Erbschaftsteuer:Die Lobby hat Erstaunliches erreicht

Erbschaftsteuer: *Schätzung; SZ-Grafik; Quellen: Statistisches Bundesamt, DIW

*Schätzung; SZ-Grafik; Quellen: Statistisches Bundesamt, DIW

Wie Unternehmervertreter versuchen, die Erbschaftsteuer zu verhindern.

Von Cerstin Gammelin

Freitag, im feinen Berliner Hotel Adlon. Die Kanzlerin betritt den in gold und grün gehaltenen Palaissaal. Unter ausladenden Lüstern haben sich mehrere hundert Firmenpatriarchen versammelt, die eine Frage bewegt: Wird ihnen Angela Merkel versprechen, die verhasste Erbschaftsteuer abzuräumen?

Brun-Hagen Hennerkes, ein elegant gekleideter Mann, ist Vorstandsvorsitzender der Stiftung Familienunternehmen, ihr oberster Interessenvertreter. Er hält es für geboten, der Kanzlerin noch einmal ausführlich die Forderungen der Branche darzulegen. Und so stellt er sich zunächst statt ihrer an das Rednerpult. Er sagt Sätze, die mit "Es darf nicht sein" oder mit "Das neue Gesetz soll unbedingt" beginnen. Merkel muss warten und zuhören.

Irgendwie erinnert das Szenario an den CSU-Parteitag im vergangenen November, als Parteichef Horst Seehofer die Kanzlerin auf offener Bühne zehn Minuten lang belehrte. "Sie sehen hier Repräsentanten von Firmen, die 160 Milliarden Euro Umsatz machen jährlich und eine Dreiviertelmillion Arbeitsplätze sicherten", endet Hennerkes. Was schon nicht mehr an Seehofer erinnert, sondern eher an den Paten in Francis Ford Coppolas Film, der seinem Gegenüber erklärt, dass man sich gegenseitig Gefallen erweisen müsse.

Eine Minute später rückt Merkel die Verhältnisse zurecht. Wenn die deutsche Wirtschaft so gute Zahlen schreibe, beginnt sie lobend, "hängt das auch mit Ihnen zusammen". Im Übrigen aber, fügt sie hinzu, gebe es in Deutschland gerade 43 Millionen Erwerbstätige. Pause. Lächeln. Alles klar? Unausgesprochen schwingt durch den Saal, dass 750 000 Arbeitsplätze zwar wunderbar sind, aber im Vergleich zu 43 Millionen eben nur ein Bruchteil. Weshalb die Bundesregierung nicht nur Rücksicht auf Familienerben nehmen könne.

Szenen wie im Adlon zeigen, wie Interessengruppen versuchen, Reformen zu beeinflussen. Spitzenpolitiker werden eingeladen, offiziell und natürlich informell, und mit Bedenken und Forderungen konfrontiert. Das gehört zum demokratischen Geschäft, erklärt aber auch, warum es so schwer ist, große Reformen anzupacken. Insbesondere, wenn es um Steuern geht.

Verfassungsrichter verlangen eine Reform bis zum Ende des Monats

Als bisher letzte große Steuerreform gilt jene aus dem Jahr 2000, als die rot-grüne Koalition die Sätze in der Einkommensteuer senkte, den Grundfreibetrag erhöhte sowie Unternehmen entlastete. Es gab weitere Vorschläge, das hochkomplizierte deutsche Steuersystem gerechter und einfacher zu machen. Alle scheiterten am mangelnden Willen, das zwischen den verschiedensten Interessengruppen von Familienunternehmern über Hoteliers bis hin zu Besserverdienenden ausbalancierte Steuersystem anzugehen. Die Grünen verloren die Bundestagswahl 2013 mit dem Versprechen einer Steuerreform. "Viel zu heikel bei so vielen Interessen", sagt ein langjähriger Beamter aus dem CDU-geführten Bundesfinanzministerium. "Es gibt viele Gründe für eine Steuerreform", sagt SPD-Fraktionsvize Carsten Schneider. "Aber wenn es konkret wird, fühlt sich jeder betroffen."

Und die Kanzlerin? Merkel, die im Adlon über die Erbschaftsteuer spricht, lässt keinen Zweifel daran, dass sie wenig Lust hat, am Steuerrecht zu feilen. Auch nicht an der Erbschaftsteuer. "Das Schönste wäre gewesen, das Bundesverfassungsgericht hätte alles so gelassen", sagt sie. Dann wäre es bei den vielen Ausnahmen für Familienunternehmen bei der Erbschaftsteuer geblieben. Die Richter befanden allerdings im Jahr 2014, dass die Vergünstigungen für die Übertragung von Betriebsvermögen bei der Erbschaft- und Schenkungsteuer verfassungswidrig sind. Sie trugen der Regierung auf, bis zum 30. Juni 2016 ein neues Erbschaft- und Schenkungsteuergesetz vorzulegen. "Wir können nicht so viele Unternehmen aus der Erbschaftsteuer rausnehmen, dass keine mehr drinbleiben", sagt Merkel. Finanzminister Wolfgang Schäuble wird also die steuerlichen Regeln beim Erben nachbessern.

Tipps von Merkel

Das klingt nicht wie das erhoffte Versprechen, Firmenerben weiterhin überwiegend von der Steuer auszunehmen. Aber mit leeren Händen will die Kanzlerin, die als CDU-Vorsitzende an ihre Wähler denken muss, die Patriarchen nicht sitzen lassen. Also gibt sie einen Ratschlag. Die Familienunternehmer hätten die Forderungen zur Erbschaftsteuer ja "sachkundig beim Finanzminister und verschiedenen Ministerpräsidenten platziert", sagt sie. "Wenn Sie noch mit den sozialdemokratischen Ministerpräsidenten reden, wäre das für die Einigkeit in der Koalition hilfreich." Im Übrigen rate sie dringend davon ab, lange zu warten. Falls eine Klage beim Bundesverfassungsgericht eingehe, könnten die Richter die Vorgaben präzisieren. Was womöglich zu strikteren Steuerregeln führt.

Eine Einigung war schon erzielt. Dann kam die CSU mit Nachbesserungen

Der Ratschlag verdeutlicht das ganze Dilemma, in dem die große Koalition bei der Reform der Erbschaftsteuer steckt und das darüber hinaus für viele Reformen gilt. Es ist beinahe unmöglich, die vielfältigen Interessen unter einen Hut zu bekommen. Schäuble hatte bereits Anfang 2015 seinen Gesetzesvorschlag vorgelegt. Am 11. Februar einigte man sich in der Koalition. Vertraulich und "mit Handschlag" sei das geschehen, sagt SPD-Chefunterhändler Schneider. SPD und CDU waren den Forderungen, die CSU-Chefunterhändlerin Gerda Hasselfeldt vorgetragen hatte, sehr weit entgegengekommen.

Der Kompromiss hielt bis zum übernächsten Montagmorgen. Bei Schneider klingelte das Telefon, am anderen Ende war Hasselfeldt. Es tue ihr leid, sie müsse neue Wünsche übermitteln. Mitten im parlamentarischen Verfahren hatte Seehofer Familienunternehmen in die Staatskanzlei eingeladen und den vertraulichen Kompromiss vorgelegt. Untragbar hatten die ihn befunden und acht Nachbesserungen gefordert, die Seehofer prompt übernahm. Erfolgreicher kann Lobbyarbeit nicht sein.

Seither hängt das Gesetz fest. "Die CSU hat den Bogen überspannt", sagt Schneider. Die SPD sei noch maximal zu "marginalen Veränderungen bereit, und die haben einen sehr hohen Preis. Das Steueraufkommen muss steigen". Das ist das Gegenteil von dem, was die Erben wollen, deren Lobbyarbeit Schneider als "maßlos in der Zahl der Briefe, Veranstaltungen und Forderungen" einstuft. Letzteres gilt wohl auch für die Warnung, die Cheflobbyist Hennerkes im Adlon formuliert: Es drohe das Ende des Erfolgsmodells Familienunternehmen.

Am Ende steht Hennerkes wieder vorn neben der Kanzlerin. Sonst habe er stets ein Geschenk vorbereitet, jetzt möchte er um eines bitten, sagt er. Merkel schaut so überrascht, dass er versichert, sie brauche keine Angst zu haben, die Bitte sei harmlos. "Es wäre schön, wenn Sie uns sagen, ob Sie wieder antreten." Er wisse als Unternehmer eines doch am besten, kontert Merkel, erleichtert, dass sie nicht doch noch um die Abschaffung der Erbschaftsteuer gebeten wird: Es gebe immer den richtigen Zeitpunkt. Für alles.

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