Ergebnisse des EU-Gipfels:Sparen und spalten für die Euro-Rettung

Es hätte der große Befreiungsschlag werden sollen. Doch gebracht hat der Euro-Gipfel in Brüssel nur den Einstieg in die Fiskalunion und die offensichtliche Spaltung der EU. Die Probleme klammer Schuldenstaaten bleiben ungelöst, der Euro ist noch nicht gerettet.

Lutz Knappmann

Plötzlich ging alles ganz schnell. Bereits in der Nacht zum Freitag traten Bundeskanzlerin Angela Merkel, Frankreichs Staatschef Nicolas Sarkozy und EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy in Brüssel vor die Mikrofone, um Ergebnisse des Krisengipfels zu verkünden. Wer sich auf einen langen Sitzungsmarathon eingestellt hatte, sah sich beruhigt. Schon nach wenigen Stunden standen zentrale Eckpunkte zur Lösung der Schuldenkrise fest. Ein Zeichen großer Einigkeit? Gar der erhoffte Befreiungsschlag in Europas Schuldenkrise?

Ergebnisse des EU-Gipfels: Nach stundenlangen Gipfel-Verhandlungen stelt sich eine müde Bundeskanzlerin Angela Merkel in der Nacht zu Freitag in Brüssel den Fragen der Journalisten.

Nach stundenlangen Gipfel-Verhandlungen stelt sich eine müde Bundeskanzlerin Angela Merkel in der Nacht zu Freitag in Brüssel den Fragen der Journalisten.

(Foto: AFP)

Am Tag danach herrscht Ernüchterung. Alles ist wie zuvor: Die deutschen Aktienmärkte pendeln zwischen Kursgewinnen und -verlusten, der Eurokurs gibt nach und die Renditen der Staatsanleihen von Schuldenländern wie Italien und Spanien legen wieder um einige Zehntelprozentpunkte zu. Die Zweifel an der längerfristigen Zahlungsfähigkeit der Staaten bleiben unverändert.

Keine Spur von Beruhigung, von wiedergewonnenem Vertrauen in die Stabilität der Euro-Zone und ihrer gemeinsamen Währung. "Das Risiko eines Absturzes des Euros ist durch den Gipfel nicht geringer geworden", sagt Commerzbank-Analyst Ulrich Leuchtmann. Und Holger Schmieding, Chefvolkswirt der Berenberg Bank fasst zusammen: "Die gute Nachricht: Man hat sich frühzeitig geeinigt. Die schlechte Nachricht: Es gibt keine positiven Überraschungen." Vor allem die Blockade der Briten schlägt auf die Stimmung. Lediglich 23 der 27 EU-Staaten einigten sich auf gemeinsame Beschlüsse. Drei Länder, Schweden, Tschechien und Ungarn erwägen immerhin eine spätere Beteiligung an der Fiskalunion, nachdem ihre nationalen Parlamente zugestimmt haben. Allein Großbritannien schert aus.

Einstieg in die Fiskalunion

Die Beschlüsse des Abkommens entsprechen weitgehend dem, was Kanzlerin Merkel und Präsident Sarkozy bereits vorgegeben hatten: Im Mittelpunkt steht der Einstieg in die sogenannte Fiskalunion. Strenge Haushaltsregeln und automatische Sanktionen sollen die beteiligten Staaten daran hindern, zu viele Schulden zu machen und darauf zu hoffen, dass die Gemeinschaft der Staaten sie am Ende schon retten wird.

Konkret ist vorgesehen, dass die konjunkturbereinigte Neuverschuldung eines Landes maximal 0,5 Prozent des Bruttoinlandsproduktes betragen darf, die Netto-Neuverschuldung maximal drei Prozent. Anderenfalls greifen automatische Sanktionen. Der Europäische Gerichtshof überwacht die Einhaltung der Kriterien. Die Hürde, Sanktionen zu verhindern, wird deutlich angehoben.

Die Finanzmärkte zeigen sich davon unbeeindruckt. Momentan sei "völlig irrelevant, welche ordnungspolitischen Beschlüsse auf dem Gipfel beschlossen wurden", sagt Commerzbank-Analyst Leuchtmann. "Schuldenbremsen sind langfristig gut, helfen Italien und Spanien in der aktuellen Situation aber nicht."

