Pipers Welt:Das Problem mit den einfachen Lösungen

Pipers Welt: Illustration: Bernd Schifferdecker

Illustration: Bernd Schifferdecker

Befristete Jobs, Wohnungsmarkt, Rente: In schwierigen Zeiten haben scheinbar naheliegende Lösungen Konjunktur. Gut, wenn Ökonomen mal nachrechnen.

Von Nikolaus Piper

Zum Selbstverständnis von Ökonomen gehört es, unbequem zu sein. Sie sollten nachrechnen, wenn Politiker, Führungskräfte, Aktivisten und andere mit den ganz einfachen Lösungen kommen. Und sie sollten im Zweifel immer fragen: Wie kann das funktionieren, was ihr da vorschlagt? Gelegenheiten, dieses Selbstverständnis zu testen, bieten sich immer wieder, gerade in schwierigen Zeiten wie diesen und ganz besonders in der Hauptstadt. Berliner Politiker verfügen über ein großes Talent, einfache Lösungen für große Probleme zu entwickeln, die aber nicht funktionieren, weil niemand sich überlegt hat, wer sie bezahlen soll und wie. Ein schönes Beispiel dafür ist das neue Berliner Hochschulgesetz. Es sieht vor, dass es an Universitäten keine befristeten Arbeitsverträge für Wissenschaftler mehr geben soll. Konkret geht es um "Postdocs", Leute also, die bereits einen Doktortitel und die Fähigkeit zu lehren erworben haben. Mit diesen sei "eine Anschlusszusage zu vereinbaren", heißt es in Paragraph 110, Ziffer 6.

Nun steht außer Frage, dass hinter diesem Paragraphen ein reales Problem besteht. Für den akademischen Mittelbau, also jene Wissenschaftler, die zwar lehren, aber keine Professur in Aussicht haben, sind die Perspektiven an deutschen Universitäten und Hochschulen ziemlich schlecht. Viele müssen sich von einer befristeten Stelle zur nächsten hangeln, manchmal bis zum 40. Lebensjahr, ohne eine klare Perspektive. Viele Jungakademiker, besonders in den Naturwissenschaften, lassen sich das nicht bieten und wechseln in die freie Wirtschaft.

Es gäbe also gute Gründe, hier etwas zu ändern. Dazu müsste man allerdings Ideen für Strukturreformen haben und vor allem: Geld. Wenn aber beides fehlt und die Regierung den Unis einfach eine neue Personalpolitik diktiert, dann passiert das, was Berlin in den vergangenen Wochen erlebt hat. Die Betroffenen wehrten sich gegen die Zwangsbeglückung durch den Senat. Die Präsidentin der Humboldt-Universität, Sabine Kunst, trat aus Protest zurück. Die "Junge Akademie", eine Plattform von Nachwuchswissenschaftlern, wehrte sich dagegen, dass strukturelle Entscheidungen über Karrierewege "über die Köpfe von Wissenschaftler*innen auf befristeten Stellen hinweg getroffen werden". Das neue Gesetz kam für die Unis zudem überfallartig, es trat passenderweise am Tag vor der Bundestagswahl in Kraft. Manche Institute suchen jetzt nach Tricks, um zu verhindern, dass junge Akademiker, die sie gerade befristet eingestellt hatten, wieder entlassen werden müssen.

Wohnungsunternehmen enteignen? Das erscheint nur auf den ersten Blick hilfreich

Ein anderes Beispiel ist die Wohnungspolitik. Der Mangel an bezahlbarem Wohnraum ist vermutlich das größte soziale Probleme der Gegenwart. Die einfache Lösung: Wohnungsunternehmen enteignen. Das jedenfalls forderten 56 Prozent der Berlinerinnen und Berliner bei dem Volksentscheid am 26. September. Die Faszination dieser so einfach aussehenden Lösung ist so groß, dass keiner der Aktivisten die nächstliegenden Fragen stellte: Würden Brot und Butter wirklich billiger, wenn man die Bauern enteignete? Woher sollen also die neuen, bezahlbaren Wohnungen kommen? Und woher das Geld für die Entschädigung der Aktionäre? Man könnte auch nachrechnen: Im ersten Halbjahr wurden in Berlin 31,5 Prozent weniger neue Wohnungen in Mehrfamilienhäusern genehmigt. Im dritten Quartal verlangsamte sich der Rückgang zwar auf 20,3 Prozent, es blieb aber einer der stärksten Einbrüche in jüngster Zeit. Und das sollte nichts mit dem Kampf der Berliner Politik gegen die Vermieter zu tun haben? Stark gestiegen ist übrigens die Genehmigung von Ein- und Zweifamilienhäusern in wohlhabenden Stadtteilen wie Spandau und Reinickendorf.

Und dann wäre noch von der Rente zu reden. Alle kennen das Problem: Die Gesellschaft altert, die aktive Generation wird im Verhältnis kleiner, muss aber eine wachsende Zahl von Rentnern unterhalten. Besonders groß wird deren Belastung in den Jahren 2030 bis 2045, wenn die Generation der Babyboomer in den Ruhestand geht und von der sehr viel kleineren Generation der Millennials finanziert werden muss. Eine Rentenreform ist dann unabweisbar. Das ist gerade einmal acht Jahre entfernt, zwei Legislaturperioden also. Diese Reform ist unbequem, weil sie für Rentner und Beitragszahler Zumutungen bringen wird, weshalb sich bisher alle davor gedrückt haben.

Auch die neue Ampel-Koalition bleibt in dieser Tradition. Immerhin hat sie die ursprünglich geplanten außerordentlichen Rentensteigerungen (gut fünf Prozent 2022) gebremst. Aber das eigentliche Problem bleibt ungelöst. "Eine faire Aufteilung der Lasten der Alterung auf die verschiedenen Generationen überlässt die Ampel damit der übernächsten Bundesregierung", sagt zum Beispiel Joachim Ragnitz vom Ifo-Institut in Dresden. Wissenschaftler des Ifo-Instituts haben nachgerechnet: Wenn der Beitragssatz 20 Prozent nicht übersteigen darf und das Rentenniveau nicht unter 48 sinken darf (was man die "doppelte Haltelinie" nennt), müssen 2050 voraussichtlich 60 Prozent des Bundeshaushalts als Zuschuss in die Rentenversicherung fließen (heute sind es 30 Prozent). Wer diese Rechnung akzeptiert, kann sich eigentlich nicht mehr mit den ganz einfachen Formeln ("Die Rente ist sicher") zufrieden geben.

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