Urteil zu Equal Pay:Wie Frauen gleiche Gehälter durchsetzen können

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Wer verdient mehr? Im Zweifel: der Mann. (Foto: imago stock&people/imago/Westend61)

Das Bundesarbeitsgericht hat entschieden: Verhandlungsgeschick allein darf kein Grund sein für eine Lohnlücke zwischen Männern und Frauen. Was das für Arbeitnehmerinnen und Arbeitgeber bedeutet.

Von Felicitas Wilke

Um ihr Geschäft mache sie sich keine Sorgen, sagt Ines Speda. Auch in Zukunft würden Menschen über Gehalt verhandeln, daran ändere auch das Urteil aus Erfurt nichts. Speda ist Coach und hilft Männern und Frauen seit mehr als zehn Jahren dabei, im Beruf voranzukommen und mehr Gehalt herauszuhandeln. Es sei zwar nicht auszuschließen, dass künftig weniger Frauen ein Gehaltscoaching buchen und sich stattdessen einfach auf den Verdienst ihrer Kollegen berufen. "Aber selbst wenn - meine männlichen Klienten bleiben mir ja erhalten", sagt Speda.

Vor anderthalb Wochen entschied das Bundesarbeitsgericht, dass geschicktes Verhandeln allein kein zulässiger Grund für Gehaltsunterschiede zwischen Männern und Frauen ist ( 8 AZR 450/21). Geklagt hatte die Außendienstlerin Susanne Dumas aus Sachsen: Die Frau verdiente, obwohl sie zur gleichen Zeit im Betrieb angefangen und die gleiche Arbeit erledigt hatte, bis zu 1000 Euro brutto weniger als ihr männlicher Kollege. Begründet hatte der Arbeitgeber der beiden die Lohnlücke damit, dass der Mann eine bessere Vergütung ausgehandelt habe.

"Dieses Urteil könnte dazu führen, dass weibliche Angestellte künftig öfter als bislang ihren Anspruch auf gleiche Bezahlung für gleiche oder gleichwertige Arbeit einfordern", sagt Willem Niemeyer, Fachanwalt für Arbeitsrecht bei der Hamburger Kanzlei Neuwerk. Arbeitgebern, die nicht nach Tarif, sondern individuell verhandelbare Gehälter zahlen, verlangt es wiederum ab, ihre Vergütungsmodelle zumindest zu überdenken. Denn eine gängige Argumentation - oder, wie manche finden: faule Ausrede - für die unterschiedliche Bezahlung von Männern und Frauen dürfte es von nun an schwerer haben.

Bereits 1955 hatte das Bundesarbeitsgericht entschieden, dass die Gleichberechtigung von Männern und Frauen auch auf dem Gehaltszettel zu gelten hat. Das änderte allerdings nichts daran, dass Männer bis heute sieben Prozent mehr verdienen als Frauen - selbst wenn man berücksichtigt, dass sie oft in besser bezahlten Berufen und seltener in Teilzeit arbeiten.

Als ein Grund für diese sogenannte bereinigte Gender-Pay-Gap gilt, dass Frauen seltener und tendenziell schlechter verhandeln als Männer. Das legen mehrere Studien nahe, und das merkt auch Ines Speda bei vielen ihrer Klientinnen. "Selbst wenn es ihnen gelingt, sich ihre Leistungen bewusst zu machen, tun sie sich schwerer damit, diese aufzuzählen und daraus Forderungen abzuleiten", sagt sie. Eine Erklärung liefert Speda, selbst Anfang fünfzig, auch gleich mit: "Die meisten Frauen meiner Generation wurden schon als kleine Mädchen zu Bescheidenheit erzogen und wollen nicht anecken."

Von selbst dürften Arbeitgeber kaum aktiv werden

Was mutmaßlich vielen Frauen im Berufsleben bislang jeden Monat dreistellige bis vierstellige Beträge verwehrte, fällt nun als Rechtfertigung für Arbeitgeber weg. "Sie müssen jetzt prüfen, ob Gehaltsunterschiede in ihrem Betrieb möglicherweise nur darauf zurückzuführen sind, dass die Männer mehr Gehalt gefordert haben", sagt Sarah Lincoln. Sie ist Juristin bei der Gesellschaft für Freiheitsrechte und hat die Klägerin Susanne Dumas bei ihrem Gang durch die gerichtlichen Instanzen begleitet. Dass die Arbeitgeber wirklich aktiv werden, hält Lincoln allerdings für "nicht besonders realistisch".

Entsprechend sollten Frauen zur Tat schreiten: Vermutet eine Angestellte, dass sie weniger verdient als männliche Kollegen mit dem gleichen oder einem gleichwertigen Job, rät Lincoln ihr, sich mit anderen Frauen zu vernetzen. Womöglich geht es ihnen ähnlich. Gemeinsam, aber gegebenenfalls auch jede für sich, können sie ihr Recht auf Entgelttransparenz geltend machen - entweder bei der Führungskraft oder, falls vorhanden, beim Betriebsrat.

Schon seit 2017 haben Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in größeren Unternehmen und unter bestimmten Voraussetzungen einen Anspruch darauf zu erfahren, was die männlichen Kollegen im Mittel verdienen. Doch auch in kleineren Betrieben ist es nicht verboten, über Geld zu sprechen. "Teilweise stehen in Arbeitsverträgen zwar Klauseln, die Stillschweigen über Gehälter festlegen, diese sind aber in aller Regel unwirksam", sagt Rechtsanwalt Niemeyer. Zudem soll eine EU-Richtlinie den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern künftig auch in kleinen Unternehmen mehr Auskunftsrechte zugestehen.

Stellt sich heraus, dass die Männer mehr Geld für gleiche oder gleichwertige Arbeit erhalten , sollten die betroffenen Frauen nachfragen, woran das liegt. In der reinen Lehre der Gehaltsverhandlungen rät Coach Ines Speda ihren Klientinnen zwar davon ab, mit dem Einkommen der Kollegen für mehr Geld zu argumentieren. "Das wirkt schnell unsouverän", sagt sie. Doch das Urteil des Bundesarbeitsgerichts verändere die Ausgangssituation. "Die betroffenen Frauen sollten unbedingt nachfragen, womit die Unterschiede zu erklären sind", sagt auch Lincoln. Sie müssten sich aber darauf gefasst machen, dass die Unternehmen dagegen argumentieren: "Die Liste an möglichen Ausreden ist lang", sagt Lincoln. "Aber auch Kriterien wie Ausbildung, Leistung und Dienstalter müssen durchschaubar sein und kohärent angewandt werden." Ist das nicht der Fall, steht den Betroffenen zu, dass ihr Gehalt nicht nur angeglichen, sondern auch rückwirkend für den Zeitraum nachgezahlt wird, in dem die Diskriminierung bestand.

Geld als "Tuschelthema am Kaffeeautomaten"

Die Arbeitgeber könnten auf zweierlei Weise auf das Urteil reagieren: Eine Möglichkeit wäre, die Gehälter transparenter zu gestalten - so wie bei der DC AG aus Kulmbach. Beim E-Commerce-Dienstleister sind die Gehälter seit zwei Jahren für alle einsehbar, Gehaltsverhandlungen gehören der Vergangenheit an. Geld sei früher "ein Tuschelthema am Kaffeeautomaten" gewesen, sagt Kristina Barth, die Personalchefin. Außerdem habe man festgestellt, "dass es in den Jahresgesprächen zu viel um Gehälter ging und zu wenig darum, wo die Kolleginnen und Kollegen hinwollen und wo wir sie sehen".

Also entwickelten Barth und das restliche Vorstandsteam ein neues Vergütungsmodell, das im internen Wiki einsehbar ist: Unterschieden werden die Gehälter nur zwischen den drei Geschäftsbereichen und vier verschiedenen Erfahrungsgraden. Dazwischen gebe es beim Grundgehalt keine Spielräume und auch keine Ausnahmen, betont Barth. Auch der Bonus, den es gibt, wenn individuelle und Teamziele erreicht werden, sei transparent. Das Ziel, dass es auf den Fluren und bei Gesprächen weniger um Geld und mehr um Inhalte gehen soll, habe man erreicht. "Allerdings sind wir in einzelnen Fällen auch schon mal mit tollen Entwicklerinnen oder Entwicklern nicht zusammengekommen, weil wir ihnen nicht mehr Geld angeboten haben", sagt Barth. In Zeiten des Fachkräftemangels sei das "ohne Frage ein Nachteil" - aber einer, den sie in Kauf nimmt, damit sich niemand benachteiligt fühlt.

So manches Unternehmen mag diesen Nachteil womöglich nicht hinnehmen - und setzt künftig vermehrt auf variable Vergütungen, mit denen für bestimmte Beschäftigte ein paar Hundert Euro mehr drin sind. "Auch bei Erfolgsboni, Provisionen oder freiwilligen Leistungen dürfen Arbeitgeber niemanden wegen seines Geschlechts benachteiligen", sagt Rechtsanwalt Niemeyer. Er betont aber auch: "Wer Kriterien sucht, um Beschäftigte unterschiedlich zu bezahlen, wird sie auch künftig finden."

Um heikle Gespräche kommen Frauen auch künftig nicht herum

Auf möglicherweise unangenehme Gespräche mit der Führungskraft müssen sich weibliche Angestellte also auch nach dem Erfurter Urteil einstellen. "Wenn der Chef die Lohnlücke mit einer angeblich schlechteren Leistung begründet, tut das doppelt weh: Nicht nur verdient man weniger, sondern erfährt auch noch Geringschätzung", sagt Lincoln . Deshalb sei es wichtig, "als Frau gut vorbereitet und am besten begleitet in so ein Gespräch zu gehen" - etwa von einem Mitglied des Betriebsrats. Schon allein, um Frauen auf solche Situationen vorzubereiten, dürfte Coach Ines Speda weiterhin gut zu tun haben. Zumal auch die klassische Gehaltsverhandlung nicht aussterben wird - unabhängig vom Geschlecht. Gute Gründe, als Frau oder Mann mehr zu verdienen, kann es ja weiterhin geben - ob es nun glänzende Verkaufszahlen oder die gemeisterte Fortbildung sind. Ines Speda sagt, ihr falle bei den jüngeren Frauen, die sie coacht, etwas auf, das ihr Mut mache: "Sie sind viel selbstbewusster und tun sich leichter, Forderungen zu stellen."

Hinweis der Redaktion: In einer früheren Fassung haben wir das Bundesarbeitsgericht in Leipzig verortet. Das ist falsch, es tagt in Erfurt. Wir haben den Fehler im Text korrigiert.

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