Süddeutsche Zeitung

Erdgas:Umweltverbände kämpfen gegen Gas-Beihilfen

Die EU will klimaneutral werden und dafür den Ausstieg aus der Kohle fördern. Das Parlament setzt nun stattdessen auf Erdgas - zum Entsetzen von Umweltschützern.

Von Michael Bauchmüller und Björn Finke

Ursula von der Leyen ließ keinen Zweifel: Mit dem Green Deal, Europas Plan für den Klimaschutz, ist es ihr ernst. "Sein Herzstück", so erklärte sie vor drei Wochen bei ihrer Rede zur Lage der Union, "ist unser Ziel, bis 2050 der erste klimaneutrale Kontinent der Welt zu werden." Dumm nur, dass das Europäische Parlament nur wenige Stunden zuvor an dieses Herzstück Hand angelegt hatte - und das quasi unbemerkt.

Die Abgeordneten stimmten mit großer Mehrheit dafür, unter bestimmten Bedingungen weiterhin Investitionen in neue Gas-Infrastrukturen zu fördern. Und das ausgerechnet über den so genannten "Fonds für einen gerechten Übergang", einen Geldtopf, aus dem der Strukturwandel in Kohleregionen unterstützt werden soll. Deutschland zählt zu den größten Nutznießern des Fonds, jeder achte Euro soll hierher fließen - viel mehr als ursprünglich erwartet. Polen steht ein Fünftel des 17,5-Milliarden-Euro-Fonds zu, auch Rumänien, Tschechien und Bulgarien sollen Milliardensummen erhalten. Aber für Investitionen in Gas?

Erdgas zwar klimafreundlicher als Braun- und Steinkohle, aber keineswegs per se klimafreundlich

Umweltschützer sind entsetzt. Am Dienstag wandten sich die führenden deutschen Umweltverbände an Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU), der Brief liegt der Süddeutschen Zeitung vor. "Gas kann keinesfalls als klimafreundlicher Energieträger angesehen werden und emittiert entlang seiner Förderungs- und Transportkette große Mengen an Treibhausgasen, insbesondere Methan", schreiben sie darin. Der Einsatz von Erdgas müsse "auf ein Minimum reduziert werden und schnellstmöglich zum Erliegen kommen".

Tatsächlich ist Erdgas zwar klimafreundlicher als Braun- und Steinkohle, aber keineswegs per se klimafreundlich. In der Stromerzeugung fallen nach Daten des Umweltbundesamtes bei einem Braunkohlekraftwerk - auch wegen der schlechten Wirkungsgrade - mehr als 1100 Gramm Kohlendioxid je Kilowattstunde an; bei einem Steinkohlekraftwerk sind es mehr als 800 Gramm. Gas schneidet da wesentlich besser ab. Doch die 374 Gramm, die hier für jede Kilowattstunde ausgestoßen werden, sind vom großen Ziel der Klimaneutralität noch weit entfernt.

Die Umweltverbände fürchten nun, dass europäisches Steuergeld in das nächste Klimaproblem fließt. "Wenn Kohleregionen in Deutschland und Europa jetzt den Aufbau von Gasinfrastruktur forcieren, droht ein fossiler Lock-In auf Jahrzehnte", heißt es in dem Brief an Altmaier. Die Investitionen würden gewissermaßen den fossilen Pfad auf lange Sicht zementieren. "Es wäre absurd, nun statt sauberen Alternativen eine andere fossile Energie zu fördern", sagt auch Patrick Graichen, Chef des Berliner Thinktanks Agora Energiewende. Besser sei das Geld in Wasserstoff-Infrastruktur angelegt oder in neue Jobs in Strukturwandel-Regionen.

Vor allem konservative und osteuropäische Parlamentarier hatten darauf gedrängt, Gas zu berücksichtigen - sie sehen es als Brücke in eine klimaneutrale Zukunft. "Ohne neue Gaskraftwerke wird es in weiten Teilen Osteuropas keine Energiewende geben", sagt etwa der CDU-Abgeordnete Markus Pieper, der im Industrieausschuss des Europaparlaments sitzt. Obendrein sichere eine Gas-Infrastruktur "den Übergang in das Zeitalter von Wasserstoff und synthetischen Kraftstoffen". Die Mehrheit des Parlaments beschloss daher, dass Gasprojekte gefördert werden können, wenn sie nachhaltig sind und wenn sie Kohleregionen beim grünen Wandel helfen.

Ob sich die Gas-Hilfen durchsetzen, entscheidet sich im sogenannten Trilog, den Beratungen zwischen EU-Kommission, Europaparlament und Rat, also der Vertretung der 27 Mitgliedsstaaten. Der Rat beschloss bereits im Juni seine Verhandlungsposition - und die Regierungen einigten sich anders als das Parlament darauf, Gas auszuschließen. Die Gespräche könnten im November beginnen, und die Hoffnungen der Klimaschützer ruhen auf der Bundesregierung, weil Deutschland seit Juli den rotierenden Vorsitz des Rates innehat. Auch das Wirtschaftsministerium verweist auf den Trilog: Man werde die "Verantwortung als neutraler Vermittler" wahrnehmen, heißt es aus dem Haus von Peter Altmaier.

Seit Altmaier den Klimaschützer in sich wiederentdeckt hat, sind die Erwartungen besonders hoch. Schließlich verlangt der Minister neuerdings, den Klimaschutz "vor die Klammer" zu ziehen, also bei allen Entscheidungen mitzudenken. Daran appellieren nun auch die Umweltverbände. Im Geiste seiner Vorschläge, so schreiben sie, müsse sich Altmaier im Trilog für einen Ausschluss von Gasprojekten einsetzen.

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