Süddeutsche Zeitung

Strommarkt:Eon-Chef kritisiert Atomausstieg

Vorstandschef Birnbaum bezeichnet die Abschaltung des Eon-Vorzeigekernkraftwerks Isar 2 als Fehler. Fernwärmekunden, deren Rechnungen drastisch gestiegen sind, verspricht Eon individuelle Lösungen.

Von Björn Finke, Essen

Leonhard Birnbaum gerät ins Schwärmen, wenn er über dieses Kraftwerk spricht. Es sei "eine der sichersten, produktivsten und besten Anlagen der Welt", sagt der Vorstandsvorsitzende des Stromnetz-Konzerns Eon. Das Kraftwerk sei in seinen 35 Jahren Laufzeit sogar zehn Mal als das produktivste seiner Art weltweit ausgezeichnet worden: "Weltmeister-Technologie made in Germany". Aber am 15. April ist Schluss; dann wird Eons Atommeiler Isar 2 abgeschaltet, und der Atomausstieg in Deutschland ist vollzogen.

Eigentlich hätten die letzten Kernkraftwerke schon zum Jahreswechsel vom Netz gehen sollen, aber wegen der Energiekrise laufen drei Reaktoren bis Mitte April weiter. Er wolle zwar die Debatte über den Atomausstieg nicht wieder eröffnen, sagt Birnbaum am Mittwoch bei der Vorstellung der Eon-Jahreszahlen in Essen. Doch er halte das Abschalten inmitten der Energiekrise "persönlich für einen Fehler". Technisch sei es möglich, Isar 2 weiterproduzieren zu lassen, allerdings gebe es keine Hinweise darauf, dass die Bundesregierung ihre Entscheidung überdenke.

Den promovierten Ingenieur Birnbaum mag das Aus für den Reaktor in Niederbayern schmerzen - wichtig für den Dax-Konzern und seine fast 70.000 Mitarbeiter ist die Anlage nicht. Isar 2 ist eher ein Überbleibsel aus einer früheren Zeit. Denn anders als der Essener Rivale RWE verdient Eon sein Geld nicht damit, Elektrizität zu erzeugen, sondern damit, diese zu verteilen. Das Unternehmen ist einer der größten Verteilnetzbetreiber Europas, dem in neun Ländern 1,6 Millionen Kilometer Strom- und Gasleitungen gehören. Die Sparte steuerte im vergangenen Jahr 5,5 Milliarden Euro zum Betriebsgewinn bei. Der lag insgesamt bei 8,1 Milliarden Euro, ein Plus von zwei Prozent zu 2021.

Fernwärme ist drastisch teurer geworden

Daneben verkauft Eon Verbrauchern Strom und Gas, muss diese Energie jedoch zuvor selbst einkaufen. In Deutschland hat die Essener Firma 14 Millionen Kunden. Das Unternehmen ist auch einer der größten Anbieter von Fernwärme. Häuser werden dann nicht mit einem Heizkessel im Keller gewärmt, sondern mit heißem Wasser, das über Rohre aus einem Kraftwerk geliefert wird. Hier gab es zuletzt massive Beschwerden über Eon: Kunden mussten hohe Nachzahlungen leisten, weil der Konzern die Preise erhöht hatte. Der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) hält das teilweise für rechtswidrig und plant eine Musterklage, damit Kunden ihr Geld zurückbekommen. Am Mittwoch - passend zu Eons Bilanzpräsentation - rief die Organisation Betroffene dazu auf, sich mit ihren Abrechnungen bei ihr zu melden.

Vorstandschef Birnbaum sagte, er sehe dem Verfahren gelassen entgegen, denn die Formeln zur Preisermittlung seien transparent und hätten jahrelang keinerlei Debatten provoziert. Allerdings hätten diese Formeln wegen der "Verwerfungen" auf den Energiemärkten 2022 manchmal zu "schwer verdaulichen Ergebnissen" für die Verbraucher geführt, räumte der Manager ein, der Eon seit zwei Jahren führt. Ein Firmensprecher ergänzte, Eon suche nun nach individuellen Lösungen. So könnten Erhöhungen gestundet und gestreckt werden.

Eons Strom- und Gaskunden können sich teilweise auf Preissenkungen einstellen, teilweise wird der Konzern aber die Preise erhöhen müssen - und zwar dann, wenn die Verbraucher bisher von Steigerungen verschont geblieben sind. Birnbaum kritisierte "opportunistische Billiganbieter", die in Zeiten günstiger Energiepreise hohe Gewinne gemacht hätten und dann nicht mehr liefern konnten, als Strom und Gas teurer wurden. Eon hat während der Krise europaweit mehr als eine Million Kunden in die Grundversorgung aufgenommen - Billiganbieter hätten diese Verbraucher dem Unternehmen "vor die Füße geworfen", sagte Birnbaum.

Eon will mehr investieren

In den kommenden Jahren will der Konzern seine Investitionen weiter steigern. Birnbaum kündigte an, bis 2027 etwa 33 Milliarden Euro ausgeben zu wollen; bisher waren 27 Milliarden Euro bis 2026 geplant. Der Großteil - 26 Milliarden Euro - soll in den Ausbau der Stromnetze fließen. Das ist nötig, um die Elektrizität der ganzen geplanten Wind- und Solarkraftwerke abtransportieren zu können. Sieben Milliarden Euro will der Konzern ins Verbrauchergeschäft stecken. Da geht es etwa um Ladestationen für Elektroautos oder Solaranlagen für Hausbesitzer.

Birnbaum forderte aber, dass die Politik die Bedingungen für Investitionen ins Stromnetz verbessern müsse. Genehmigungsverfahren dauerten zu lange. Zudem sind die Gebühren, die Netzbetreiber kassieren, staatlich geregelt - und die Entgelte spiegelten bisher nicht wider, dass die rasant gestiegenen Zinsen die Finanzierungskosten erhöht hätten, klagte der Manager.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5769519
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ/mxm
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.