Energiekrise:Wer von den Entlastungspaketen profitiert

Lesezeit: 4 min

Arbeit, das kann inzwischen überall sein - wenn der Vermieter nichts dagegen hat. (Foto: Wolfgang Maria Weber/Imago)

95 Milliarden Euro kosten die Entlastungspakete der Regierung. Sie unterstützen Beschäftigte, Studierende und Rentner. Aber ist das auch genug, gerade für Menschen mit geringem Einkommen?

Von Michael Bauchmüller und Roland Preuß

Es darf jetzt nicht eskalieren. So lautet offenbar der Arbeitsauftrag der Bundesregierung, das wurde diese Woche deutlich. "Aufgrund von finanziellen Sorgen wird in diesem Land in diesem Winter niemand frieren und niemand hungern", versprach Finanzminister Christian Lindner (FDP) am Donnerstag im Bundestag. "Wir werden diese Gesellschaft zusammenhalten", sicherte wenig später Sozialminister Hubertus Heil (SPD) zu - und verwies auf den größten Sozialhaushalt aller Zeiten. Es sind Abwandlungen des Kanzlersatzes "You'll never walk alone."

Die Spitzen von SPD, Grünen und FDP, sie alle treten den Darstellungen jener entgegen, die in der Energiekrise Massenproteste organisieren wollen. Linken-Chef Martin Schirdewan hat bereits eine weitere Demonstration für kommenden Montag in Leipzig angekündigt. Und auch die AfD und rechte Gruppen machen mobil. "Die Menschen werden den ganzen Winter auf die Straße gehen", sagt AfD-Co-Chefin Alice Weidel. Kommt es zum "heißen Herbst" und einem Winter der Unzufriedenheit? Kann Wladimir Putin mit seinem Lieferstopp für Gas letztlich Proteste in Deutschland hervorrufen und die Regierung so zwingen, die Hilfen für die Ukraine einzuschränken?

Alle Nachrichten im Überblick
:SZ am Morgen & Abend Newsletter

Alle Meldungen zur aktuellen Situation in der Ukraine und weltweit - im SZ am Morgen und SZ am Abend. Unser Nachrichten-Newsletter bringt Sie zweimal täglich auf den neuesten Stand. Hier kostenlos anmelden.

Entscheidend dafür ist, ob die Entlastungen der Bundesregierung wirken, ob sie bei denen ankommen, die in Not geraten. Ob sie ihnen das Gefühl geben, dass der Staat sie auffängt. Oder ob der Schreck über die nächste Heizkostenabrechnung Bürger auf die Straße treibt, welche die Krise bisher nur friedlich vor dem Fernseher verfolgt haben. Viele werden den Preisschock erst im Herbst oder Winter richtig zu spüren bekommen. "Die große Welle wird noch kommen", sagt Udo Sieverding, Energieexperte der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen. Erst in den nächsten Monaten trudelten bei Millionen Haushalten die höheren Rechnungen ein, vor allem für Gas.

Man kann nicht sagen, dass die Koalition kein Geld in die Hand nimmt. Vergangenen Sonntag beschloss sie das dritte Entlastungspaket, es umfasst 65 Milliarden Euro, zusammen mit den beiden ersten summieren sich die Hilfen auf etwa 95 Milliarden.

Noch lässt sich nicht genau beziffern, wie die drei Pakete bei einzelnen Haushalten wirken, dafür ist noch zu viel unklar. Fest steht aber: Die Hilfen sind sehr breit gestreut und gerade bei den großen Posten profitieren Gutverdiener stärker als Geringverdiener. So ist es bei der Korrektur der kalten Progression (Kosten: 10,1 Milliarden Euro), weil Menschen mit hohem Einkommen hier absolut mehr Steuern sparen.

So ist es bei der Senkung der Umsatzsteuer für Gas von 19 auf sieben Prozent (8,5 Milliarden Euro), weil Menschen mit hohem Einkommen meist in größeren Wohnungen leben und deshalb auch mehr Heizen. Und so ist es sogar beim Kindergeld (2,1 Milliarden Euro), weil aus verfassungsrechtlichen Gründen zugleich der Kinderfreibetrag angehoben wird. Davon profitieren Menschen mit höherem Einkommen, sie sparen dadurch mehr Steuern als die übrigen mehr an Kindergeld erhalten.

Die Unterstützung, die gezielt Geringverdienern oder Hilfebeziehern zugute kommt, hat kleinere Dimensionen. 4,7 Milliarden Euro immerhin sind eingeplant für ein höheres Wohngeld, von dem deutlich mehr Rentnerinnen und Rentner sowie Geringverdiener profitieren sollen sowie für einen zweiten Heizkostenzuschuss. Das etwa 50 Euro höhere Bürgergeld im Vergleich zu Hartz IV summiert sich auf drei Milliarden.

Midijobber, die künftig zwischen 520 und 2000 Euro im Monat verdienen können, müssen künftig 1,3 Milliarden Euro weniger an Sozialbeiträgen zahlen.

An Studierende, Auszubildende und Fachschüler werden jeweils 200 Euro Energiepreispauschale ausgeschüttet (700 Millionen Euro).

Nochmal anders ist die Lage bei Ruheständlern. Jene mit niedrigen Renten können auf das höhere Wohngeld hoffen. Außerdem bekommen auch Rentnerinnen und Rentner nun 300 Euro Energiepreispauschale, die sie allerdings versteuern müssen. Kleinrentner müssen in der Regel nichts abgeben, Senioren mit insgesamt hohem Einkommen dagegen, zum Beispiel durch Mieteinnahmen, dürfen unter dem Strich weniger behalten. So gibt es zumindest eine gewisse soziale Komponente.

Aber reicht das? Recht gut funktioniert das verstärkte soziale Netz bei Hartz IV-Empfängern. "Eine Erhöhung des Regelsatzes um 50 Euro dürfte die Preissteigerungen bei den Hartz IV-Beziehern etwas mehr als ausgleichen. Zumal die Heizkosten ja vom Jobcenter übernommen werden", sagt Sebastian Dullien, Wissenschaftlicher Direktor des gewerkschaftsnahen Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK). "Die Bezieher von Grundsicherung werden gut aufgefangen", sagt auch Stefan Bach, Steuer- und Sozialexperte beim Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW).

Wer wenig aber zu viel für Hartz IV verdient, könnte in die Armut abrutschen

Bei denen, die wenig verdienen, aber zu viel für Hartz IV, sieht es anders aus. Auch so mancher aus der Mittelschicht könnte trotz des jüngsten Pakets in finanzielle Bedrängnis kommen. "Nehmen Sie eine alleinerziehende Mutter, einen Zwei-Personen-Haushalt", sagt Verbraucherschützer Sieverding. Die habe bisher vielleicht 1000 Euro Energiekosten gehabt, könne aber plötzlich vor Rechnungen über 3000 Euro stehen. "Selbst, wenn man ihr über das Wohngeld hilft, steht sie immer noch vor Mehrkosten von 1400 Euro." Solchen Haushalten drohe akut Armut, warnt er.

"Wir merken jetzt schon, dass die Zahl der Anfragen exorbitant steigt", sagt auch Thomas Engelke, Teamleiter für Energie und Bauen bei der Verbraucherzentrale Bundesverband. "Da melden sich immer mehr Menschen, die das einfach nicht mehr zahlen können." Nötig sei ein rasches Moratorium, um Strom- und Gassperren zu verhindern.

Ökonomen, die einmal die voraussichtlichen Entlastungen nachgerechnet haben, bestätigen die Sorgen. Vor allem diejenigen, die mit Gas heizen und manche Bezieher von Fernwärme könnten trotz der Hilfen ein großes Problem bekommen, sagt IMK-Chef Dullien. "Schon bei einer mittelmäßig gedämmten Altbauwohnung ist man schnell bei einer Belastung von zehn bis zwanzig Prozent des Nettoeinkommens."

Bei den Entlastungspaketen bleibe eine Lücke bei Menschen mit geringem und mittlerem Einkommen, sagt auch Stefan Bach vom DIW. "Sie werden die massiven Steigerungen bei den Energiekosten zu erheblichen Anteilen selbst stemmen müssen, obwohl sie zumeist weit weniger Reserven haben als die Besser- und Hochverdiener."

Bei Gas sind die Preissteigerungen besonders hoch

Vor allem die Gaskunden sind noch immer nicht raus aus der Gefahrenzone. Beim Gas sind die Preissteigerungen besonders hoch, höher noch als bei Heizöl oder Holzpellets. Russisches Öl kann leichter ersetzt werden als russisches Erdgas - sei es durch Treibstoff aus Großbritannien oder Nahost. Und die geringere Mehrwertsteuer wird nicht reichen, die Vervielfachung des Preises auch nur annähernd auszugleichen. Was das in Zahlen heißt, wird sich für viele Kunden spätestens Anfang Januar zeigen, wenn zahlreiche Gasversorger ihre Tarife anpassen.

Nichts genaues weiß man nicht, aber die Bürger werden vorsichtiger. Sein Institut habe in Befragungen festgestellt, dass inzwischen auch Leute mit einem guten Mittelstandseinkommen über 4500 Euro ihren Konsum einschränkten, sagt Dullien. "Sie gehen seltener essen, weniger ins Kino oder Theater." Betriebe könnten in Schwierigkeiten geraten, Leute entlassen oder in Kurzarbeit schicken. "Wir bekommen im Winter ein großes Konjunkturproblem."

Was tun? Das, was jetzt an Entlastungen geplant sei, reiche noch nicht, um die Lage zu beruhigen, sagt Dullien. "Ohne einen Deckel vor allem bei den Gaspreisen werden einige Bürger hart getroffen." Da ist er sich mit Verbraucherschützern wie Udo Sieverding einig: "Um ein viertes Entlastungspaket kommen wir nicht herum."

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusGeldanlage
:Nach dem XXL-Zinsschritt: Was Sparer jetzt wissen müssen

Es ist eine historische Wende: Um 0,75 Prozentpunkte hat die Europäische Zentralbank ihren Leitzins angehoben. Für Anleger brechen völlig neue Zeiten an.

Von Jan Diesteldorf, Stephan Radomsky, Meike Schreiber und Markus Zydra

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: