Erbschaftsteuerrecht:Die Boomjahre werden zum Bumerang

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Erblich belastet: In guten Jahren wurde das Steuerrecht reformiert. In der Krise zeigen sich die Tücken des neuen Gesetzes.

Elisabeth Dostert

Heinrich Grieshaber und seine Frau Gabriele wohnen in der Nähe von Friedrichshafen, ihnen gehört ein schönes Fleckchen direkt am Wasser. "Jeden Morgen schweift mein Blick über den Bodensee", erzählt der 60-jährige Unternehmer. Bei klarer Sicht kann er bis Österreich und in die Schweiz sehen. "Die haben es gut. Die kriegen keine Kratzer", denkt er dann. "Die zahlen keine Erbschaftsteuer. Die können sich um das eigentliche Geschäft kümmern."

Bis die Köpfe rauchen: Das neue Erbschaftsteuergesetz lässt viele Familienunternehmer verzweifeln. Mittelstandsvertreter würden die Steuer am liebsten ganz abgeschaffen. (Foto: Illustration: h1-daxl.de)

Seit Anfang 2009 ist in Deutschland das neue Erbschaft- und Schenkungsteuergesetz in Kraft. "Im täglichen Überlebenskampf der Wirtschaftskrise rückt das Thema Nachfolge in den Hintergrund", sagt Heinrich Hübner. Der Rechtsanwalt und Steuerberater aus Stuttgart hat ein Buch über das neue Gesetz geschrieben. "Und wer beschäftigt sich schon gerne mit dem eigenen Ableben. Auch Mittelständler verdrängen das gerne", sagt er. "Einige hoffen auch darauf, dass wir nach der Bundeswahl eine andere Regierung haben, die die gröbsten Nachteile wieder ausräumt."

"Die Boomjahre werden zum Bumerang"

Gerade in der Krise zeigen sich manche Tücken im neuen Gesetz deutlich. "Es wird schwierig, Lohnsummen zu garantieren", sagt Hübner. "In der Steuerklasse I ist, wenn die gesetzlichen Vergünstigungen nicht genutzt werden können, fast ein Drittel des Unternehmenswertes als Steuer abzuführen." Die Stiftung Familienunternehmen wettert: "Die Boom-Jahre werden nun zum Bumerang."

Grieshaber klingt mal sauer, mal frustriert. Ihm und seiner Frau gehören ein Logistikunternehmen mit 450 Mitarbeitern und 55 Millionen Euro Umsatz und eine Immobiliengesellschaft. "Wer weiß denn schon, was in sieben oder zehn Jahren sein wird? Niemand", sagt Grieshaber, der auch Präsident der Industrie- und Handelskammer Bodensee-Oberschwaben ist. Solche Prognosen aber müssen Unternehmer treffen, wenn sie als Grundlage für die Besteuerung den Wert ihrer Firma ausrechnen und sich für eine der beiden Optionen entscheiden müssen, über die sie ihre Steuerlast abstottern können.

"Wer kann denn jetzt eine Lohnsumme garantieren?", fragt Grieshaber. "Bei einigen meiner Kunden sind die Erlöse um ein Drittel bis die Hälfte eingebrochen. Das dauert bis 2015 oder 2017, bis die wieder das Niveau der vergangenen Jahre erreichen." Hunderte solcher Geschichten könnte Grieshaber erzählen. Die Botschaft ist immer die Gleiche: "Für eine größere Gerechtigkeit sorgt das Gesetz nicht. Wer erfolgreich wirtschaftet, wird bestraft. Und Erfolg muss man doch erst einmal haben, um überhaupt etwas zu vererben oder zu verschenken", sagt der 60-Jährige. "Die Erbschaftsteuer muss weg."

4,2 Milliarden Euro nahm der Staat 2007 in Form von Erbschaft- und Schenkungsteuer ein. Das ist nicht einmal ein Prozent des gesamten Steueraufkommens von gut einer halben Billion Euro. "Aufgrund der deutlich erhöhten Freibeträge müssen die allermeisten Erben, vor allem Ehepartner, Kinder und Enkel, gar keine Steuern auf Erbe und Schenken zahlen", sagt Andreas Wiedemann, Partner der Stuttgarter Kanzlei Hennerkes Kirchdörfer & Lorz und Honorarprofessor am Friedrichshafener Institut für Familienunternehmen.

Wie bei der Einkommensteuer auch, liefern wenige das Gros der Einnahmen ab. Laut Statistischem Bundesamt entfallen auf 4,5 Prozent aller steuerpflichtigen Erb- und Schenkungsfälle 60 Prozent des Steueraufkommens, rund 185000 waren das im Jahr 2007.

Verkaufen, verschenken, liquidieren

In Deutschland müssen nach Angaben des Instituts für Mittelstandsforschung (IfM) in Bonn Jahr für Jahr ungefähr 70.000 der zwei Millionen Firmen mit mehr als 50.000 Euro Umsatz ihre Nachfolge ordnen. Etwa 31.000 regeln sie innerhalb der Familie. Aber diese Zahl liefert lediglich einen Näherungswert für die Zahl der Erbfälle, denn auch innerhalb von Familien werden Unternehmen oder Anteile daran verkauft oder verschenkt. "Und viele kleine Betriebe werden mangels Ertragspotential einfach liquidiert", sagt IfM-Geschäftsführer Frank Wallau. Der Unternehmenswert liege deutlich unter den Freibeträgen der Kinder.

"Die Reform trifft vor allem mittlere und größere Familienunternehmen mit mehr als 50 Millionen Euro Umsatz hart", sagt Wiedemann. Das sind laut Stiftung Familienunternehmen rund 1.200 Firmen. "4,2 Milliarden Euro mögen aus volkswirtschaftlicher Sicht vernachlässigbar sein, aber für einzelne Familienunternehmen kann die steuerliche Last des Erbes im schlimmsten Falle zur Existenzfrage werden. Zumindest aber muss sich ein Unternehmer entscheiden, ob er das Geld investiert oder lieber für den künftigen Erbfall zurücklegt."

Die Erben plagen vor allem diese Fragen: Wie viel ist die Firma wert? Welches Bewertungsverfahren ist das günstigste? Ist es sinnvoll, die Unternehmensanteile mit denen anderer Gesellschafter zu poolen, um über die für das Wahlrecht entscheidende Anteilsgrenze von 25 Prozent an Kapitalgesellschaften zu kommen?

Mit der Orientierung am Verkehrswert werde zwar der Forderung des Bundesverfassungsgerichtes genüge getan, sagt Wiedemann. Im Vergleich zu den alten Bewertungsverfahren, die sich an Buchwerten orientieren, fällt die Bewertung der gleichen Firma aber nicht selten um das Vier- bis Achtfache höher aus. "Da kann auch ein größerer Schreiner oder Bäcker nach dem neuen Recht steuerpflichtig werden", sagt Wiedemann.

Arbeiten für das Finanzamt

Der Firmenwert hängt auch von der Rechenmethode ab. Je nach Methode ergeben sich Unterschiede von 80 bis 100 Prozent. Und Verkehrswerte können sich derzeit schnell ändern. "Eine Firma, für die letztes Jahr ein Käufer 100 Millionen Euro gezahlt hätte, ist jetzt vielleicht nur noch 50 Millionen Euro wert", sagt Wiedemann. "Die Bewertung und die Nutzung von Verschonungsabschlägen wird zur zentralen Frage der Nachfolge, dabei sollten sich die Familien doch eigentlich um andere Themen kümmern: Wer ist überhaupt der geeignete Nachfolger? Wie sieht die künftige Strategie aus?"

Die Grieshabers haben keine Kinder. Sie machen sich seit langem Gedanken über ihre Nachfolge. "Wir haben alle Modelle immer wieder durchgerechnet", sagt der Unternehmer. "Eigentlich wollen wir die beiden Firmen erhalten, und sie sollen auch weiter unseren Namen tragen." Den Plan, die Firma an einige Mitarbeiter zu vererben oder zu verschenken, haben sie verworfen. Die können anders als Verwandte keine Freibeträge geltend machen. "Auf die Angestellten kämen Steuern von 3,5 bis fünf Millionen Euro zu. Die würden ein paar Jahre nur noch fürs Finanzamt arbeiten, statt das Geld in die Expansion zu stecken." Seine Firmen seien mit einer Eigenkapitalquote von 40 Prozent gut unterwegs, entsprechend hoch wäre die Bewertung.

Grieshaber fühlt sich ungerecht behandelt. "Wir geben jährlich einen sechsstelligen Betrag für soziale und gesellschaftliche Zwecke aus", sagt er. "Für den Migrationskindergarten in Friedrichshafen, die Volleyball-Mannschaft, das neue Familienunternehmer-Institut der Zeppelin-Universität. Wir könnten einfach abhauen", sagt er. "Das machen andere ja auch. Die sind längst in der Schweiz oder Österreich."

Grieshaber hat das Schweizer Wirtschaftsmagazin Bilanz abonniert. Das veröffentlicht regelmäßig eine Liste der 300 Reichsten des Landes. "Ein Viertel davon sind Deutsche oder hat einen deutschen Ursprung." Auf der Liste stehen Männer wie der Molkereiunternehmer Theo Müller, der prominenteste Erbschaftsteuerflüchtling. Grieshaber will bleiben. "Im Prinzip läuft die Nachfolge jetzt auf eine Stiftung hinaus."

+++Das neue Erbschaftsteuergesetz im Detail+++

Das Gesetz

Erst ließen sich die Politiker sehr viel Zeit, zum Schluss musste es schnell gehen. Das Bundesverfassungsgericht stellte in seinem Beschluss vom 7. November 2006 fest, dass das Erbschaftsteuerrecht in wesentlichen Teilen verfassungswidrig ist. Zwei Jahre gaben die Richter dem Gesetzgeber Zeit für die Reform. Immer neue Vorschläge wurden diskutiert. Familienunternehmer und ihre Lobbyisten liefen monatelang Sturm gegen die geplante Reform.

Nach langen Diskussionen wurde dann der Gesetzentwurf am 27. November vergangenen Jahres vom Bundestag verabschiedet, am 5. Dezember stimmte der Bundesrat zu. An Heiligabend unterzeichnete Bundespräsident Horst Köhler das neue Gesetz, so dass es am 1. Januar 2009 in Kraft treten konnte.

Die Bewertung

Die Bewertung orientiert sich nun für alle Firmen am Verkehrswert. Früher basierte sie bei Personengesellschaften und Einzelkaufleuten auf dem Buchwert. Der Wert börsennotierter Kapitalgesellschaften bemisst sich heute wie früher am Aktienkurs und, so sie nicht notiert sind und innerhalb des vergangenen Jahres Firmenteile verkauft wurden, am dafür erzielten Preis.

Alle anderen Kapitalgesellschaften wurden früher nach dem Stuttgarter Verfahren bewertet, grob gerechnet betrug der Wert dann knapp 70 Prozent der Summe des Substanzwertes plus das Fünffache des Ertragswertes. Zur Berechnung des Verkehrswertes werden andere Methoden herangezogen.

Die Optionen

Wenn der Vermögenswert die Freibetragsgrenzen überschreitet, bietet das neue Recht für Erben von Betriebsvermögen und Anteilen an Kapitalgesellschaften von mehr als 25 Prozent zwei Varianten, die Steuerlast zu mindern: Regelverschonung und Optionsverschonung.

Bei der ersten Variante unterliegen sofort 15 Prozent des Vermögens nach Abzug eines steuerfreien Betrages von maximal 150.000 Euro der Besteuerung. Wird der Betrag überschritten, sinkt der Abzugsbetrag um die Hälfte des überschreitenden Wertes. 85 Prozent werden erlassen, wenn die Erben den Betrieb sieben Jahre fortführen und die Lohnsumme über sieben Jahre kumuliert nicht unter 650 Prozent des Ausgangswertes sinkt.

Der Anteil des Verwaltungsvermögens wie vermietete Immobilien, Wertpapiere oder Kunst darf höchstens die Hälfte des Betriebsvermögens ausmachen. Liegt sein Anteil bei zehn Prozent oder weniger, kommt die Optionsverschonung in Frage. Dann können 100 Prozent des Vermögens steuerfrei übertragen werden, wenn der Betrieb zehn Jahre fortgeführt wird und die Lohnsumme über zehn Jahre kumuliert mindestens 1.000 Prozent des Ausgangswertes beträgt. Die Mindestlohnsummen gelten für Betriebe mit mehr als zehn Beschäftigten. Bei Verstößen vermindert sich der Verschonungsabschlag zeitanteilig.

© SZ vom 18.06.2009/as/hgn - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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