Ergo-Konzern nach Sex-Party-Skandal:Wein, Weib und Versicherungsvertreter

Seit die Sex-Partys von 2007 öffentlich wurden, will der Versicherer Ergo die Firmenkultur ändern. Das wird schwierig - Vertreter der Tochter HMI werden wohl immer noch mit Reisen, Alkohol und Frauen motiviert. Dafür müssen sie gar nicht erst nach Budapest reisen.

Kristina Läsker

Rot ist die Schrift, vollmundig der Text. "Wenn Menschen Fehler machen, entschuldigen sie sich. Wenn Unternehmen Fehler machen, unternehmen sie etwas dagegen. Darum tun wir beides", ist da zu lesen. Verfasser des Kotaus: der Ergo-Konzern. In mehreren Zeitungen hat sich die Versicherungsgruppe kürzlich zu "Fehlern der Vergangenheit" bekannt: eine Incentive-Reise nach Budapest, Trinkspiele, fehlerhafte Riester-Verträge und mutmaßliche Beratungsfehler. Die teuren Anzeigen sollen signalisieren, dass Ergo einen Kulturwechsel eingeleitet hat. Etwas Ähnliches wie die Sex-Reisen nach Budapest, so hatte Ergo-Chef Torsten Oletzky kürzlich beteuert, habe "es nach allem, was wir wissen, danach nicht mehr gegeben".

Bafin nimmt Ergo unter die Lupe

Ergo-Versicherungsvertreter feiern noch immer gerne exzessiv - auch nach dem Sex-Party-Skandal.

(Foto: dapd)

Schade nur, dass der Konzernchef anscheinend wenig Ahnung hat, was die Vertreter der zweitgrößten deutschen Versicherungsgruppe wirklich treiben.

Wie in Lüneburg, einer unaufgeregten Stadt 50 Kilometer südöstlich von Hamburg. Nahe der Innenstadt steht das Hotel Seminaris. Ein Klotz, der an einen Plattenbau erinnert. Mehrheitlich gehört das Hotel der Ergo, häufig finden hier Seminare statt. Regelmäßig tagen Vertriebsmitarbeiter der Hamburg-Mannheimer International (HMI) hier am Wochenende. Die HMI ist die Ergo-Tochter, die ihre besten Verkäufer 2007 zur Sex-Party nach Budapest eingeladen hatte.

Wer wissen will, wie die HMI-Vertreter im Jahr vier nach Budapest ihre Erfolge feiern, sollte sich im Seminaris umhören. Dort sieht es nicht so sehr nach Kulturwechsel aus, ergaben Recherchen der Süddeutschen Zeitung und des Radiosenders NDR Info. Übereinstimmend erzählen Angestellte und Besucher, dass es bei Feiern der Vertreter in den letzten Monaten hoch hergegangen sei. "Die Strukkis von der HMI" würden demnach gerne bis morgens um fünf durchsaufen. Beliebt sind Helikopter-Schnäpse, gemischt aus Pernod und Jägermeister. Wenn wieder mal ein Top-Verkäufer mit goldener Uhr oder anderen Statussymbolen geehrt wird, fließt Champagner.

Klingt wild, aber nicht wirklich lasterhaft. Wenn da nicht diese Damen wären, von denen auch berichtet wird. Damen, die sich mehrfach zu den Vertretern an die Hotelbar im Palmengarten gesellt hätten. Der Palmengarten ist ein Saal im Charme der 80er Jahre. Die Säulen sind verspiegelt, am Wochenende dröhnen Schlager aus der Jukebox, über dem Tanzparkett dreht sich eine Diskokugel. Eine der Damen - sie habe einen Minirock getragen - habe einmal vor den Vertretern auf dem Billardtisch gestrippt, heißt es. Später hätten ihr die HMI'ler dafür 50-Euro-Scheine in den Tanga gesteckt. Beobachter spotten schon über "Klein-Budapest in Lüneburg". Nicht nur Mitarbeiter sind befremdet. Auch ein Gast erzählt, wie sehr er sich von anwesenden Damen gestört fühlte.

Hajo Köster vom Bund der Versicherten überraschen solche Berichte nicht. "Offenbar ist es für solche Vermittler sehr schwierig, sich von liebgewonnenen Lastern zu trennen", meint er. Der Verbraucherschützer bezweifelt, dass die Ergo es überhaupt versucht, das Verhalten der selbständigen HMI-Vertreter nach Ausklang der Seminare zu beeinflussen oder zu kontrollieren. "Das ist für uns nicht ersichtlich."

Schmerzensgeld für die Verkaufskultur

Aber hat es wirklich Prostituierte auch im Seminaris gegeben? Oder macht sich jemand mit so einer Geschichte wichtig? Hotel-Geschäftsführer Günther Strube reagiert empört, als er nach Stripperinnen oder gar Dirnen gefragt wird. "Mir ist von einer solchen HMI-Veranstaltung nichts bekannt", sagt er. Natürlich werde an der Hotelbar etwas getrunken, und "manchmal schaut dabei auch der eine oder andere zu tief ins Glas". Mehr passiere aber nicht. "Würde ein Kunde, egal welcher, uns mit derartigen Vorführungen überraschen, würde ihm ein Hausverbot erteilt", sagt Strube.

