Erhard Eppler über Paul Kirchhofs Steuerkonzept:Einfach ist nicht gleich gerecht

Paul Kirchhof will das deutsche Steuersystem mit einer für alle gleichen Flat Tax vereinfachen. Ursprünglich war die Idee hinter dieser Steuer, den Staat auszuhungern. Solche marktradikalen Konzepte sind von gestern - denn nur mit einer progressiven Einkommensteuer kann man die Kluft zwischen Gewinnern und Verlierern der Gesellschaft verkleinern. Und die Steuerschlupflöcher für die Reichen kann man auch ohne Flat Tax stopfen.

Erhard Eppler

Wer einmal ein paar Jahre im Finanzausschuss des Bundestages gearbeitet hat, weiß für den Rest seines Lebens: Das wunderbar einfache und doch gerechte Steuersystem gibt es nicht. Das ganz und gar gerechte System, das jedem einzelnen gerecht würde, wäre so kompliziert, dass niemand es handhaben könnte. Und die ganz und gar einfache Steuer müsste zum Aufschrei von Millionen führen.

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Erhard Eppler war 1968 bis 1974 Entwicklungshilfeminister und leitete 1975 bis 1991 die SPD-Grundwertekommission. Er ist Autor mehrerer Bücher (u. a. Auslaufmodell Staat?).

(Foto: Getty Images)

Paul Kirchhof hat nun versucht, uns die ganz einfache und dabei ganz und gar gerechte Steuer zu präsentieren. Er hat uns - mit einigen Modifikationen - das vorgelegt, was andere, vor allem rechte Republikaner in den USA, aus ganz anderen Gründen propagieren. Für sie, die Marktradikalen, geht es darum, dass der Staat nicht durch Steuern steuert, vor allem nicht in Richtung eines sozialen Ausgleichs. Kirchhof will die Gesellschaft nicht verändern, er will die einfache Steuer. Aber jede Steuer wirkt auf die Gesellschaft ein, ob der Gesetzgeber es will oder nicht. Jede Steuer steuert, fragt sich nur, wohin.

Die ganz einfache Steuer hat es im Mittelalter gegeben, es war "der Zehnte", den die Bauern ihrem Grundherrn abführen mussten. Eine Steuerverwaltung, die etwas Komplizierteres hätte handhaben können, gab es nicht. Unsere Gesellschaft ist geprägt durch beschleunigte, manchmal atemberaubende technische Innovation.

Das hat zwei Folgen. Erstens brauchen wir immer weniger menschliche Arbeit, um das zu erwirtschaften, was wir zum Leben benötigen. Und zum anderen haben wir auch in der Verwaltung technische Verfahren, die das, was vor 100 Jahren noch undenkbar und vor 50 Jahren noch sehr aufwendig war, in kürzester Zeit erledigen. Wenn es jemals eine Gesellschaft sich leisten konnte, etwas mehr auf Gerechtigkeit zu achten, dann ist es die unsere.

In den ersten dreißig Jahren der Bundesrepublik, als der Spitzensatz von 53 Prozent dem Wirtschaftswunder keinen Abbruch tat, verdiente das Vorstandsmitglied eines Großunternehmens etwa das Fünfzehn- bis Zwanzigfache einer tüchtigen Feinmechanikerin. Heute ist es oft das Zweihundertfache, manchmal noch mehr. Und darauf soll künftig knapp die Hälfte des Satzes bezahlt werden, der zu Adenauers Zeiten üblich war. Die progressive Einkommensteuer soll genau in dem Augenblick abgeschafft werden, in dem man sie einführen müsste, wenn es sie nicht seit mehr als hundert Jahren gäbe.

Die flat tax ist erfunden worden als Teil eines marktradikalen Konzepts, das die Chicago Boys vor zwanzig Jahren gewendeten Kommunisten in Osteuropa aufschwatzten, übrigens mit dem Versprechen, damit könnten sie Franzosen und Deutschen Investitionen abluchsen. Diese Marktradikalen hassten die progressive Steuer, weil der Staat damit etwas tat, was sie ihm verbieten wollten: zum sozialen Ausgleich beitragen. Für sie galt: Was der heilige Markt entscheidet, soll der ganz und gar unheilige Staat nicht korrigieren.

