Süddeutsche Zeitung

Erdgas-Förderung:Fracking-Gesetz - ein unfassbares Versagen der Regierung

Seit Jahren blockieren und verschleppen Politiker ein Gesetz für die umstrittene Technologie. Das kann schon sehr bald katastrophale Folgen haben - für Umwelt und Bürger.

Kommentar von Michael Bauchmüller

Wenn eine Behörde einen Antrag genehmigt, dann richtet sie sich nicht nach der öffentlichen Meinung, sie richtet sich nach dem Gesetz. Das ist beim Fracking nicht anders als bei einem Bauantrag, mögen die Gegner noch so zahlreich sein. Soll eine Behörde die umstrittene Förderung von Gas mit Chemie und Druck verbieten, etwa aus Rücksicht auf Gewässer und Erdbebengefahr, dann braucht sie dafür ein Gesetz. Doch ein solches gibt es nicht, allen berechtigten Vorbehalten, allen Widerständen zum Trotz.

Dahinter steht ein unfassbares und fortgesetztes Regierungsversagen. Schon die schwarz-gelbe Koalition wollte Regeln für die umstrittene Technologie aufstellen. Sie kam bis zu einem Entwurf, der wahlweise das Fracking erst möglich machte (so lobte seinerzeit das Wirtschaftsministerium) oder verhinderte (fand das Umweltministerium). Und weil man sich schon auf die Auslegung des geplanten Gesetzes nicht einigen konnte, ließ es diese Koalition lieber gleich ganz.

Die Nachfolgeregierung widmete der Gasförderung der neuen Generation gleich einen ganzen Abschnitt ihres Koalitionsvertrags. "Kurzfristig" sollten Vorgaben entstehen, mit denen sich Wasser und Umwelt vor Fracking-Folgen schützen ließen, vereinbarten Union und SPD.

Fünf Jahre haben Exxon & Co. stillgehalten - jetzt nicht mehr

Doch über die kurzfristige Lösung debattiert die Koalition seit mehr als zwei Jahren. Es gab sogar schon einen Termin für die dritte und abschließende Lesung des Gesetzes: In ein paar Tagen liegt er genau ein Jahr zurück. Seinerzeit war das Thema vertagt worden, kurzfristig. Seither herrscht Schweigen.

Die Frontlinien verlaufen quer durch die Fraktionen, ähnlich wie einst zwischen Union und FDP. Die einen fordern ein komplettes Verbot, die anderen möglichst viel Freiheiten für die Industrie. Vielen Parlamentariern sitzen besorgte Wähler im Nacken.

Vor allem in Nordrhein-Westfalen ist der Widerstand groß, sowohl Union als auch SPD profilieren sich im Kampf gegen Fracking, die Grünen sowieso. Die Landtagswahlen dort rücken näher. Geschieht nicht bald etwas, dann wird auch die große Koalition an der Fracking-Frage scheitern. Nur gilt hier eben nicht die Weisheit, nach der kein Gesetz oft besser ist als ein schlechtes. Sondern das glatte Gegenteil.

Fast nirgendwo sind die Vorgaben lascher als im Bergrecht

Der Industrie ist kaum vorzuwerfen, dass sie die Geduld verliert. Fünf Jahre lang hat sie stillgehalten, in Erwartung einer Lösung. Wenn die Firmen nun ihre Anträge wieder vorlegen, haben sie beste Chancen auf Genehmigungen. Schließlich ist die Grundlage ein uraltes Bergrecht, das Erdgas vor allem als "Schatz" sieht, den es zu heben gilt.

Kaum irgendwo sonst sind die Umweltvorgaben lascher als im Bergrecht. Gibt es keine neuen Gesetze, die den Schutz des Trinkwassers, den Umgang mit giftigem Lagerstättenwasser und die Vorsorge gegen Umweltschäden regeln, greifen eben die alten.

Viele Gegner haben bisher gehofft, sie könnten das Fracking verhindern, indem sie einfach das Gesetz blockieren. Sie lagen dramatisch falsch. Sie machen es damit erst möglich.

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Quelle:
SZ vom 16.06.2016/mahu
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