Süddeutsche Zeitung

Erich Klemm:Abschied von Daimlers "oberschtem Arbeitnehmervertreter"

Er hat bei Tarifverträgen mitdiskutiert, die Deutschland bis heute prägen: Für seinen Ruhestand hätte sich Erich Klemm, Betriebsratschef der Daimler AG, keinen besseren Tag aussuchen können. Doch geehrt wird er ausgerechnet von jemandem, dessen Karriere er eigentlich beenden wollte.

Von Max Hägler, Stuttgart

Man darf annehmen, dass es auch ein wenig geschickte Planung war vom abgebrühten Strategen Erich Klemm: Ausgerechnet zum 1. Mai, zum Tag der Arbeit, geht der oberste Arbeitnehmervertreter von Daimler in den Ruhestand. 270 000 Arbeiter und Angestellte hat der 60-Jährige vertreten, sehr wahrnehmbar: Wohl nur noch die streikenden Lufthansa-Piloten standen im vergangenen Jahrzehnt so oft in der Zeitung wie die Daimler-Schaffer.

Er hat entscheidend an Tarifverträgen mitdiskutiert, die Deutschland immer noch prägen, hat die 35 Stunden-Woche für Metaller miterkämpft. Und jetzt eben der Abschied, ausgerechnet zum Hochfest der internationalen Arbeitnehmerbewegung. Ein Symbol, das zum Leben des Gewerkschafters passt, der mit seinem akkurat gekämmten grauen Haar zurückhaltender aussieht, als er ist. Und das deutlich machen soll, welche Rolle Gewerkschaften und Betriebsräte weiterhin spielen, auch wenn ihre Mai-Kundgebungen und "Maispaziergänge" mittlerweile an Bedeutung verloren haben.

"Einer der mächtigsten" seiner Zunft

Die offizielle Abschiedsfeier von Klemm am Vorabend des Ruhestands beweist das Gegenteil: Die Arbeitnehmer, zumindest in den großen Unternehmen, arbeiten auf Augenhöhe mit den Eigentümern und Managern. Alle sind sie ins Event-Center am Randes des Mercedes-Werks Sindelfingen gekommen: Der Aufsichtsratschef Manfred Bischoff und sein mächtiger Vorgänger Hilmar Kopper, ehemals Deutsche-Bank-Chef und Dirigent der Deutschland AG, mit dem Klemm als Aufsichtsrat ebenfalls diskutierte. Dazu Vorstandschef Dieter Zetsche - einschließlich seiner sechs Kollegen. Der stellvertretende Bundesvorsitzende der IG Metall, Jörg Hofmann. Und auch noch Klemms SPD-Parteifreundin, Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles.

Es ist eine Versammlung, die auch noch eine spezifische unternehmensgeschichtliche Kuriosität hat: Klemm wird da vom Rednerpult aus geehrt von dem Mann, dessen Karriere er und seine Gewerkschaftskollegen eigentlich beenden wollten: Dieter Zetsche. Ein Jahr ist es jetzt her, dass sich die Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat seiner Vertragsverlängerung widersetzten.

Bei Tarifverhandlungen schlief er auch mal unter dem Tisch

Nur mit einer Rochade im Vorstand und einer verkürzten Laufzeit von drei statt fünf Jahren konnte Chefkontrolleur Bischoff die Blamage seines Schützlings Zetsche abwenden und wie üblich eine einstimmige Aufsichtsratsentscheidung bekommen. Seitdem ist die sowieso schwierige Arbeitsbeziehung endgültig zerrüttet gewesen. Und jetzt dankt Zetsche seinem Gegner tatsächlich "mit Nachdruck" - wenn er auch schmunzelnd oder vielleicht auch grinsend eingesteht, dass er sich auf diesen Abschied seines Kontrahenten gefreut habe.

Sternzeichen Stier ist Klemm, "einer der mächtigsten" seiner Zunft in ganz Deutschland, wie auch er selbst, sagt Zetsche. Und die unter diesem Sternbild geborenen seien "friedliebend, aber keine Weicheier". Ja, das sagt Zetsche tatsächlich zu dem "Co-Manager" wie er ihn nennt. Autobau ist eine Männerbranche. Hier gilt sowas als versöhnliche Geste. Dazu passen die Anekdoten an diesem Abend: Klemm, das sei einer, erzählen sie, der sich bei Tarifverhandlungen gern noch nach Mitternacht ein "fettes Essen" genehmigt habe, um sich dann gegen drei Uhr früh kurz zum Schlafen unter den Tisch zu legen. Auch das ist eben Gewerkschaftsarbeit: Die Rituale der Tarifverhandlungen samt ihrer Auswüchse, die auch den Arbeitgebern Respekt abverlangen.

Ganz sanft stimmt die Daimler-Big-Band jetzt Elton John's "Don't go Breaking my Heart" an. Die Disco-Lichter blinken. Man könnte meinen, es herrsche bestes Einvernehmen.

