Umkreis von maximal 50 Kilometern. Bei einer Laufzeit von 20 Jahren bleibt den Berechnungen zufolge eine Kaufkraft von 20 bis 30 Millionen Euro in der Region und fließt nicht in die Ölindustrie und in Erdöl fördernde Länder ab.

Büsingen ist ein Projekt von vielen.

Noch steht ein Ölkessel am Ort, falls Solarthermie und Hackschnitzelheizkraftwerk nicht genügend Wärme liefern. Das kann bei Wartungsarbeiten vorkommen. Die Ölheizung läuft jedes Jahr ein paar Stunden, weiß Müller: "Aus psychologischen Gründen ist die Anlage nötig, denn nicht jeder glaubt an erneuerbare Energien." Technisch könne man aber darauf verzichten.

Tatsächlich galt es zu Beginn, auch die Skeptiker am Ort zu überzeugen. Wie bei fast jedem Projekt aus dem Bereich erneuerbare Energien gab es Informationsveranstaltungen für die 1400 Einwohner von Büsingen. Die Stimmung war geteilt, erinnert sich der heutige Bürgermeister Markus Möll: "Der Gemeinderat diskutierte sogar, ob wir die Anlage nicht selber bauen und betreiben." Schließlich durfte das Unternehmen Solarcomplex das Projekt umsetzen.

Exklaven-Status macht Wärme günstiger

Etwa 110 von circa 600 Gebäuden in der Gemeinde sind an das Wärmenetz angeschlossen. Hotel, Rathaus, Kindergarten und Schule gehören zu den Großabnehmern. In den Sommermonaten liefert die Solarthermieanlage die gesamte benötigte Wärme. Einige Hausbesitzer haben sich den Zugang zum Wärmenetz legen lassen, wollen den endgültigen Anschluss aber erst, wenn ihre alte Heizung ausgetauscht werden muss. "Das sind aber weniger als zehn Gebäude", erklärt Müller.

Erneuerbare Energien: Röhrenkollektoren sammeln in Büsingen die Sonnenwärme ein. Das Dorf, eine deutsche Exklave in der Schweiz, setzt auf Wärmeversorgung mit erneuerbaren Energien.

Röhrenkollektoren sammeln in Büsingen die Sonnenwärme ein. Das Dorf, eine deutsche Exklave in der Schweiz, setzt auf Wärmeversorgung mit erneuerbaren Energien.

(Foto: Ritter XL Solar GmbH)

Dass sich Büsingen für Solarthermie entschied und auf der Fläche keine Fotovoltaikanlage steht, liegt auch an der besonderen geografischen Lage. Die Gemeinde ist die einzige Exklave Deutschlands. Sie ist vollständig von der Schweiz umgeben. Rechtlich gehört sie zu Deutschland, ist aber an den Wirtschaftsraum Schweiz angeschlossen. "Das bedeutet, wir beziehen unseren Strom aus der Schweiz, zahlen keine EEG-Umlage, erhalten aber auch keine Förderung", erläutert Bürgermeister Möll.

Diese besondere Lage macht die Wärme für den Endverbraucher auch günstiger als an anderen Standorten in Deutschland. "Wir rechnen nur die Schweizer Mehrwertsteuer in Höhe von 7,6 Prozent ab, obwohl die Kunden in Euro zahlen", nennt Müller einen Vorteil. Solarcomplex selbst versteuert seine Einnahmen wiederum in Deutschland.

Jedes Bauteil musste durch den Zoll

Vor allem während der Bauphase sorgte der Exklaven-Status für Probleme. Jedes Bauteil, jedes Werkzeug wurde am Zoll deklariert. Darüber hinaus musste der Nachweis erbracht werden, dass die Bauteile tatsächlich in Deutschland und nicht in der Schweiz verbaut wurden beziehungsweise, dass Werkzeuge nicht im Nachbarland blieben, sondern wieder zurück nach Deutschland transportiert wurden. "Den damit verbundenen, enormen Aufwand haben wir unterschätzt", sagt Müller heute.

Seit 2013 läuft die Anlage mittlerweile. Betreiber und Gemeinde äußern sich zufrieden und würden rückblickend kaum etwas anders machen. Mit einer Ausnahme. "Heute würden wir den Standort so wählen, dass auch der Ortsteil Stemmer an das Netz angeschlossen werden kann", erklärt Möll. Der liegt zu weit von der Anlage entfernt und hat daher stattdessen jetzt Gasleitungen erhalten. "Die gab es bisher auch nicht", sagt Möll.

Derzeit plant die Gemeinde ein neues Wohngebiet mit 18 Häusern. Das will sie gleich in das Wärmenetz integrieren. Darüber hinaus hat sie ein Sanierungsprogramm gestartet. "Wohneinheiten, die mitmachen, werden energetisch saniert, dadurch können mehr Gebäude an das Wärmenetz angeschlossen werden", erläutert Möll.

Müller denkt noch weiter. Momentan ist Wärme zwar angesichts des niedrigen Ölpreises günstig. Aber das werde sich langfristig ändern: "Wir wollen die Anlage dann erweitern."

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