Als der rechtsliberale preußische Finanzminister Johannes von Miquel kurz nach Bismarcks Entlassung die progressive Einkommensteuer einführte, wollte er genau dies tun: Die Reichen sollten auch prozentual mehr für das Gemeinwesen abgeben als die, deren Einkommen gerade für das Notwendigste ausreichte.

Bei Kirchhof ist davon natürlich nicht die Rede. Vielleicht geht es ihm auch nicht darum. Er rechtfertigt sein Konzept damit, dass die Betuchten heute so viele Schlupflöcher fänden, dass sie tatsächlich weniger als 25 Prozent bezahlten. Muss man, um Schlupflöcher zu stopfen, die flat tax einführen? Oder reicht dafür der politische Wille einer Parlamentsmehrheit?

Eine Flat Tax kann man nur senken

Die Erfinder der flat tax wollten den Staat aushungern. Sie wussten, dass man diese Steuer praktisch nicht erhöhen kann. Wenn alle denselben Satz bezahlen, kann man jede Erhöhung dadurch verhindern, dass man auf die armen kleinen Leute verweist, denen man dies doch nicht zumuten könne. Diese Steuer kann man nur senken. Dann ist ein für allemal klar: Wenn der Staat mit seinem Geld nicht zurechtkommt, muss er seine Aufgaben strecken, streichen, privatisieren. Was das, etwa für die Kommunen, bedeutet, lernen wir in diesen Jahren.

Auch bei der Erbschaftsteuer wird nach Kirchhof jede Progression abgeschafft. Wenn die Erben eines schönen Einfamilienhauses nicht Kinder, sondern Nichten oder Neffen des Besitzers sind, zahlen sie - nach Abzug der Freibeträge - dieselben 10 Prozent wie der Erbe eines der Milliardenvermögen, die es heute mehr als früher gibt. Der Staat hat demnach kein Recht, in die Kluft zwischen Arm und Reich ein paar Schubkarren Erde zu schütten.

Auch die Gewerbesteuer wird in diesem Konzept abgeschafft. Das hat die FDP schon lange gefordert. Brauchen die Kommunen Geld - und sie brauchen es dringend -, dürfen sie auf die Einkommensteuer einen Zuschlag erheben. Für die Betuchten ist das nichts, was sie beschweren könnte. Denn ihre Einkommensteuer bleibt - schon durch Freibetrag - immer unter 25 Prozent, für die Krankenschwester, die ihre Abschläge für Nachtarbeit verliert, würde die Kommunalsteuer sehr wohl ins Gewicht fallen.

Zugegeben: Kirchhof hat sein Konzept nicht aus denselben Gründen erfunden wie die Marktradikalen. Er hält es sogar für höchst "sozial", was immer dies heißen soll. Aber er kann nicht verbergen, dass mit seinem Konzept die Grundsatzfrage gestellt ist: Darf der Staat die Steuer als Instrument des sozialen Ausgleichs nutzen oder nicht? Die Marktradikalen, die lange vor Kirchhof für die - ach so einfache - Einheitssteuer eingetreten sind, geben darauf eine klare Antwort: Er darf nicht.

Seit in Europa die progressive Einkommensteuer üblich ist, seit mehr als einem Jahrhundert, lautet die Antwort, die bislang von allen Parteien gegeben wurde: Er darf, ja er muss. Er muss heute noch mehr als vor hundert oder vor vierzig Jahren. Denn die Kluft zwischen Gewinnern und Verlierern ist tiefer geworden, die Spaltung der Gesellschaften mit all ihren Folgen schreitet voran.

Wer dies verhindern will, muss auch im Steuersystem einiges reformieren. Er darf auch einiges vereinfachen. Aber er darf nicht ein wirksames Instrument eliminieren, das in den letzten hundert Jahren das Auseinanderfallen der Gesellschaften gebremst hat.

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