Die Vorspeise bleibt unangetastet. Dominik Richter, 30, gesunder Teint und eine sehr sorgsam gelegte Föhnwelle, muss viel erzählen und erklären. Denn er will Hello Fresh, sein vor vier Jahren mit einem Freund gegründetes Unternehmen, im Herbst an die Börse bringen. Das zumindest sagen Leute aus der Bankenszene. Richter lächelt nur - und sagt stattdessen, dass er "diese Passion für Essen" habe. Passion, englisch ausgesprochen, nicht einfach nur Leidenschaft.
Die Pläne für einen Börsengang, sagt ein Insider, befänden sich noch in einem frühen Stadium. Im Oktober oder November könnte es so weit sein. Es wäre das erste Unternehmen, das die Start-up-Schmiede Rocket Internet seit dem eigenen Börsengang im vergangenen Herbst in die raue Wirklichkeit entlässt. Ein Test, ob die Raketen wirklich zünden.
Oliver Samwer, der wichtigste Mann bei Rocket Internet, versteht die Beteiligungsgesellschaft wie eine Fabrik, in der am Fließband Unternehmen gefertigt werden. Doch die Fertigung dauert. Rocket Internet musste zuletzt viel Geld nachschießen, was bei Investoren schlecht ankam. In den vergangenen sechs Wochen ist der Aktienkurs um 38 Prozent abgesackt - und der Druck auf Samwer gestiegen: Er muss nun zeigen, dass das, was er da in seiner Fabrik zusammenschraubt, da draußen auch allein auf den Straßen rollen kann. Dass Hello Fresh, um noch größer zu werden, selbst an Geld kommt. Und an Geld kommt nur, wer Investoren mit einer Idee begeistert. Einer, die den Zeitgeist trifft. Kochboxen also.
Die Boxen, in denen unter Kühlpacks Rindfleisch und neben Pappwänden auch noch frische Pflaumen, Nudeln und eine Portion Chiliflocken liegen, passen perfekt in eine Gesellschaft, in der es immer hektischer zugeht - und in der sich mehr und mehr Menschen nach Orientierung sehnen. Mitgeliefert werden nämlich auch drei Rezepte, für deren Zubereitung niemand mehr als 30 Minuten brauchen soll, und Tipps, welche der Zutaten für die drei Gerichte in die Speisekammer und welche in den Kühlschrank gehören.
"Zeit ist zu einem knappen Gut geworden", sagt der Trendforscher Peter Wippermann. "Zeit zum Einkaufen, aber auch Zeit, um das Kochen zu lernen." Das Wissen, wie man gutes Essen zubereitet, werde nicht mehr von der Mutter an die Tochter weitergegeben. "Gleichzeitig ist aber das Bedürfnis nach gesundem und selbst gekochtem Essen gestiegen." Und das Bedürfnis, das gute Essen zu zeigen. Auch deshalb richten sich Anbieter, die Maßgeschneidertes zum Kochen liefern, an eine nicht mehr ganz junge, schon gut verdienende Zielgruppe, die, zum Beispiel wenn sie Freunde einlädt, "was Inspirierendes, über die Alltagsküche hinaus machen will", wie es Ramin Goo ausdrückt. Der einstige Unternehmensberater hat vor fünf Jahren die Kette Kochhaus gegründet, in deren Läden man Waren nach vorgegebenen Rezepten kauft. Je weiter mangelndes Wissen und der Drang, sich über Essen darzustellen, auseinanderklaffen, desto mehr Anbieter versuchen ihr Glück.
Hello Fresh setzt dabei aufs Internet: Das über Generationen weitergegebene Wissen, was man aus einem Kürbis machen kann, übernehmen ein paar Klicks aus dem Smartphone. Den Weg zum Spezialisten, der auch noch Safran hat, der Kurierdienst. Kochhaus bietet zwar auch Kochboxen im Abo, glaubt aber an den "Einkauf als ein physisches Erlebnis", wie Goo betont. Deshalb kooperiert er in Zukunft mit Edeka: In ausgewählten Filialen des Supermarkts soll auf 20 Quadratmetern das Gleiche wie in den zwölf Filialen des Kochhauses geboten werden.
Bislang bestellen die Deutschen nicht mal ein Prozent ihres Essens im Netz
"Dort, wo die Arbeitswelt klar getaktet ist, bleibt auch die Zeit, gemeinsam mit der Familie zu kochen", sagt Trendforscher Wippermann. Dort aber, wo die Arbeitszeiten immer schwammiger werden, bleibt wenig Platz für solche Rituale. "Die to-go-Kultur hat sich nicht zufällig mit der New Economy etabliert." Kochfertig zusammengestellte Zutaten geben dem gestressten Großstädter nun, nachdem der Ruf der New Economy ordentlich gelitten hat, etwas von der Heimeligkeit vergangener Zeiten zurück: Es geht nicht mehr nur darum, sich zu ernähren. Es geht auch um Genuss und Gesundheit.
Die Idee stammt aus Schweden. Und zwar, so will es der Gründungsmythos des dortigen Anbieters, von einer Managerin und dreifachen Mutter, die selbst daran scheiterte, ihre Familie mit einem gesunden Abendessen glücklich zu machen. Die Firma heißt dann auch Middagsfrid, übersetzt: Friede beim Abendessen. Im vergangenen Jahr hat sie acht Prozent der schwedischen Haushalte versorgt. Das deutsche Pendant, das vier Jahre später loslegte, erreicht in den sieben Ländern, in denen es seine Essenspakete verschickt, gerade einmal 0,13 Prozent aller Haushalte, wie Richter vorrechnet. Er hält das, so sagt sein siegesgewisses Lächeln, für eine Botschaft an die Investoren: Da ist noch viel zu holen.
"Für nichts wird in Haushalten so viel ausgegeben wie fürs Essen", sagt Richter. Bislang aber bestellen die Deutschen nicht einmal ein Prozent dessen, was sie essen, im Netz. 600 Millionen Euro sind im vergangenen Jahr in Onlinebestellungen von Gemüse, Joghurt oder Putenbrust geflossen - eine Summe, die bereits seit einigen Jahren stabil bleibt. "Der Deutsche fährt lieber zum Supermarkt", sagt der Handelsexperte Gerrit Heinemann. Rein statistisch erreicht jeder deutsche Haushalt innerhalb von fünf Minuten im Auto mehr als sechs Lebensmittelgeschäfte. Die Not, die Einkäufe im Netz erledigen zu müssen, ist also nicht allzu groß. Anders etwa als in Frankreich bieten die hiesigen Händler auch keine zentralen Kühlstationen an, wo man den Einkauf auf dem Heimweg einsammelt. Wer hier Frisches online ordert, zahlt schnell mal happige Zuschläge oder Pfand für die Kühlbox. Und da sich die Deutschen zu zwei Dritteln ihr Essen beim Discounter holen, rechnet es sich für die etablierten Händler auch nicht, in eine bequemere Lieferung zu investieren.
Der Kochgehilfe
Dominik Richter hat mit seinem einstigen Mitbewohner Thomas Griesel 2011 Hello Fresh gegründet, heute verschicken sie vier Millionen Mahlzeiten im Monat.
Anbieter wie Hello Fresh, Kommt essen, Marley Spoon oder Unsere Schlemmertüte hingegen locken nicht mit dem Versprechen, nur an die Haustür zu bringen, was man nicht in sperrigen Kisten am Samstagvormittag erst ins Auto und dann die Treppe hoch schleppen will. Sie wollen dem Kunden beim Kochen all das abnehmen, was kompliziert ist. Das Grübeln, welche Zutaten sich am besten kombinieren lassen, wie man seinen Speiseplan abwechslungsreich und ausgewogen macht. Die Besorgungen. Und demnächst auch das schlechte Gewissen, wenn sie, wie es Hello Fresh in einigen Städten erprobt, all das Verpackungsmaterial wieder abholen.
Es ist Freitagabend im als hypergentrifiziert geltenden Münchner Gärtnerplatzviertel. Hier hat das Kochhaus eine Filiale, direkt am blumengeschmückten, namensgebenden Platz des Stadtteils, den Porschefahrer gern zwei Mal umrunden. In dem Laden mit Holzboden, Körben und Weinregalen an der Wand liegen einzelne Zwiebeln, Chilischoten und Tütchen mit Gewürzen in wenigen Gramm auf Tischen bereit. Darüber stehen auf Tafeln Rezepte, Mangomousse etwa oder gedünsteter Fisch, jeweils mit Beilagen. Rezeptbasiertes Einkaufen. Alle Zutaten, vom Koriander bis zum bereits vorportionierten Risottoreis, kann der Kunde am Tisch mitnehmen, abgestimmt auf die Anzahl der Esser.
Was für Großstädter gedacht war, ist längst auf andere Kundenkreise ausgedehnt: Es gibt Kochkurse, Bücher und eine App. Auch ein Abo, bei dem jede Woche zwei bis vier Rezepte vorgeschlagen und per Mausklick die Zutaten bestellt werden können, gibt es seit zwei Jahren bundesweit. Bereits mehr als 1000 Kunden nutzen das. Es ist ein praktisches, aber keineswegs günstiges Vergnügen: Die einzelne Zwiebel kostet 20 Cent. Selbst im Biomarkt kostet ein Kilogramm 2,69 Euro. Die Preise der meisten Kochboxen sind etwa ein Drittel teurer als die gleichen Zutaten aus dem Supermarkt.
150 Millionen Euro hat allein Hello Fresh bei Investoren eingesammelt
Trendforscher Wippermann nennt das "den geldwerten Vorteil, den vor allem gebildete Großstädter in ihre Zeit und ihre Gesundheit investieren". Natürlich auch, weil sie es sich leisten können. Das macht die Anbieter von Kochboxen ja so interessant für Investoren. Da steckt Geld drin.
Hello-Fresh-Gründer Dominik Richter ist also nicht der einzige Kochgehilfe, aber der erfolgreichste. Bislang. Vier Millionen Mahlzeiten liefert sein Unternehmen monatlich an mehr als 280 000 Haushalte aus. Der Jahresumsatz liegt bei etwa 70 Millionen Euro. Sie waren sogar schon in den USA, ehe sich auch dort Start-ups daranmachten, gestressten Großstädtern Hilfe am Herd zu gewähren. Und für seine Kunden will Richter noch praktischer, für seine Gesellschafter noch gewinnbringender werden: "Wir denken darüber nach, auch noch Küchengeräte anzubieten." Zu den vier Investoren, die seit Dezember 2012 insgesamt 150 Millionen Euro in das Start-up gesteckt haben, zählt auch der Küchengerätehersteller Vorwerk. "Wir sind tiefenentspannt", sagt Richter auf all die Fragen nach dem möglichen Börsengang und den möglichen Erwartungen des Mehrheitseigners Rocket Internet. "Auch weil wir von vielen aus der Investorencommunity angesprochen werden."
Vom Gulasch mit dem Klecks Sauerrahm und den Salzkartoffeln, die nach der Vorspeise serviert werden, nimmt Richter wenigstens ein paar Happen.