Denn der Finanzbedarf großer Schuldenstaaten wie Italien, Spanien und Frankreich ist immens - und akut. Frankreich etwa muss in den ersten vier Monaten des kommenden Jahres Staatsanleihen im Wert von circa 140 Milliarden Euro zurückzahlen, in Italien sind es sogar etwa 160 Milliarden Euro. Sie müssen also Investoren finden, der ihnen neue Anleihen im selben Wert abkauft. Und woher die im momentanen Marktumfeld kommen sollen, ist offen.

Vorgezogener Rettungsschirm

Doch in der Frage, wie die Rettungsschirme für kriselnde Euro-Staaten gestärkt werden können, sind die Teilnehmer des Euro-Gipfels nur graduell vorangekommen. Klar ist nun: Der permanente Rettungsschirm ESM wird um ein halbes Jahr auf Mitte 2012 vorgezogen, um früher Mittel zur Verfügung stellen zu können. Beschlüsse zum ESM müssen zudem nicht mehr einstimmig fallen, quälende Abstimmungs-Krimis wie noch zuletzt in einer Reihe von EU-Staaten sollen die Euro-Rettung so nicht mehr behindern können.

Eine Banklizenz, mit deren Hilfe der ESM sich direkt bei der Europäischen Zentralbank Geld leihen könnte, wird er auf Druck von Bundeskanzlerin Merkel aber nicht bekommen. Seine Schlagkraft ist damit begrenzt. Und schon vor dem Gipfel war klar, dass der bereits bestehende Rettungsschirm EFSF zwar mittels eines komplizierten Hebels ausgeweitet werden soll, aber selbst damit nur auf gut 750 Milliarden Euro kommen wird, statt auf die ursprünglich erhoffte Billion. Die im Vorfeld äußerst kontrovers diskutierte Ausgabe gemeinsamer Euro-Bonds, die den Krisenstaaten wieder Zugang zum Kapitalmarkt verschaffen könnten, spielte in Brüssel keine Rolle.

"Die EZB muss eingreifen"

Für die meisten Marktbeobachter steht daher am Tag nach den Gipfelbeschlüssen die Europäische Zentralbank im Mittelpunkt: Ebenfalls am Donnerstag hatte EZB-Präsident Mario Draghi klargestellt, dass die Notenbank keinesfalls unbegrenzt Anleihen klammer Euro-Staaten aufkaufen werde. Ein Fehler, wie viele Finanzexperten finden: "Die Stimmung wird erst dann besser, wenn die EZB bereit ist, als ultimativer Retter in das Geschehen einzugreifen", sagt Junya Tanase von der Investmentbank JP Morgan Chase. Und Berenberg-Chefvolkswirt Schmieding fordert: "Sie muss ankündigen, ab einem gewissen Risikoaufschlag - beispielsweise 5,5 Prozentpunke - notfalls unbegrenzt Anleihen von Staaten zu kaufen, die ihre Haushaltsauflagen erfüllt haben. Sie muss im äußersten Notfall eingreifen."

Um dieses Dilemma aufzulösen, haben die Gipfel-Teilnehmer in Brüssel einen Umweg vereinbart: Die europäischen Staaten sollen dem Internationalen Währungsfonds (IWF) insgesamt 200 Milliarden Euro zusätzlich zur Verfügung stellen. Diese Mittel soll der IWF dann im Gegenzug zur Rettung der Krisenstaaten aufwenden. Denkbar also, dass sich so in der Frage von Anleihe-Käufen die EZB umgehen ließe. 200 Milliarden Euro allerdings werden angesichts der gewaltigen Schuldenlasten vieler EU-Staaten kaum reichen, sollten etwa nach Griechenland auch Italien oder Spanien kollabieren.

Gegen den Widerstand Deutschlands setzten die Euro-Staaten durch, dass private Gläubiger wie Fonds und Banken, nicht mehr ohne weiteres zu einer Beteiligung an Rettungsmaßnahmen gezwungen werden können, etwa über einen Schuldenschnitt. Die Staaten und ihre vereinbarten Rettungsmechanismen sind damit noch stärker in der Pflicht. "Unser erster Ansatz zur Beteiligung des Privatsektors hatte einen sehr negativen Effekt, jetzt ist er offiziell vorüber", so Ratspräsident Van Rompuy.

Die Rhetorik nach der Gipfelnacht belegt, dass vom erhofften Befreiungsschlag für Europa nicht viel geblieben ist: Man sei "ein gutes Stück vorangekommen", formuliert Kanzlerin Merkel. Es sei darum gegangen, die Fiskalunion "zu beginnen" und "faule Kompromisse" zu vermeiden. Echte Erleichterung klingt anders.

Mit Material der Nachrichtenagenturen

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: