Ergebnisse des Brüsseler Gipfels:50 Prozent sind nicht immer die Hälfte

Der Euro ist gerettet - und die Banken sind kräftig dabei! Diese Signale sollen vom Brüsseler Gipfel ausgehen, aber einige konkrete Fragen sind noch offen. Möglich, dass die Beteligung der Finanzinstitute geringer ausfällt als die plakativ formulierten 50 Prozent - und der Steuerzahler weitere Milliardengarantien gibt.

Johannes Aumüller

Haircut, Doppel-Hebel und ein Appell an Spanien: Die Staats- und Regierungschefs der Euro-Zone haben ein umfassendes Paket zur Rettung der Gemeinschaftswährung beschlossen (eine Liste der konkreten Beschlüsse samt ihren Details steht hier). Die Reaktionen der Beteiligten fielen ziemlich euphorisch aus. Doch was folgt aus den Beschlüssen konkret? Was bedeuten sie für ...

... das übergeordnete Ziel der Euro-Rettung?

Das ist noch unklar. Sicherlich gehen im Grundsatz zwei positive Signale vom Brüsseler Gipfel aus. Erstens haben die Staats- und Regierungschef ein wirklich umfassendes Paket verabschiedet - und darin auch etliche Elemente verarbeitet, die viele Experten und die Vertreter der "Märkte" gefordert hatten. Zweitens haben die Politiker weitestgehend Einigkeit demonstriert, auch das ist den Beobachtern immer extrem wichtig. "Jede Einigung ist besser als keine Einigung", kommentierten die Analysten der Commerzbank.

Entsprechend euphorisch reagierten auch die Märkte. Die Börsen in Asien stiegen deutlich an, der wichtigste deutsche Index Dax kletterte zeitweise um fast vier Prozent nach oben. Schon am Vorabend hatte der Dow Jones positiv auf die ersten Einigungsanzeichen reagiert.

Aber dennoch ist es vielen Marktbeobachtern zu früh, um den "Durchbruch" auszurufen. Dafür sind ihnen schlicht noch zu viele Fragen offen. Die konkrete Beteiligung der Banken beispielsweise ist unklar, die Hebelung des Rettungsfonds EFSF bleibt lückenhaft und der Erfolg ungewiss. "Die Euro-Zone bleibt eine Riesenbaustelle, an der an vielen Ecken und Enden noch gewerkelt werden muss. Die Lage bleibt ernst", sagt Janwillem Acket, Chefvolkswirt von Julius Bär.

Zudem mag sich die Situation in Griechenland mit dem neuen Hilfspaket zwar etwas entspannen, allerdings ist die Lage in Italien und wahrscheinlich auch in Spanien weiterhin riskant. Zu welchen Entwicklungen es kommt, wenn sich in einem dieser beiden Länder das Haushaltsproblem weiter zuspitzt, kann niemand seriös voraussagen. Klar ist nur, dass der Euro noch nicht endgültig gerettet ist.

... die Banken?

"Substanziell" sei der Beitrag der Banken, sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel nach dem Brüsseler Gipfel. Und bei einem ersten Blick auf die Zahlen ist das in der Tat so. Hatten die Staats- und Regierungschefs bei ihrem Treffen im Juli noch eine 21-prozentige Beteiligung des Privatsektors vereinbart, ist nun von einem 50-prozentigen Schuldenschnitt die Rede. Bei noch etwa 200 Milliarden Euro ausstehender Staatsanleihen heißt es nun, die Finanzbranche beteilige sich mit rund 100 Milliarden Euro an der Griechenland-Rettung.

Große Erleichterung in Griechenland

Was allerdings aus den ersten Gipfel-Reaktionen und -Statements nicht eindeutig hervorgeht: Die Banken könnten unterm Strich auch mit weniger Beteiligung als 50 Prozent und 100 Milliarden Euro davonkommen. Das ist aus mehreren Gründen so:

European Council Summit

Frankreichs Staatspräsident Nicolas Sarkozy erklärt die Beschlüsse des Brüsseler Gipfels.

(Foto: Bloomberg)

Erstens erzwang die Bankenlobby in den nächtlichen Verhandlungen eine wichtige Zusatzvereinbarung. Sie erreichte nämlich, dass der von den Euro-Staaten getragene Rettungsschirm EFSF die Beteiligung des Privatsektors mit bis zu 30 Milliarden Euro absichert.

Zweitens hat der internationale Bankenverband IIF zwar angekündigt, eine freiwillige Vereinbarung zu entwickeln. Doch das bedeutet nicht, dass dieser auch tatsächlich alle Institute folgen werden.

Drittens haben die Banken in den vergangenen Wochen sehr unterschiedlich auf die Entwicklungen rund um die Griechenland-Krise reagiert. Manche Finanzinstitute haben sich von einem Großteil der hellenischen Staatsanleihen schon längst getrennt und halten nur noch wenige. Die Deutsche Bank beispielsweise ist mit weniger als einer Milliarde Euro in Griechenland engagiert. Andere Geldhäuser deckten sich zuletzt mit griechischen Staatsanleihen ein, als diese bei gerade mal 35 Prozent ihres Nennwertes notierten - diese können mit der vereinbarten Regelung also sogar einen großen Gewinn machen.

Allerdings hat das Prozedere nicht für alle Banken dieselben Folgen. Denn um diesen Schuldenschnitt zu verkraften, müssen sie ihre Kapitalquote auf neun Prozent erhöhen. Dazu benötigen die führenden europäischen Banken zusammen 106 Milliarden Euro. Manche dürften es leicht verkraften, bei anderen könnte es dazu führen, dass sie ihre Eigenständigkeit verlieren.

... für Griechenland?

Die Erleichterung in Griechenland ist groß. Athen erhält über die anderen Euro-Staaten und den Privatsektor in den kommenden Jahren insgesamt mehr als 200 Milliarden Euro. Inklusive des ersten Rettungspaketes aus dem Mai 2010 sowie der Investments der Europäischen Zentralbank (EZB) steigt die Hilfssumme für das Land damit auf fast 400 Milliarden Euro.

Das beruhigt die Lage extrem und dürfte die griechische Staatsverschuldung bis zum Jahr 2020 auf 120 Prozent der Wirtschaftsleistung drücken - der Zahl, die bei einer funktionierenden Regierung gemeinhin als gerade noch tragfähig gilt. Bis zum Gipfel befürchteten Beobachter einen Anstieg der Verschuldung auf 170 Prozent.

Allerdings ist noch nicht klar, ob diese Summe letztlich auch wirklich ausreicht. Zwar bewegt sich die Zahl in der Größenordnung der Troika-Berechnungen, denen zufolge Griechenland bis 2020 rund 252 Milliarden Euro benötigt. Jedoch verbanden die internationalen Finanzkontrolleure dies stets mit dem Zusatz "unter normalen Umständen".

Das Risiko für den Steuerzahler steigt

Unter nicht normalen Umständen wie beispielsweise massiv erhöhter Arbeitslosigkeit oder einem immensen weiteren Wirtschaftseinbruch befürchten sie bis 2020 sogar einen Finanzbedarf von 444 Milliarden Euro. In ein paar Jahren könnte sich also herausstellen, dass sogar das jetzige Paket zu klein ist.

... den deutschen Steuerzahler?

Da kann Bundeskanzlerin Merkel noch so schöne Konstruktionen wählen wie "Es wäre nicht vertretbar und nicht verantwortbar, das Risiko nicht einzugehen". Das Risiko für den deutschen Haushalt und damit letztlich für den deutschen Steuerzahler steigt.

Zwar stimmt es, dass sich trotz der Billionen-Hebelung beim EFSF-Rettungsfonds die Haftungssumme für Deutschland nicht erhöht hat und weiterhin bei 211 Milliarden Euro liegt. Allerdings ist die Wahrscheinlichkeit, dass es zu einem Haftungsmoment kommt, gestiegen. Eine Hebelung der eingesetzten Summe bedeutet auch eine Vergrößerung der Verlustmöglichkeiten.

Zudem ist das Risiko für den deutschen Steuerzahler nicht nur wegen des Ausbaus des EFSF gestiegen. Zumindest über Umwege verstärken auch andere Elemente des Gipfels diese Tendenz.

Beispiel A: Dass die Banken ihr Eigenkapital bis 2012 auf neun Prozent erhöhen müssen, klingt für viele Kritiker zunächst gut. Dass sie es zunächst aus eigener Kraft schaffen sollen, auch. Problematisch könnte es aber werden, wenn das den Geldhäusern nicht gelingt. Gemäß der getroffenen Vereinbarung sind dann zunächst die jeweiligen Heimatstaaten der Finanzinstitute in der Pflicht. Doch können diese die nötige Summe nicht aufbringen, muss der EFSF einspringen. Und angesichts der Haushaltslage in manchen Krisenstaaten scheint es durchaus wahrscheinlich, dass diese letzte Option irgendwann eintritt.

Beispiel B: Dass sich die Banken an dem Schuldenschnitt für Griechenland beteiligen, begrüßen viele Kritiker ebenfalls. Allerdings ist es ja in Deutschland so, dass es zum einen staatseigene Banken wie die diversen Landesbanken und zum anderen (teil)verstaatlichte Banken wie die Commerzbank gibt. Und die größten Abschreibungen bei den Griechenland-Anleihen kommen in Deutschland auf folgende Institute zu: die Landesbanken, die zirka 5,2 Milliarden Euro in griechische Papiere investiert haben, und die Commerzbank, die mit 2,2 Milliarden Euro engagiert ist.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: