Entsorgung:Wohin nur mit all dem Müll?

Operations At Recycling Facilities As China's Ban On Waste Products Causes Trash Pile-ups; WIR

Wertvoll? Oft müssen Plastikabfälle gesichtet und per Hand sortiert werden - wie etwa hier in einer Anlage in Südkorea.

(Foto: Jean Chung/Bloomberg; Bearbeitung SZ)

Seit China unseren Abfall nicht mehr will, landet viel davon in Vietnam oder Malaysia. Deutschland fehlt eine echte Strategie - dabei verstecken sich in den Müllbergen ungeahnte Schätze.

Von Michael Bauchmüller und Thomas Fromm

Der Schrott der Wohlstandsgesellschaft türmt sich in gelben Stahlkörben, meterhoch. Ganze Waschmaschinen liegen darin, Trockner, Drucker, Computer-Bildschirme. Wertvolle Dinge, immer noch - vor allem aber wegen ihrer inneren Werte: Rohstoffe.

Die Halle steht aber nicht vor den Toren Münchens oder Hamburgs, sondern am Rande Hongkongs. Die Berliner Recycling-Firma Alba hat sie gebaut. Nebenan schrauben Arbeiter und Roboter die Geräte auf, zerlegen sie in ihre Bestandteile. "So eine Anlage ist einzigartig in der Region und in ganz Südostasien", sagt Alba-Chef Axel Schweitzer. "Für Hongkong ist es ein Meilenstein hin zu mehr Recycling."

Zumal sich dahinter ein Konstrukt verbirgt, das in der Region noch recht neu ist: die Produktverantwortung. Hersteller, Händler, Importeure bestimmter Elektrogeräte müssen gewährleisten, dass die von ihnen hergestellten oder verkauften Geräte nach Gebrauch wieder recycelt werden; das entsprechende Gesetz ist in Arbeit. Es soll helfen, kostbare Wertstoffe zu retten, ehe sie auf irgendwelchen Deponien vergammeln. Und nicht nur Hongkong, auch das übrige China ist längst auf diesen Trichter gekommen: Müll als Geschäftsmodell - China wäre wohl nicht China, wenn es nicht auch hier einen klaren Plan gäbe.

Und der sieht so aus: Zu Beginn des Jahres hat das Milliardenreich den Import unbrauchbaren Mülls verboten. Nur noch bestens sortierte Abfälle kommen seither ins Land, den eigenen Müll sollen Sortieranlagen auf die inneren Werte absuchen. "Wie so oft hat das auch mit wachsendem Wohlstand zu tun", sagt Alba-Chef Schweitzer. "Oft steht der Umweltschutz ja nicht am Anfang der wirtschaftlichen Entwicklung, sondern kommt erst mit einem gewissen Wohlstand."

Seitdem Plastikabfälle und andere Abfallsorten aus Deutschland nicht mehr nach China geschifft werden dürfen, wandert viel von diesem unbrauchbaren Müll nach Vietnam oder Malaysia. Oder bleibt im Land. "Wir in Europa haben jahrelang die wertvollsten Materialströme gerne abgeschöpft und den Plastikmüll möglichst weit weggedrückt", sagt Patrick Wiedemann, Geschäftsführer des Münchner Logistik- und Recycling-Unternehmens Reverse Logistics Group (RLG). "Das wollen die Chinesen jetzt ändern, und das kann man gut verstehen."

Die Chinesen haben eine Rohstoffstrategie - und Deutschland?

Bei Umwelttechnologien sind deutsche Unternehmen nicht schlecht aufgestellt, und sie wittern einen Riesenmarkt - aber zugleich werden sie Zeuge, wie selbst der gefühlte Vorreiter Deutschland ins Hintertreffen gerät. "In Wahrheit schaut China einfach nur auf die Qualität", sagt Herwart Wilms, Geschäftsführer beim deutschen Marktführer Remondis. "Die wollen keinen Restmüll mehr." Und fügt hinzu: "China hat eben etwas, was Deutschland fehlt: eine echte Rohstoffstrategie."

Erst dieser Tage wieder ging es bei der Münchner Abfall- und Recyling-Messe Ifat genau darum: Die Chinesen haben ihren Plan. Aber haben wir auch einen? Gerade jetzt, wo China seine Grenzen für den Müll der anderen dichtmacht?

Experten sehen sogar ganz neue Chancen: "Ich finde es nicht so dramatisch, dass China seine Grenzen für unseren Müll schließt", sagt Ralph Büchele von der Unternehmensberatung Roland Berger. "Denn so steigt der Druck hier, die Dinge besser zu organisieren." China als Chance? Damit das funktionieren kann, muss sich noch einiges ändern. Zum Beispiel muss Müll besser sortiert, müssen seine Einzelteile besser trennbar sein. Nicht aus allem, was im Recycling landet, wird auch ein Rezyklat - also ein nutzbarer Reststoff.

Das Geschäft mit dem Müll kann sehr lukrativ sein

Dabei kann das urban mining, die Suche nach Rohstoffen gleich vor der eigenen Haustür, sehr lukrativ sein. Unternehmen wie Alba profitieren davon. Für die Berliner ist der Job in Hongkong der größte Auftrag in ihrer Firmengeschichte. Bis zu 56 000 Tonnen Elektroschrott ließen sich in der Anlage zerlegen, drei Viertel des Hongkonger Elektroschrotts. Heikle Arbeiten, etwa mit giftigen Stoffen, übernehmen Roboter, am Ende bleiben Berge an Kupfer, Aluminium, Stahl, Kunststoffen.

Und Hongkong soll erst der Anfang sein, Lösungen müssen überall her, sonst droht die Welt in Elektroschrott und Plastikmüll zu ersticken. Beispiel Elektroschrott: Bis 2021 sollen weltweit über 50 Millionen Tonnen davon anfallen, allein in Deutschland sind es heute schon 1,7 Millionen Tonnen - von denen allerdings nur 40 Prozent ordnungsgemäß entsorgt werden. Der Rest landet im Hausmüll oder wird bis auf Weiteres im Keller versenkt. So lange, bis er irgendwann wieder hervorgeholt wird - und das kann Jahrzehnte dauern.

Anders gesagt: Da schlummern Schätze aus Gold, Silber, Kupfer und Platin - man muss sie nur heben. Immer wieder die neueste Handygeneration, neue Tablets, der neueste, smarteste Fernseher: 20 Kilogramm Elektroschrott erzeugt, rein rechnerisch, jeder Deutsche pro Jahr. Der Schrott muss irgendwo bleiben. Nur wo?

Auf Schatzsuche in Münchner Umland: In dem gemeinnützigen Recyclinghof Weißer Rabe im Vorort Aschheim wird Elektro- und Elektronikschrott gesammelt. Von chinesischen Dimensionen ist man hier weit entfernt, aber: Es geht was, auch hier. Aus Kabeln und Kabelresten werden plötzlich wieder Rohstoffe, Mitarbeiter schrauben Laptops auseinander, legen Bildschirme und Akkus, die man wiederverwerten kann, zur Seite. Platinen und Festplatten zerlegen sie in Einzelteile, zwei Frauen sezieren alte Handys - einige davon nicht älter als ein oder zwei Jahre. Aber was ist bei Smartphones schon alt? Zwischen den Mitarbeiterinnen steht eine Schüssel voller kleiner SIM-Karten. Irgendwie ist es wohl immer noch so, dass die Menschen das Wichtigste vergessen, bevor sie ihr Smartphone abgeben.

Aber selbst wenn Konsumenten alles richtig machen, bedeutet das nicht, das alles richtig läuft. Schuld daran ist oft die Industrie selbst. Mit immer wieder neuen Kunststoffverbindungen und immer kleineren Elektrogeräten, die sich nur schwer in ihre Bestandteile zerlegen lassen, stellt sie die Recycling-Industrie vor zum Teil kaum lösbare Probleme.

Was sich aber nicht recyceln lässt, wird kurzerhand verbrannt

Beispiel Plastik: Nur ein Teil der Kunststoffverpackungen lässt sich trennen und wiederverwerten wie etwa PET-Flaschen. Viele, zum Teil sehr unterschiedliche Sorten aber sind miteinander verschweißt und lassen sich kaum trennen - jedenfalls nicht mit vertretbarem Aufwand. Hinzu kommen Konsumtrends vom Coffee-to-go-Becher bis zur Kaffeekapsel. Beim einen ist der Pappbecher mit Kunststoff beschichtet, beim anderen ist eine Kunststoffdose mit Alu verschlossen. Was sich aber nicht recyceln lässt, kennt in Deutschland nur einen Weg: die "thermische Verwertung", vulgo Müllverbrennung. Verloren gehen auch hier wertvolle Rohstoffe, denn mit dem Kunststoff verbrennt letztlich Öl. Und was nicht verbrannt wird, landet andernorts auf Deponien - oder irgendwann in den Weltmeeren.

Vor allem Kleingeräte wie Smartphones enthalten viele Rohstoffe und seltene Erden wie Kobalt oder Lithium. Kleine Mengen, die zudem nur schwer voneinander zu trennen und zu recyceln sind - in der Summe aber wären sie wahre Schätze. "Es bräuchte mehr Transparenz darüber, wie der Schrott zusammengesetzt ist", fordert daher Berater Büchele. Es gebe "so gut wie keine Erhebung darüber, wie sich der kleine Elektroschrott überhaupt zusammensetzt". Was der Recyclingbranche noch fehle, sei der "gesamtheitliche Ansatz".

Kommunikation könnte helfen, die immer größeren Müllberge in den Griff zu bekommen. Würden die Hersteller und die Recycler mehr miteinander reden und wüsste jeder, was der eine produziert und der andere am Ende wiederverwerten kann, ließe sich viel Müll vermeiden. Oder eben besser entsorgen.

Es geht auch noch ganz anders: RLG-Chef Wiedemann verdient sein Geld unter anderem mit der Abwicklung von Retouren von Waren, die zum Beispiel im Internet gekauft wurden. Abholung beim Kunden, Entsorgung, Recycling einzelner Teile, bis hin zur Wiederaufbereitung. "Das Ziel muss auch sein, so viele Altprodukte wie möglich in den Kreislauf der Zweitverwertung zu holen", sagt Wiedemann. "Leider aber wird wiederverkaufbare Ware, die ich eigentlich zweitverwerten könnte, durch den Schredder gejagt, weil man Angst vor Marktkannibalisierung hat." Marktkannibalisierung, das bedeutet hier: Die Industrie verkauft lieber ihre neuen Produkte, als Anreize für die Zweitverwertung von noch intakten Altgeräten zu schaffen. Schließlich will man sich nicht selbst das Geschäft vermasseln. So aber würden "wichtige Ressourcen verschwendet", kritisiert Wiedemann.

Auch in Hongkong füllen sich die gelben Stahlkörbe nur durch ein aufwendiges, flächendeckendes Sammelsystem. Carrie Lam, Regierungschefin der Sonderverwaltungszone, verfolgt ein einfaches Ziel. Es gehe darum, sagt sie, "Hongkong zu einer lebenswerteren Stadt zu machen".

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: