Ermittlungen gegen Winterkorn:Abgas-Affäre bei VW: Wer wann was gewusst haben soll

Volkswagen

Das Verwaltungshochhaus am VW Werk in Wolfsburg

(Foto: dpa)

Wer im VW-Vorstand wusste wann was über die manipulierten Schadstoff-Messungen? Und was geschah dann? Ein vorläufiger Überblick auf Basis gemeinsamer Recherchen von SZ, NDR und WDR.

Von Klaus Ott

27. Juli 2015: Winterkorn am Schadenstisch

In der Wolfsburger Konzernzentrale trifft sich der sogenannte "Schadenstisch". Das ist eine regelmäßige interne Runde, bei der Schadens- und Produktthemen besprochen werden. Mit dabei an diesem Tag: Vorstandschef Martin Winterkorn und der neue VW-Markenvorstand Herbert Diess, der erst vier Wochen vorher von BMW zu VW gekommen war.

Am Schadenstisch teilen VW-Mitarbeiter "möglicherweise erstmals mit", dass Probleme bei Diesel-Fahrzeugen in den USA auf einer "Softwareveränderung" beruhen könnten, die den Schadstoff-Ausstoß bei Messungen auf dem Prüfstand beeinflusse. So steht es in einem Schriftsatz von Ende Februar 2016, mit dem VW sich beim Landgericht Braunschweig gegen Schadenersatzklagen von Aktionären wehrt.

Winterkorn und Diess könnten also am 27. Juli wichtige Hinweise bekommen haben. In dem VW-Schriftsatz heißt es weiter: "Weder der konkrete Inhalt dieser informellen Besprechung noch die konkreten Zeitpunkte, zu denen die betreffenden Vorstandsmitglieder teilnahmen, lassen sich indes im Detail klären." Angeblich wird an diesem Tag nicht mitgeteilt, dass es um einen Verstoß gegen US-Recht gehe. Winterkorn habe gefordert, "den Sachverhalt weiter aufzuklären".

6. August 2015: Warnung vor US-Klagen

Die von VW inzwischen zu Rate gezogene US-Anwaltskanzlei Kirkland & Ellis verweist in einem Memo für Volkswagen darauf, dass bei früheren vergleichbaren Fällen anderer Autokonzerne keine allzu hohen Zahlungen an die US-Behörden fällig gewesen seien. Das bislang höchste Bußgeld habe 100 Millionen für die Hyundai-Kia-Gruppe betragen, bei 1,1 Millionen betroffenen Fahrzeugen. Bei VW geht es in den USA um knapp eine halbe Million Fahrzeuge.

Kirkland & Ellis warnt allerdings, dass Sammelklagen von US-Verbraucheranwälten zu erwarten seien, falls eine Untersuchung von oder ein Deal mit US-Umweltbehörden öffentlich bekannt werde (solche Klagen können für die betroffenen Unternehmen sehr teuer werden). Das Memo geht unter anderem an einen mit dem Fall befassten VW-Justitiar in der Konzernzentrale.

24. August 2015: Alarmierende Hinweise

Bei einem Treffen in der Wolfsburger Konzernzentrale werden laut einem Bericht von Bild am Sonntag "hochranginge VW-Mitarbeiter" über alarmierende Entwicklungen in den USA informiert. US-Behörden drohten mit den höchsten Strafen, die ein Autokonzern jemals habe zahlen müssen. Man müsse sich auf Strafen in Höhe von mehr als 20 Milliarden Dollar einstellen. Auch ein Mitarbeiter von Finanzvorstand Hans Dieter Pötsch soll zugegen sein.

Einem Bericht des Spiegels zufolge sollen an diesem Tag VW-Markenchef Diess und ein weiteres Vorstandsmitglied von den Manipulationen in den USA erfahren haben.

Wann der Vorstand von den Manipulationen erfahren hat

Anfang September 2015: Vorstand im Bilde

Der VW-Vorstand erfährt von den Manipulationen. Das steht so in dem Schriftsatz, mit dem sich VW bei Gericht gegen Aktionärs-Klagen wehrt. In dem Schriftsatz der Volkswagen AG heißt es, der Vorstand habe kurz vor der Offenlegung des Gesetzesverstoßes gegenüber den US-Behörden am 3. September 2015 davon "Kenntnis" erlangt. Anschließend sei der Vorstand davon ausgegangen, dass nur rund 485000 Fahrzeuge in den USA betroffen seien und dass die finanziellen Folgen der Manipulationen keine konkreten, erheblichen Auswirkungen auf den Kurs der VW-Aktie haben würden.

Die Darstellung im VW-Schriftsatz, der Vorstand habe kurz vor dem 3. September 2015 von den Manipulationen erfahren, wird später von Volkswagen auf eine Nachfrage von SZ, NDR und WDR hin eingeschränkt. Nicht alle Vorstandsmitglieder und "auch nicht der Gesamtvorstand als Organ" hätten vor der Veröffentlichung der Manipulationen am 18. September 2015 durch die US-Behörden davon gewusst. Wer wann was gewusst haben soll, teilt VW allerdings nicht mit.

September 2015: Geheimhaltung

Finanzvorstand Pötsch und VW-Juristen gehen davon aus, dass sich eine etwaige Geldbuße in den USA "im Rahmen der bisherigen Behördenpraxis bewegen, d.h. maximal einen hohen zweistelligen bzw. unteren dreistelligen Millionenbetrag betragen würde. Eine solche - wenn auch sicherlich schmerzhafte - Bußgeldzahlung wäre für Volkswagen finanziell ohne weiteres verkraftbar gewesen ..."

Das Thema habe also keine Relevanz für den Aktienkurs. Auch das steht in dem Schriftsatz, mit dem sich VW gegen Aktionärsklagen wehrt. Dem Schriftsatz zufolge entscheidet sich VW im September 2015 für eine zumindest "vorübergehende Geheimhaltung" der Manipulationen in den USA, um in Ruhe einen Deal mit den US-Behörden aushandeln zu können. Der Vorstand geht davon aus, "dass größerer Schaden von der VW-Gruppe abgewendet werden könne ..."

18. September 2015: US-Behörde informiert Öffentlichkeit

Die US-Umweltbehörde EPA macht die Manipulationen öffentlich bekannt. Erst danach informiert der VW-Vorstand den eigenen Aufsichtsrat. Erst danach lässt der VW-Vorstand untersuchen, ob auch in anderen Ländern die Schadstoffwerte manipuliert wurden und kommt auf elf Millionen betroffene Diesel-Fahrzeuge. Erst danach erstattet VW Strafanzeige bei der Staatsanwaltschaft Braunschweig wegen Gesetzesverstößen im eigenen Hause.

22. September 2015: VW informiert Börse

VW spricht in einer Ad-Hoc-Mitteilung für die Börse von weltweit elf Millionen Fahrzeugen, die "auffällig" seien. Man habe für die drohenden finanziellen Folgen 6,5 Milliarden Euro zurückgestellt. "Volkswagen duldet keine Gesetzesverstöße."

Nachtrag: Der Aktienkurs ist seit Beginn der Affäre von mehr als 160 auf derzeit unter 125 Euro zurückgegangen.

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