Süddeutsche Zeitung

Enttäuschung bei Markenartiklern:Ladenschluss in Second Life

Ist die virtuelle Welt Second Life abgewirtschaftet? Neue Studien belegen jedenfalls, dass Unternehmen ernüchtert sind und den Rückzug erwägen.

Martin Bell

Umsatzeinbruch bei Adidas: Kümmerliche 2.000 Paar Turnschuhe verkaufte der Markenartikler seit Februar auf der Internet-Plattform Second Life. 90 Prozent weniger als in den Vormonaten. Nicht mal zwei Besucher pro Stunde verirren sich noch in den Ende September 2006 eröffneten Store, ergab eine Studie der Münchner Agentur Aquarius Consulting. Zeit für eine Geschäftsaufgabe?

"Unser Engagement in Second Life basiert nicht auf Umsatz allein", wehrt der Konzern aus Herzogenaurach ab. Der virtuelle Shop biete "in erster Linie eine perfekte Möglichkeit, mit unserer jungen Zielgruppe in Kontakt zu treten". Wenn sie denn vorbeikäme.

Adidas ist kein Einzelfall, im Gegenteil. Mercedes, mit sechs Inseln vertreten, darf sich je Eiland über einen einzigen Gast die Stunde freuen, ähnlich wie BMW. Die Arena des Energieversorgers EnBW verzeichnet im Schnitt sogar nur 0,3 Abstecher von Avatars pro Stunde, so Aquarius.

Nicht mal ein Experimentierfeld

Marketingerfolge sehen anders aus angesichts der weltweit rund sieben Millionen registrierten Nutzer, mit denen sich Betreiber Linden Lab schmückt. "Die Frequentierung der Markeninseln liegt in der Regel unterhalb der Schwelle von Fokusgruppen und ist daher selbst für Marktforschung ungeeignet", stellt Aquarius-Geschäftsführer Rainer Wiedmann fest. "Second Life taugt oft nicht mal als Experimentierfeld."

Kein Wunder, dass Unternehmen Auftritte in Linden Labs gehyptem Subraum jetzt überdenken. Daimler hält zwar - entgegen Flurfunkmeldungen - an der Sprachregelung fest, ein Rückzug sei nicht geplant, betont aber auffällig, es gehe vor allem um erste Erfahrungen mit 3-D-Welten.

Abstand vom "Apfelland"

Die Standorte von Adidas und EnBW liegen weitgehend brach, bloß noch betrieben mit automatisierten Feedback-Schleifen. Lufthansa spielte mit dem Gedanken einer SL-Dependance, nimmt Insidern zufolge jedoch zunehmend Abstand von der Idee.

Und die Deutsche Bahn, die in diesen Wochen, wie man hört, auftrumpfen wollte mit einer Niederlassung im (relativ) gut besuchten "Apfelland", einer überwiegend deutschen Spezial-Community in Second Life, verschiebt ihr Vorhaben zunächst auf Frühherbst; offiziell indes weiß man von gar nichts.

Lesen Sie weiter: Warum Linden Lab offensichtlich mit Karteileichen wirbt und welche Unternehmen positiv auffallen - durch Abwesenheit...

"Die Bedeutung von Second Life als Marketingplattform wird überschätzt", lautet das Fazit der Hamburger Internet-Beratung Fittkau & Maaß, die mehr als 100.000 deutschsprachige Onliner befragte. "Die aktive Nutzerschaft ist klein und kaum an Produktwerbung in der virtuellen Welt interessiert."

"Wir raten ab"

Nur knapp acht Prozent haben sich überhaupt in Second Life eingeloggt, davon schnuppern fast zwei Drittel einmal rein - und dann nie wieder. Linden Lab wirbt vor allem mit Karteileichen.

Weniger als ein Prozent der WWW-Gemeinde bewegt sich regelmäßig in der 3-D-Sphäre, der Rest Neugieriger schaut, wenn überhaupt, gelegentlich vorbei, meist seltener als einmal pro Quartal. "Das Thema Produktinformation spielt kaum eine Rolle", resümiert die Studie. "Lediglich zwölf Prozent der aktiven SL-Nutzer sind nach eigenen Aussagen schon auf neue Produkte aufmerksam geworden."

Das steht im Einklang mit einer Erhebung der Hamburger Agentur Komjuniti. Eine Befragung von 200 Second Lifers förderte bereits im März zutage: 72 Prozent zeigen sich enttäuscht über die Aktivitäten der Unternehmen, lediglich sieben Prozent räumen einen positiven Einfluss aufs Marken-Image und ihr künftiges Kaufverhalten ein. "Wir raten Kunden derzeit von Second Life ab", so Stefan Mannes, Managing Director der Berliner Agentur Kakoii.

Die Kinderporno-Schlagzeilen der vergangenen Wochen machen die Domain nicht attraktiver. Nachdem das ARD-Magazin Report Anfang Mai den Skandal aufdeckte, gingen beim bayerischen Landeskriminalamt weitere Hinweise ein auf virtuelle Kinderpornografie in der Inselwelt.

Puma glänzt durch Abwesenheit

Linden Lab bleibt bis heute eine Antwort schuldig, wie man das Problem in den Griff bekommen will - zumal virtueller Missbrauch in den USA nicht strafbar ist. Getreu der Logik: Wer in Ego-Shootern metzelt, ist kein Mörder; wer in 3-D-Fantasien Kinder vergewaltigt, begeht kein Sexualdelikt.

Marken wie Puma und Henkel dürften froh sein, durch Abwesenheit zu glänzen. "Die aktuelle Kinderporno-Debatte bestärkt Henkel in seiner Entscheidung, sich nicht in Second Life zu engagieren", heißt es aus Düsseldorf.

Als Werbeforum zeigt die Plattform Auflösungstendenzen. Das bekommt derzeit Reiner Calmund zu spüren. Für "Calli Island", Deutschlands erste Promi-Event-Insel, hat sich noch kein Sponsor gefunden - vielleicht weil ungewiss ist, wohin Second Life driftet.

Ob der Vorreiter aus San Francisco künftig ein Schattendasein fristet, ist offen. "Aber das Know-how aus Second Life", so Lutz Deckwerth vom virtuellen TV-Sender Life 4-U, "können wir auch in anderen 3-D-Welten nutzen."

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