Süddeutsche Zeitung

Erbschaftsteuer:Der schwere Kompromiss

Für Firmeninhaber kam es weniger schlimm als befürchtet. Viele haben ihren Betrieb aber schon verschenkt.

Von Stefan Weber

In vier Jahren kann viel passieren. Regierungen werden gewählt, Fußball-Weltmeister gekürt, und Hersteller von Mobiltelefonen bringen in dieser Zeit mindestens zwei neue Gerätegenerationen auf den Markt. Manchmal können vier Jahre aber auch eine gefühlte Ewigkeit sein. Nämlich dann, wenn Stillstand herrscht, eine quälende Ungewissheit. Dieser Begriff beschreibt ganz gut, in welchem Zustand sich viele Familienunternehmen seit dem 27. September 2012 befanden. An diesem Tag hatte der Bundesfinanzhof in einem Revisionsverfahren dem Bundesgerichtshof die Frage vorgelegt, ob - vereinfacht gesagt - die geltenden Vergünstigungen für Unternehmenserben mit der Verfassung vereinbar seien. Von diesem Tag an stand plötzlich die Möglichkeit im Raum, dass der Fiskus bald sehr viel energischer zugreifen könnte, wenn ein Unternehmen auf die nächste Generation übergeht. Im vergangenen Jahr spülte die Erbschaftsteuer 5,5 Milliarden Euro in die Kassen der Länder, denen das Geld in vollem Umfang zusteht.

29,4 Milliarden Euro gingen an 90 Kinder unter 14 Jahren

Der Gesetzgeber ließ sich viel Zeit, eine Reform auf den Weg zu bringen. Viele Unternehmer wollten aber nicht abwarten, bis die Politik eine Neuregelung beschließt, und schufen Fakten: Sie reichten Unternehmen oder Unternehmensteile steuerschonend vorab an eine sehr junge Generation weiter. In welchem Umfang das geschah, darüber gibt die Erbschafts- und Schenkungsteuerstatistik Auskunft. Danach ging ein großer Teil der steuerfreien Unternehmensübertragungen in den vergangenen Jahren an Minderjährige, überwiegend sogar an Kinder unter 14 Jahren. Konkret: Von den 144 Milliarden Euro steuerfreier Erwerbe landeten in den Jahren 2011 bis 2014 gut 37 Milliarden Euro bei Minderjährigen, das entspricht einem Anteil von 26 Prozent. 29,4 Milliarden Euro davon erhielten 90 Kinder im Alter von unter 14 Jahren, denen jeweils Vermögen von mindestens 20 Millionen Euro übertragen wurden - im Durchschnitt also 327 Millionen Euro pro Kind.

Wenn die Beteiligten gewusst hätten, auf welchen Kompromiss sich Bund und Länder schließlich am 21. September 2016 im Vermittlungsausschuss einigen würden, wäre vielleicht manche Vermögensübertragung unterblieben. Denn es ist aus Sicht der Familienunternehmen weitaus weniger schlimm gekommen, als mancher befürchtet hatte. "Endlich erhalten die Betriebe Rechtssicherheit und können planen", meint Lutz Goebel, Präsident des Verbandes der Familienunternehmer. Und Eric Schweizer, Präsident des Verbandes der Industrie- und Handelskammer, betont: "Jetzt können Familienunternehmen wieder investieren und einstellen." Dass die Erbschaftsteuer die Investitionstätigkeit und die Beschäftigtenzahlen beeinflussen kann, hatte das Ifo-Institut bereits 2014 im Auftrag der Stiftung Familienunternehmen bei einer Befragung herausgefunden: Damals hatten zwei von drei Betrieben angegeben, ihre Investitionen zu senken, sollten die Begünstigungen von Betriebsvermögen im Erbfall wegfallen. Und 52 Prozent schätzten, dass sie unter diesen Bedingungen ihre Beschäftigtenzahlen senken müssten.

Jetzt ist klar, dass auch in Zukunft viele Unternehmen steuerfrei an die nächste Generation weitergegeben werden können. Voraussetzung: Der Betrieb wird mindestens sieben Jahre fortgeführt und die Arbeitsplätze bleiben erhalten. Bislang waren alle Firmen mit bis zu 20 Mitarbeitern von dieser Regelung ausgenommen. Künftig soll diese Grenze bei fünf Beschäftigten liegen. Beträgt das Betriebsvermögen weniger als 26 Millionen Euro, zahlt der Erbe keine Steuer. Bei der Übergabe von Betriebsvermögen zwischen 26 Millionen und 90 Millionen Euro fällt Erbschaftsteuer an. Aber es greifen Verschonungsregeln. Die Erben können eine Bedürfnisprüfung beantragen, wenn sie meinen, die Steuer nicht aus ihrem Privatvermögen bezahlen zu können und deshalb den Betrieb verkaufen müssten. Auch gibt es die Möglichkeit, die Zahlung zu stunden. Bislang war das zehn Jahre möglich und zwar zinsfrei. In Zukunft fallen ab dem zweiten Jahr Zinsen an. Eine Stundung ist nur bis zu sieben Jahren möglich.

"Was da verhandelt wurde, war das absolute Minimum."

Wie lässt sich der tatsächliche Wert eines Unternehmens berechnen? Bei diesem Punkt haben die Experten besonders heftig gestritten. Bisher war der Wert häufig unrealistisch niedrig angesetzt worden - um Steuerzahlungen zu vermeiden. Im Vermittlungsausschuss haben sich Bund und Länder darauf geeinigt, den Ertrag eines Unternehmens mit dem Faktor 13,75 zu multiplizieren, um den Vermögenswert zu bestimmen. Wie viele der etwa 2,6 Millionen familiengeführten Unternehmen in Deutschland nach den neuen Regeln im Erbschaftsfall steuerpflichtig sind - auch darüber gibt es unterschiedliche Angaben. Nach Zahlen der Stiftung Familienunternehmen sind es gut 10 000. Doch diese 10 000 haben große volkswirtschaftliche Bedeutung. Sie beschäftigen ein Fünftel der Arbeitnehmer in Deutschland und erwirtschaften jeden vierten Euro in der deutschen Wirtschaft.

Die im Vermittlungsausschuss gefundene Lösung ist ein Kompromiss. Und zum Wesen eines Kompromisses gehört, dass alle Beteiligten ein Stück von ihren Positionen abrücken. Schließlich gibt es auch genügend Politiker und Wissenschaftler, die die Einigung kritisieren. Zum Beispiel Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles. "Wir brauchen eine Erbschaftsteuer, die diesen Namen verdient. Was da verhandelt wurde, war das absolute Minimum", erklärte sie. Und Clemens Fuest, Präsident des Ifo-Instituts, hält es nach wie vor für das Beste, "alle Ausnahmen abzuschaffen und acht Prozent auf jede Form von Vermögen zu erheben, egal ob Firmen, Immobilien, Aktien, Bargeld oder andere Arten." Einig sind sich alle nur in einem Punkt: Auch die Neuregelung der Erbschaftsteuer wird bei Steuerberatern und Wirtschaftsprüfern für volle Auftragsbücher sorgen.

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Quelle:
SZ vom 06.10.2016
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