Waren es Prostituierte?

Wer in der Ergo-Zentrale in Düsseldorf nachfragt, erhält keine aussagekräftige Antwort. Die Ergo kann oder will nicht aufklären, ob es sich bei den Begleiterinnen in Lüneburg tatsächlich um Prostituierte gehandelt hat und falls ja, wer diese wohl bezahlt hat.

Wer verstehen will, wie einige der 10.000 Vertreter der HMI manchmal ausschweifen, wird im Internet fündig. Freimütig äußert sich ein angeblicher Vertriebsmitarbeiter aus Ostfriesland auf seiner Website. Auch er ist häufig in Lüneburg zu Gast. "Ich hätte nicht gedacht, dass wir da soooo viel Spaß haben könnten", schreibt er. Dutzende Fotos zeigen, womit er und sein Team in den vergangenen zwei Jahren motiviert wurden: Reisen, Alkohol und Frauen. Bei einer dieser Reisen räkelt sich der Mann aus Aurich in Abu Dhabi mit einer Frau im Pool; eine Zigarre im Mund, vor sich einen Cocktail. "Ein absoluter Hammer!" Ein anderes Foto zeigt Damen im Bikini bei einer hauseigenen Miss-Wahl in Emden ("Da schlug das Herz eines echten HMI'lers gleich viel höher"). In München sind betrunkene Männer im Dirndl auf dem Oktoberfest per Foto festgehalten ("Wer hart arbeitet, der darf auch mal feiern"). Wettbewerbsreisen nennt die HMI solche Ausflüge.

Gelockt werden Vertreter wie der aus Aurich vom Geld. Davon, dass sie - ohne große Ausbildung - innerhalb des Strukturvertriebs einmal von ganz unten nach ganz oben an die Spitze vorstoßen. Ans Ende der Pyramide, wo Menschen, die sie "die Generäle" nennen, das große Geld verdienen. Weil alle Untergebenen ihnen etwas von den Provisionen abgeben müssen, wenn sie Riesterrenten, Bausparverträge oder etwa Lebensversicherungen verticken. Auch der Mann aus Aurich jagt dem Reichtum hinterher: "Ich durfte viel mehr Geld verdienen, als es mit einem Realschulabschluss in Deutschland vorgesehen ist."

Es geht darum, hart und schnell zu verkaufen

Was sich kaum verbergen lässt: Bei Organisationen wie der HMI geht es darum, hart und schnell zu verkaufen. Nicht die Beratung zählt, sondern der Verkauf - und der wird gnadenlos eingefordert und eingeübt. In Lüneburg und anderswo. Kritiker bezeichnen die rauschenden Feste gern als Schmerzensgeld für die Verkaufskultur. "Das Leben ist kein Ponyhof und es gibt nichts mehr geschenkt!", schreibt der Vertreter im Netz.

Von dieser Härte erzählt auch ein Werbevideo der HMI auf dem Internetportal Youtube. Es dauert fünf Minuten und heißt "Mehr Helden". Der Film richtet sich an "auserwählte Leistungsträger", die einmal für die HMI arbeiten sollen. Musik ertönt, ein Segelboot flitzt über den Atlantik, Wellen brechen über die Reling: Das Boot droht zu kentern. Dann ertönt die Stimme aus im Off: "Es braucht Mut, Charakter und Einsatzbereitschaft", donnert sie. "Es ist wie ein Eid, ein Schwur, den wir für unsere Sache leisten." Wer die Botschaft noch nicht verstanden hat, für den wird klargestellt: "Denn bei der HMI zu sein, heißt, auch in stürmischen Zeiten zu siegen."

Es sind deutliche Worte in diesen für Ergo stürmischen Zeiten. Zu deutlich womöglich. Der Spot ist seit kurzem verschwunden: "Dieses Video ist aufgrund des Urheberrechtsanspruchs von Ergo Versicherungsgruppe AG nicht mehr verfügbar", heißt es auf Youtube. Ob der Film beim Kulturwechsel stört? Auch Luxusreisen wie die nach Budapest werden eingeschränkt: Vor wenigen Tagen hat Ergo den Top-5-Club aufgelöst. Mitglieder waren Top-Verkäufer, denen Reisen rund um die Welt spendiert wurden.

Hajo Köster vom Bund der Versicherten bezweifelt, dass sich das System schnell ändern lässt: "Der Ergo-Vorstand muss jetzt erst recht den Beweis erbringen, dass er an einem Kulturwandel bei seinen Vermittlern arbeitet." Ergo will sich zu all diesen Details auf Anfrage nicht äußern. Doch die Probleme scheinen erkannt zu sein: Es werde gerade ein "spezifischer Verhaltenskodex für den selbständigen Außendienst" erstellt.

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