Süddeutsche Zeitung

Erneuerbare Energie:Offshore-Windparks werden immer billiger - und bringen neue Risiken

Lesezeit: 2 min

Von Michael Bauchmüller, Berlin

Wenn Borkum Riffgrund West 2 wirklich kommt, dann sprengt er alle Dimensionen. Mitten in der Nordsee entstehen dann Windräder, die fast doppelt so groß sind wie alles, was sich bislang zur See so dreht. Jedes einzelne wird drei-, vielleicht auch viermal mehr Strom liefern. Und vor allem: Öffentliche Förderung soll es dafür nicht mehr geben. Der Windpark soll sich allein über den Verkauf von Strom finanzieren.

"Die Situation hat sich enorm verändert", sagt Martin Neubert. "Wir gehen jetzt in die Phase der industriellen Fertigung." Alles werde größer - und billiger. Neubert ist Strategiechef beim dänischen Stromkonzern Dong und damit derjenige, der das Projekt angeschoben hat. Kurz vor Ostern hatte Dong den Zuschlag bekommen für die Errichtung des Windparks, erstmals per Ausschreibung. Bei 0 Cent Förderung waren die Dänen konkurrenzlos, neben dem Windpark bei Borkum hatten sie noch einen anderen zum Nullpreis im Angebot. Auch der baden-württembergische Stromkonzern EnBW sicherte sich einen Claim zu 0 Cent Förderung. Gebaut wird zu Beginn der 20er-Jahre.

Jetzt herrscht Aufruhr bei den Ökostromern: Seit Jahren werden Windparks mit Milliarden von der Gemeinschaft der Stromkunden gesponsert, gerade Projekte zur See galten als besonders teuer - und nun soll das plötzlich ohne jede Förderung gehen? Heikle Fragen tun sich auf. Wenn sich der Windstrom auf dem Meer so günstig erzeugen lässt - wozu braucht es dann noch die vielen neuen Windparks an Land? Zumal die vielerorts angefeindet werden - und der Wind auf dem Meer meist stetiger weht als jenseits der Küsten. Windräder mit einem Rotor-Durchmesser von 200 Metern und mehr sind an Land ohnehin schwer vorstellbar. Ganz anders auf dem Meer, wo die Mühlen kaum einer sieht.

Die Kampagne für mehr so genannte "Offshore"-Energie ist schon in vollem Gange. Schon verlangt das Bundesverkehrsministerium einen verstärkten Ausbau der Windkraft zur See. Denn bisher ist sie beschränkt. Die Bundesregierung hatte dafür 2014 eine Höchstgrenze ins Gesetz geschrieben, sie sollte ausufernde Kosten verhindern: Bis 2030 sollen demnach nur Windparks mit einer Gesamtleistung von 15 Gigawatt in Nord- und Ostsee entstehen. Das entspräche der Leistung von knapp 15 Atomkraftwerken. Davon ist jetzt schon fast ein Drittel erreicht, rund 1000 Windräder drehen sich mittlerweile zur deutschen See. Bleibt es bei dem Limit, dann wäre der Boom bald zu Ende. "Dieser Deckel muss aufgebohrt werden", verlangt Dong-Strategiechef Neubert - und mit ihm so manche Landesregierung in Norddeutschland.

Nach der Bundestagswahl könnte die Begrenzung kippen. Der Preisverfall dürfte dabei helfen. Ob das der Energiewende nutzt, ist allerdings umstritten. Das Bundeswirtschaftsministerium etwa warnt vor den Folgen eines ungezügelten Ausbaus zur See. "Eine Stromversorgung ist dann stabil, wenn verschiedene Technologien regional verteilt Strom erzeugen", sagt Urban Rid, zuständiger Abteilungsleiter im Ministerium. Je gleichmäßiger das Netz ausgebaut werde, desto stabiler sei es. Oder andersherum: Eine Flaute in der Nordsee brächte dann nicht gleich die halbe Stromerzeugung zum Erliegen. Für wachsende Mengen an Meeresstrom würden die geplanten Stromautobahnen nicht mehr reichen. "Wir müssten noch deutlich mehr davon bauen, um den Strom zu den Verbrauchszentren im Süden zu bringen." Das aber verschlingt Zeit und Geld. Sonderlich beliebt sind die Leitungen ohnehin nicht. Auch Experten warnen davor, die Sonderangebote zur See zu überschätzen. "Offshore hat jetzt vorgelegt", sagt Patrick Graichen, Chef des Berliner Thinktanks Agora Energiewende. "Aber ich gehe davon aus, dass Wind an Land nachzieht." Dort werde sich der Strom "dauerhaft zu günstigeren Kosten" produzieren lassen als zur See. Ein Gutes freilich hat der neue Wettbewerb zwischen Meer und Land: Für die Verbraucher wird die Energiewende billiger.

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SZ vom 05.05.2017
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