"Oberschten Arbeitnehmervertreter" nennt sich der gebürtige Schwabe Klemm selbst - nicht Co-Manager. Wobei er schon weiß und sagt, was er so getan hat, seit er mit Mitte 20 seinen Job als Maschinenschlosser mit einer freigestellten Betriebsratstätigkeit eintauschte: Er, der drei Vorstandsvorsitzende als schließlich dienstältester Daimler-Aufsichtsrat miterlebte und den letzten beinahe vorzeitig in den Ruhestand schickte, klärt jetzt noch einmal über die bislang ungeschriebenen Details der Unternehmensgeschichte auf, "die auch eine Geschichte von Irrtümern war, vor allem von rechtzeitig erkannten Irrtümern": Als sich nach der Hochzeit im Himmel, der Fusion von Daimler und Chrysler, zunehmend herausstellte, dass das Übergroß-Projekt wegen der unterschiedlichen Unternehmenskulturen in den Graben fährt, seien es er und seine Kollegen gewesen, die zu Aufsichtsratschef Bischoff gingen und sagten: "Wir brauchen einen Plan B!"

Am folgenden Morgen, wohl auch daraufhin, dann die ersten Meldungen von der bevorstehenden Teilung des Konzerns. Es stimmt schon, was Kenner des ältesten Automobilbauers sagen: Die Arbeitnehmer sind es, die den Daimler am Leben erhalten. Mitunter auch gegen brutalen Widerstand aus dem Arbeitgeberlager: Als der Betriebsrat unter Klemms Führung vor Jahren mit einem Streik drohte, da schickte der Daimler-Vorstand einen Brief an den Arbeitnehmerchef: Er, Klemm, werde im Zweifel für den Arbeitsausfall persönlich haftbar gemacht, stand darin.

Kritik übt er nicht

Es ist ein wesentliches Puzzleteilchen, das dessen Widerstandslust begründete, die er bei aller Fähigkeit zur kreativen Konfliktlösung hat. Doch der Gewerkschafter berichtet an diesem Abend nur. Kritik übt er nicht. Er sei stolz IG-Metaller zu sein, er sei aber auch stolz in diesem Laden zu sein, sagt Klemm nur. Es ist eben auch sein Laden gewesen.

Die Kritik an den Verletzungen in der Vergangenheit übernimmt sein Nachfolger Michael Brecht, mit dem er - so reden sie eben unter Gewerkschaftern - manche "Schlachten geschlagen" hat: "Wenn in einer Beziehung etwas nicht stimmt, ist meistens nicht nur einer Schuld", ätzt der. "Sehr schade" sei es, dass die andere Seite, die Arbeitgeber, das nicht sehe. Und mahnt dann, dass es wichtig sei, die Rolle des anderen zu akzeptieren. Damit tut sich das Daimler-Management tatsächlich nicht immer leicht - zu sehr schauen sie oft auf die Börse, auf den Finanzmarkt.

So mancher Daimler-Mitarbeiter stöhnt über die Ministerin

Die Sicherung deutscher Standorte trotz der zunehmenden Globalisierung, die Eindämmung von Werkverträgen und Leiharbeit, der sozialverträgliche Abbau per Abfindungen oder Frühverrentungen von zehntausenden Jobs - all dies wäre ohne Betriebsräte wohl nicht in dem Maße möglich gewesen, die andererseits auch schwierigen Entscheidungen zugunsten der besseren Gewinnmargen zustimmten, etwa der Produktion der C-Klasse auch im Ausland.

Und daran erinnert auch Andrea Nahles, die Bundesarbeitsministerin. Sie weiß, dass Klemm bei den Managern als "Bremser" galt. Doch Klemm sei kein Bremser gewesen, um den Betrieb zu stören, "sondern weil es in die falsche Richtung ging". Zack, das sitzt. Kein Wunder, dass so mancher Daimler-Mitarbeiter jetzt auch noch über die Ministerin stöhnt. "Das", sagt Nahles, "ist gelebte Mitbestimmung", die Deutschland wirtschaftlich und sozial voranbringe. Auch wenn das viel Geduld erfordere - von beiden Seiten.

Ganz falsch kann sie nicht liegen: pünktlich zum Abschied des "oberschten Arbeitnehmervertreters", legte Daimler seine Frühjahrszahlen vor: Das operative Ergebnis ist um 95 Prozent auf etwa 1,8 Milliarden Euro gestiegen, der Umsatz um 13 Prozent auf 30 Milliarden Euro. Und zugleich erinnerten in dieser Woche, pünktlich zum 1. Mai, die Daimler-Arbeitnehmer daran, dass sie nicht vergessen werden dürfen: 4000 Menschen aus den deutschen Verkaufsniederlassungen standen vor den Werkstoren in Untertürkheim, um lautstark gegen den möglichen Verkauf ihrer Standorte zur demonstrieren.

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