Süddeutsche Zeitung

Erfolgreicher Mittelstand:Ein deutsches Phänomen

Warum kaufen Chinesen so gerne deutsche Mittelständler? Warum will Vorstandschef Joe Kaeser Siemens wie ein Familienunternehmen führen? Der Mittelstand gilt als das Rückgrat der deutschen Wirtschaft. Doch womit verdient er eigentlich sein Geld?

Von Elisabeth Dostert

Der Hof ist gefegt, die Fahnen gehisst - die bayerische, die deutsche, die europäische. Die Auswahl hat durchaus Symbolkraft. Wurzeln und Flügel. Zu Hause in Bayern, aber international tätig. Auf der Bühne der neuen Logistikhalle steht Philipp Dehn, 36, Betriebswirt und geschäftsführender Gesellschafter des auf Geräte und Komponenten für den Überspannungs-, Blitz- und Arbeitsschutz spezialisierten Unternehmens Dehn + Söhne.

Er repräsentiert die vierte Generation. Seit sein Vater Thomas Dehn zum Jahreswechsel aus der operativen Geschäftsführung ausgeschieden ist, ist Philipp Dehn der alleinige Vertreter der Familie in der Geschäftsführung. An seinem Geschick hängt das Wohl einer Firma und das einer Familie. Mehr als 100 Jahre ist das Unternehmen alt. Dehn erzählt, wie aus dem Handwerksbetrieb über die Generationen hinweg ein Industrieunternehmen wurde.

Es ist eine Geschichte, wie es sie zigfach in Deutschland gibt. Sie erzählt von Erfindern, Gründern, Unternehmern, von Risiko und Leidenschaft. Was Mittelständler und vor allem Familienunternehmer - trotz aller Klagen über die Mängel des Standorts - antreibt, erzählt die Süddeutsche Zeitung von diesem Sonntag an im Wirtschaftsteil und auf SZ.de in kurzen Porträts und Interviews.

Eher Netz denn Wirbelsäule

Dieser Montag ist für die Dehns ein großer Tag. "Inwieweit so ein Moment als ,historisch' bezeichnet werden kann, kann man ja immer erst einige Jahre, beziehungsweise Jahrzehnte später wirklich beurteilen", sagt Dehn. 35 Millionen Euro investiert die Firma in den neuen Standort. Lokale und regionale Prominenz hat sich in der Logistikhalle eingefunden. Dehns Nervosität weicht nach wenigen Sätzen. In seinem Redemanuskript steht wohl noch der Name Horst Seehofer, aber der bayerische Ministerpräsident hat kurzfristig abgesagt und seinen Innenminister Joachim Herrmann geschickt. Der sitzt in der ersten Reihe neben den anderen Ehrengästen, Amtsträgern und Ehrwürden. Dehn begrüßt sie alle: den Staatssekretär, den Landrat, Oberbürgermeister, Bürgermeister. Ein evangelischer Dekan und ein Monsignore werden später die Halle segnen. Es sei ihm eine Ehre, sagt Minister Herrmann. Er beglückwünscht die Dehns zum neuen Standort und sich und Bayern zu solchen Firmen. "Dehn ist ein bayerisches Unternehmen wie es im Buche steht."

In Mühlhausen wird mehr gefeiert als eine neue Logistikhalle. Gefeiert wird ein deutsches Phänomen: der Mittelstand, für den andere Länder Deutschland bewundern und beneiden. Eine so typisch deutsche Erscheinung, dass es offenbar keine angemessene Übersetzung gibt. Oder ist es bloße Ehrfurcht oder gar Angst vor der Konkurrenz, die selbst Briten und Amerikaner vom "German Mittelstand" reden lässt? Warum kaufen Chinesen so gerne deutsche Mittelständler? Warum will Vorstandschef Joe Kaeser den "Tanker" Siemens künftig wie ein Familienunternehmen führen? "Warum haben wir keinen Mittelstand?", klagte unlängst der britische Handelsminister Ian Livingstone vor britischen und deutschen Unternehmern. Die mittleren Unternehmen seien enorm wichtig für die britische Wirtschaft. Er wolle, versprach Livingstone, sich für die Schaffung eines "Brit-elstand" einsetzen.

Der Mittelstand gilt immer noch als "Rückgrat der deutschen Wirtschaft". Ganz richtig ist das vom häufigen Gebrauch abgenutzte Bild aber nicht. Auf Deutschland bezogen ähnelt das Skelett mehr einem knöchernen Netz als einer Wirbelsäule. Der Mittelstand ist überall.

Noch lieber als vom Mittelstand spricht Lutz Goebel von Familienunternehmen. Goebel ist einer von ihnen: Unternehmer und Präsident des Verbandes Die Familienunternehmen - ASU. "Unter qualitativen Aspekten sind beide Begriffe identisch", sagt Hans-Jürgen Wolter vom Institut für Mittelstandsforschung (IfM) in Bonn: "Im Mittelstand liegen Leitung, Haftung und Risiko beim Inhaber."

"Selbst BMW ist ein Familienunternehmen"

Dass sich dieses deutsches Phänomen nicht allein in Zahlen messen lässt, war schon Wirtschaftswunderminister Ludwig Erhard klar. "Wenn wir Mittelstand nur vom Materiellen her begreifen, wenn man Mittelstand sozusagen nur an der Steuertabelle ablesen kann, dann ist dem Mittelstandsbegriff meiner Ansicht nach eine sehr gefährliche Wendung gegeben. Der Mittelstand kann materiell in seiner Bedeutung nicht voll ausgewogen werden, sondern er ist viel stärker ausgeprägt durch seine Gesinnung und eine Haltung im gesellschaftswirtschaftlichen und politischen Prozess", sagte Erhard 1955 auf einer Arbeitstagung der Aktionsgemeinschaft Soziale Marktwirtschaft in Bad Godesberg.

95 Prozent der rund 3,65 Millionen Firmen in Deutschland sind Familienunternehmen. Sie stellen gut 60 Prozent der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten, erwirtschaften rund 40 Prozent der Erlöse. Selbst Konzerne, welche die rein quantitativen Grenzen des Bonner IfM für kleine und mittlere Unternehmen (KMU) - bis zu 499 Beschäftige und 50 Millionen Euro Umsatz - sprengen, fühlen sich immer noch als Mittelständler und Familienunternehmer.

"Selbst BMW ist in letzter Konsequenz ein Familienunternehmen", sagt Goebel. Heißt: Trotz der Größenunterschiede - und es handelt sich um Milliarden - tickt Susanne Klatten, in deren Portfolio Anteile an BMW, Altana, Nordex und SGL Carbon stecken, im Grunde nicht anders als einer wie Lutz Goebel. Beide denken langfristig. "Hinter den Unternehmen stehen Familien, die der Firma eine sehr viel längere Ausrichtung geben, als das in anonymen Gesellschaften der Fall ist", sagt Goebel. Alle verfolgen ein großes Ziel. "Wir wollen möglichst unabhängig sein", sagt Goebel: "Wir denken in Generationen."

So wie die Dehns aus Neumarkt in der Oberpfalz.

Klassentreffen Mittelstand - der Kongress für Weltmarktführer, Familienunternehmer und Gründer

Der deutsche Mittelstand ist die Stärke der deutschen Wirtschaft. Seinen Werten, Strategien, Erfolgen und Sorgen widmet sich das 1. Klassentreffen Mittelstand der Süddeutschen Zeitung am 3. und 4. Juni 2014 in Bielefeld.

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SZ vom 28.02.2014/luk
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