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Erfolgreicher Schuldenschnitt:Euro-Finanzminister geben Milliarden für Griechenland frei

Die Beteiligung war ordentlich: Fast 90 Prozent der Gläubiger Athens erlassen dem Land freiwillig Schulden. Die restlichen Anteilseigner werden nun zum Verzicht gezwungen. Gut für Griechenland - doch die Wirtschaft des Landes leidet weiter. Frankreichs Präsident Sarkozy zeigte sich dagegen äußerst optimistisch: Das griechische Problem sei jetzt gelöst, sagte er.

Bastian Brinkmann

Es ist ein Mehrkampf, den die griechische Regierung seit Beginn der Schuldenkrise austrägt. Sie boxt zuhause Sparpakete durch und absolviert auf den EU-Gipfeln in Brüssel einen Sitzungmarathon nach dem anderen. In der Disziplin Hochsprung darf sie sich nun als Sieger fühlen: Sie erreichte eine ordentlich hohe Marke beim Schuldenschnitt. 85,8 Prozent der privaten Gläubiger, die Papiere nach griechischem Recht halten, erlassen Athen freiwillig etwa die Hälfte der Schulden.

Doch für die Goldmedaille reicht es nicht. Die wichtige Latte von 90 Prozent bei der Beteiligung am Schuldenschnitt hat die griechische Regierung gerissen. Hätten neun von zehn Banken, Versicherungen und Hedgefonds einem Schuldenschnitt zugestimmt, hätte es für die übrigen kein Entrinnen gegeben: Der Schuldenschnitt wäre automatisch auf sie ausgeweitet worden. Ein entsprechendes Gesetz hatte Athen extra auf den Weg gebracht.

Weil 85,8 Prozent zugestimmt haben, ist die Quote nun so hoch, dass die griechische Regierung den Rest zwingen darf - aber dass sie dies auch tatsächlich macht, könnte Folgen an den Finanzmärkten haben. Das griechische Finanzministerium bekräftigte bereits, dass man das entsprechende Gesetz anwenden wolle. Ein Verband von Kleinaktionären kündigte juristische Schritte an.

Dank dieser nachträglich in die Kreditpapiere hineingeschriebenen Klauseln schafft Griechenland den Sprung über eine weitere wichtige Marke: Mehr als 95 Prozent der privat gehaltenen Schulden werden nun restrukturiert. Athen sollen so mehr als 100 Milliarden Euro erlassen werden. Nur damit kann es Griechenland laut den Prognosen der Ökonomen schaffen, den Schuldenstand bis 2020 auf ein Niveau zu drücken, dass der IWF und die EU als verträglich ansehen.

Erste Milliarden für Griechenland freigegeben

Die Finanzminister der Eurogruppe haben am Freitag den Schuldenschnitt begrüßt. Griechenland hat damit nach der Verabschiedung des harten Sparpakets praktisch die letzte Bedingung erfüllt, um das Rettungspaket ausbezahlt zu bekommen. Die Minister einigten sich in einer Telefonkonferenz darauf, dass nun 30 Milliarden Euro zur Unterstützung des Schuldenschnitts ausgezahlt werden, plus 5,5 Milliarden Euro für die Begleichung aufgelaufener Zinsen. Insgesamt umfasst das Rettungspaket 130 Milliarden Euro. Eine endgültige Entscheidung über das Gesamtpaket soll dem Vernehmen nach Anfang kommender Woche in Brüssel fallen.

Betroffen sind vom erzwungenen Schnitt nur die Investoren, die Anleihen nach griechischen Recht halten. Wer seine Kredite an das Land unter ausländischer Jurisdiktion gegeben hat, ist in einer ganz anderen Lage, weil das griechische Gesetz nicht greift. Bei diesen Anleihen, die ein Volumen von 29 Milliarden Euro haben, beträgt die freiwillige Beteiligungsquote 69 Prozent. Die griechische Regierung bittet die übrigen Anleger aber erneut um Hilfe: Wenn sie doch noch umtauschen wollen, wird für sie die Frist bis zum 23. März verlängert.

Anreize dafür gibt es, der Deal ist für die privaten Anleger gar nicht so schlecht. Zwar müssen sie 53,5 Prozent des Nominalwerts abschreiben. Doch die Gläubiger bekommen neue Papiere, die länger laufen und niedriger verzinst sind. Außerdem werden sie teilweise vom Rettungsfonds EFSF garantiert. Private Kreditgeber müssten in Zukunft kaum noch eine Pleite des Landes fürchten, analysiert die Bank JP Morgan, denn die große Mehrheit der Kredite komme jetzt von öffentlichen Geldgebern.

Auch die dritte Ratingagentur Fitch hat nun, nach Standard & Poor's und Moody's, Griechenland erneut herabgestuft. Fitch erteilte dem Land die Note "teilweise zahlungsunfähig". Die neuen Anleihen werden allerdings ein neues Rating bekommen.

Hedgefonds suchen schon nach juristischen Tricks

Am Schuldenschnitt ist indirekt auch der deutsche Steuerzahler beteiligt: Die sogenannte Bad Bank der verstaatlichten Immobilienbank HRE, die FMS Wertmanagement, beteiligt sich mit Anleihen und Krediten im Wert von 8,2 Milliarden Euro. Die FMS-Geschäftsleitung habe in Abstimmung mit dem Verwaltungsrat die Bereitschaft zur Teilnahme an dem Umtausch griechischer Staatsanleihen beschlossen, teilte die FMS am Donnerstagabend mit. Für die der FMS entstehenden Verluste muss der staatliche Bankenrettungsfonds Soffin geradestehen - in letzter Konsequenz also der Steuerzahler. Anders sieht es übrigens beim Pensionsfonds der Mitarbeiter des griechischen Finanzministeriums aus: Der trägt den Schnitt freiwillig nicht mit.

Einige Hedgefonds wehren sich nach Informationen von Reuters gegen den erzwungenen Schnitt. Dazu bedienen sie sich juristischer Tricks, um sich der Umschuldung zu entziehen. Die Investoren hätten demnach eine Möglichkeit entdeckt, die Regierung in Athen zu zwingen, bestimmte Schuldtitel voll auszuzahlen. Dies werde zwar den Schuldenschnitt in Höhe von mehr als 100 Milliarden Euro nicht behindern, könne Griechenland aber zu empfindlichen Zahlungen nötigen.

Den Reuters-Quellen zufolge geht es um eine Anleihe der staatlichen Eisenbahn, die von der griechischen Regierung garantiert wird. Darin gibt es demnach eine Klausel, nach der die Gläubiger einen Zahlungsausfall feststellen können, wenn der Schuldner eine Umschuldung anstrebt. Dies eröffne den Bond-Besitzern die Möglichkeit, eine sofortige Auszahlung zu verlangen. Besitzen die Hedgefonds aber nicht ausreichend Anteile an dem Fonds, können die übrigen Anteilseigner sie wieder in den Schuldenschnitt einbeziehen.

Auswirkungen auf die Schuldenkrise in anderen Staaten

Dass Griechenland nun zu Zwangsmaßnahmen greift, um die 95-Prozent-Marke zu erreichen, kann Konsequenzen haben. Finanzexperten sprechen von einer Ansteckungsgefahr: Werden Investoren von einem Euro-Staat zum Schnitt gezwungen, könnten sie auch bei anderen Krisenstaaten vorsichtig werden. Am Freitag reagierten die Märkte allerdings ruhig. Die Renditen auf spanische Anleihen fielen sogar unter die wichtige Schwelle von fünf Prozent. Italienische Anleihen waren ebenfalls im Minus, portugiesische relativ unverändert.

Die Zwangsklauseln könnten außerdem eine weitere Folge haben: Womöglich führen sie dazu, dass Kreditausfallversicherungen aktiviert werden. Diese Versicherungen - der Fachbegriff lautet Credit Default Swaps (CDS) - hatten im Jahre 2008 die Finanzkrise entschieden verschärft. An diesem Freitagmittag will sich der Finanzverband ISDA treffen und entscheiden, ob die Versicherungen jetzt greifen oder nicht. Investoren, die sich so abgesichert hatten, bekommen dann eine Entschädigung. Doch diesmal gehe von den CDS keine große Gefahr aus, sagen Analysten: Es seien wenige davon im Umlauf und die Märkte hätten schon eingepreist, dass die Versicherungen greifen, sagte ein Analyst.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) zeigte sich erfreut über den Schuldenschnitt. Ihr Sprecher Steffen Seibert sagte, das Ergebnis sei ermutigend und werde Griechenland helfen, Stabilität zu gewinnen. Die Griechen müssten die daraus resultierenden Chancen nun aber auch nutzen. Griechenland habe sich ein ehrgeiziges Programm gegeben, das nun umzusetzen sei, sagte Seibert.

Noch optimistischer zeigte sich Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy. Griechenland ist seiner Ansicht nach über den Berg. Er sei sehr glücklich darüber, dass eine Lösung für die griechische Krise gefunden worden sei, sagte er am Freitag in Nice. Das Problem sei jetzt gelöst. "In der Finanzkrise wendet sich ein Blatt."

Doch trotz des umfangreichen Forderungsverzichts der Gläubiger - Griechenland ist noch nicht final gerettet. Der Druck ist weiterhin enorm, die Finanzmärkte trauen dem Land nicht, die Schulden sind trotz Schnitt hoch. Und die Wirtschaftsleistung ist nach neuesten amtliche Zahlen noch stärker zurückgegangen als erwartet, um 7,5 Prozent im vierten Quartal des vergangenen Jahres. Bis 2020, wenn das Land finanziell wieder gut dastehen soll, ist es noch ein langer Weg. Erst vor ein paar Tagen hat Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) von einem dritten Rettungspaket für Griechenland gesprochen.

"Griechenland wird weiter erhebliche Schwierigkeiten haben, die Vereinbarungen mit EU und IWF einzuhalten", sagt etwa Ulrike Kastens von der Bank Sal. Oppenheim. Der Staat werde nur einen Teil davon erfüllen können. Die Prognosen etwa des IWF hält sie für viel zu optimistisch. "Deshalb wird es wahrscheinlich noch ein drittes Paket für Griechenland geben", sagt Kastens. "Mittelfristig muss die Förderung des Wachstums stärker im Fokus stehen."

Die Wirtschaft des Landes steht schlecht da. Die Statistikbehörde in Athen hat gerade erst gemeldet, dass die Arbeitslosigkeit auf ein Rekordniveau gestiegen ist: 21 Prozent sind ohne Job, das sind 1.033.507 Menschen, so viele wie nie zuvor. Arbeitslose erhalten in Griechenland nur ein Jahr lang Arbeitslosengeld, danach ist keine Unterstützung mehr vorgesehen. Der Absturz zeigt sich auch in den Straßen des Hauptstadt: Fast jedes dritte Geschäft hat mittlerweile zugemacht, sagt der Handelsverband.

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