Ergebnis der Weinlese 2013:Wein wird knapp

Weinlese an der Mosel

Rieslingtrauben hängen in einem Weinberg nahe der Mosel.

(Foto: dpa)

Früher produzierten die Winzer weltweit viel mehr Wein, als die Menschen trinken wollten. Damit ist es nun vorbei. Die Rebflächen wurden verringert, gleichzeitig steigt der Verbrauch kontinuierlich. Zu Besuch in Rheinhessen, wo es immer weniger, aber dafür bessere Trauben gibt.

Von Harald Freiberger, Flörsheim-Dalsheim und Kathrin Werner, New York

Bischöfe können anspruchsvoll sein. Es war im Jahr 1383, als dem geistlichen Oberhaupt von Worms auf einmal der Messwein nicht mehr schmeckte. Er ließ einen Abgesandten nachschauen im Anbaugebiet 20 Kilometer westlich der Stadt, und die Ursache war schnell gefunden: Die Arbeiter hatten den Weinberg in die Ebene verlegt, dorthin, wo der Boden weniger steinig und leichter zu bearbeiten war. Der Ertrag stieg, doch der Wein wurde verwässert. Also erließ der Bischof ein Dekret, dass der Messwein fortan wieder von oben, "von Aptes Erde", zu kommen habe.

Klaus Peter Keller, 39, steht am letzten Tag des Oktober 2013 genau da, in der Abtserde, als er diese Geschichte erzählt. Er ist einer der besten deutschen Winzer, die Kritiker überschlagen sich mit Lob. Wein-Päpstin Jancis Robinson, schrieb, wenn sie nur einen deutschen Wein auf eine Insel mitnehmen dürfte, dann wäre es der hier. Einer von Keller.

Die Geschichte vom Bischof erzählt viel über die hohe Kunst des Weins. Je größer die Quantität, umso geringer ist oft die Qualität und umgekehrt. "Wenn der Boden steinig ist, muss die Rebe mehr kämpfen, die Beeren werden kleiner", sagt Keller. Doch zugleich verteilen sich die Mineralien des Bodens, der von den Blättern umgewandelte Zucker und die Sonnenstunden auf weniger Beeren. Der Traubensaft wird intensiver, der Wein charaktervoller.

Wein an ungewöhnlichen Orten

Die Frage nach Quantität und Qualität stellt sich gerade in diesen Tagen, da die Weinlese 2013 in den deutschen Weingebieten zu Ende gegangen ist. Und sie stellt sich auch wegen einer neuen Studie der Investmentbank Morgan Stanley. Die Produktion ist in den vergangenen Jahren weltweit rapide gesunken. Besonders in Italien, Frankreich und Spanien wurden die Rebflächen verringert. Der Zuwachs in Ländern wie Australien, China, Chile oder den USA kann das nicht ausgleichen. Gleichzeitig steigt der Verbrauch kontinuierlich, weil auch Inder oder Chinesen auf den Geschmack kommen. Die Studie spricht schon von "Verknappung". Und wenn die Nachfrage steigt und das Angebot sinkt, werden nach der reinen Lehre der Marktwirtschaft die Preise steigen.

In Amerika, traditionell Land des labbrigen Bieres, wachsen dagegen Nachfrage und Angebot. 2012 wurden 28 Millionen Hektoliter produziert, mehr als 20 Prozent mehr als im Vorjahr und so viel wie nie. Gut 90 Prozent des Weines wächst in Kalifornien, etwa an den sanften Hügeln des Napa Valley. Doch auch an ungewöhnlichen Orten wird Wein gemacht, zum Beispiel in New York. In dem Bundesstaat, in dem die Sonne freilich deutlich weniger scheint als in Kalifornien, gibt es inzwischen 1438 Weinberge, die meisten in Familienhand. Die Amerikaner wenden sich ab von Massen-Getränkeproduzenten wie Budweiser und trinken mehr und mehr Wein von kleinen, lokalen Weingütern.

Es ist ein neuer Riesentrend.

In der Großstadt haben sich zum Beispiel Sandra Nicholas und ihr Verlobter Mark Snyder einen Lebenstraum erfüllt und ihre Red Hook Winery eröffnet. Das kleine Weingut in Brooklyn ist vom Hurrikan Sandy vor einem Jahr kräftig zerstört worden, aber jetzt ist alles wieder aufgebaut. "Wir verkaufen mehr als je zuvor", sagt Nicholas. Pro Jahr machen die beiden 26 Sorten Wein mit Trauben von 15 New Yorker Weingütern, darunter sind so exotische Sorten wie ein orangefarbener Wein. "Leute auf der ganzen Welt interessieren sich dafür, wie Wein aus Brooklyn schmeckt", sagt Nicholas. "Sogar in Paris sind wir sehr beliebt." Hunderte kleine Weingüter gehen jedes Jahr in Betrieb, inzwischen sind es mehr als 9000. Trotzdem: Den steigenden Weinkonsum der Amerikaner kann die Produktion im eigenen Land nicht mehr ausgleichen. Seit 1995 hat sich der Verbrauch verdoppelt.

"Wir sind total happy"

Deutschland ist nur ein kleines Weinland, doch der Trend lässt sich auch hier nachvollziehen. Der Jahrgang 2013 zum Beispiel wird zur weiteren Verknappung beitragen. "Es waren sehr schwierige Witterungsverhältnisse", sagt Ernst Büscher vom Deutschen Weininstitut. Bis in den Juni hinein war es kalt, so dass sich die Blüten nicht richtig entwickelten. Und im Oktober, zur Lesezeit, gab es viel Regen und es wurde warm. "Das ist gut für Pilze, aber nicht für Reben", sagt Büscher. Es droht Fäule, die Winzer müssen schauen, dass sie ihre Ernte schnell einfahren. All das verringert die Menge. In Weingebieten wie Baden, Württemberg, Pfalz und Mosel haben viele Winzer bis zu einem Drittel weniger geerntet als in der Vergangenheit.

Es passiert, was in solchen Fällen passiert: Die Regionen haben schon Preiserhöhungen angekündigt.

Klaus Peter Kellers Weingut liegt in Flörsheim-Dalsheim in Rheinhessen. Er produziert jedes Jahr zwischen 100.000 und 150.000 Flaschen. In diesem Jahr wird der Ausstoß eher im unteren Bereich liegen. Trotzdem sagt er: "Wir sind total happy." Er zeigt auf Riesling-Beeren, die er gerade gelesen hat. Sie sind an manchen Stellen lila verfärbt, er nennt das "Bäckchen", eine Fäule-Art, die den Geschmack aber nicht negativ beeinflusst, sondern zum Charakter des Weines beiträgt. Keller gehört zu den größten "Reduzierern" des Landes, er dünnt die Beeren aus wie kaum ein anderer. Sein Vater fing schon vor 30 Jahren damit an, auf Qualität statt auf Quantität zu setzen. "Wir hatten Lehrlinge von anderen Winzern, als die zu Hause erzählten, dass sie vor der Ernte Trauben wegschneiden, wollten ihre Eltern sie abziehen", erzählt Klaus Peter. In der Nachkriegszeit hieß die Devise Masse statt Klasse, es war auch eine Generationenfrage. "Wem vor Hunger mal schwarz vor Augen war wie meinem Großvater, der konnte keine einzige Beere wegwerfen."

Weine auf Ebay für 500 Euro

Mit der jungen, gut ausgebildeten Winzer-Generation hat sich zuletzt viel getan. Deutscher Wein ist auf dem besten Weg, seinen hervorragenden Ruf von einst wieder herzustellen. "Wenn vor 100 Jahren am Zarenhof Party war, dann wurde mit Riesling gefeiert, er war doppelt so teuer wie Bordeaux oder Burgunder", sagt Keller. In seinem Weingut befinden sich sieben Parzellen mit Großen Gewächsen (Grand Crus). Die Abtserde verkauft er für 65 Euro die Flasche, sein Parade-Produkt, den G-Max, für mehr als 100 Euro. Die Nachfrage ist zehnmal so groß wie das Angebot von 1400 bis 1600 Flaschen im Jahr. Auf einer Versteigerung erzielte ein 2008er vor kurzem 4000 Euro.

"Wir haben mitbekommen, dass unsere Weine auf Ebay für 500 Euro angeboten werden", sagt Keller. Er geht solchen Fällen nach und streicht die Personen künftig von der Bezugsliste. "Wir wollen unseren Wein an Kenner und Liebhaber verkaufen, nicht an Spekulanten", sagt er.

Nur wenige hundert Meter von seinem Weingut befindet sich die Villa eines anderen deutschen Spitzen-Winzers: Volker Raumland, 58, macht den besten Sekt des Landes. Die Reben wachsen förmlich bis ins Wohnzimmer. An der Wand hängen die Auszeichnungen von Gault Millau. Seit 2005 wurden seine Produkte fast jedes Jahr zum besten deutschen Winzersekt gekürt. "Manchmal schmuggle ich bei Champagner-Verkostungen in Frankreich meinen Sekt ein, und oft wird er dann für Champagner gehalten", sagt Raumland. Nur dass er 35 Euro kostet und nicht weit mehr als 100 Euro. Seine Meisterschaft hat er in Jahrzehnten penibler Arbeit erworben. Er fing Anfang der 80er Jahre an, Sekt zu machen, weil er dachte, gute Weinmacher gebe es schon genug.

Quantität oder Qualität? Raumland weiß noch ein Beispiel: "Früher wurden die Rebstöcke oft nach 25 Jahren ausgemustert, heute lässt man sie bis zu 40 Jahre stehen." Ältere Stöcke brächten zwar weniger Ertrag als junge, dafür aber mehr Charakter. "Das ist wie beim Menschen, die Jungen sind leistungsfähiger, aber ihnen fehlt Wissen und Erfahrung", sagt Raumland. Oder, wie Kollege Keller sagt: "Die Rebe ist auch nur ein Mensch."

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