Wie für so vieles gibt es neuerdings auch anstelle von „Arbeitsschutzbekleidung“ einen Begriff, der trendiger und internationaler daherkommt: „Workwear“. Und deshalb ist die Firma Engelbert Strauss auch „offizieller Workwear-Partner“ der Fußball-EM und deren Ausrichters, des europäischen Fußballverbands Uefa. Obwohl sicher keine der Mannschaften ein Spiel in der eigens zur EM auf den Markt gebrachten Strauss-Kollektion mit kurzen Ärmeln und Hosen bestreiten wird. Aber was heißt das schon? Hoch bezahlte Fußballprofis dürften auch seltener beim Discounter einkaufen als Durchschnittsbürger. Und trotzdem ist auch Lidl einer der Top-Sponsoren des Turniers. Warum?
14 Unternehmen haben sich dem Vernehmen nach mit jeweils zweistelligen Millionenbeträgen, offiziell werden keine Summen genannt, bei der Uefa das Recht erkauft, die EM weltweit als Werbeplattform zu nutzen. Anders als die lediglich nationalen Sponsoren Bitburger, Deutsche Bahn, Deutsche Telekom, Ergo und Wiesenhof, deren Aktivitäten auf Deutschland begrenzt sind. Unter den globalen Geldgebern sind fünf chinesische Riesen wie der TV-Gerätehersteller Hisense, der Kommunikationstechnikanbieter Vivo, die Online-Bezahlplattform Aliexpress und die mobile Bezahlplattform Alipay sowie E-Autobauer BYD. Alle wollen sie die EM als Vehikel nutzen, um sich den europäischen Markt zu erschließen. Aus Deutschland ist Adidas dabei, wie seit Jahrzehnten. Dass ein weltweit agierender Sportartikelkonzern eine Meisterschaft in der populären Sportart für sich nutzen will, liegt nahe. Was aber versprechen sich ein Discounter und ein vergleichsweise überschaubares Familienunternehmen davon, das Berufsbekleidung für Handwerker, Wald- oder Bauarbeiter herstellt?
Nachgefragt in Biebergemünd, einer 8400 Einwohner kleinen Gemeinde in Hessen. Dort residiert Engelbert Strauss, vom Namensgeber 1948 als Bürstenhandel und Arbeitshandschuhhersteller gegründet. Mittlerweile hat das Unternehmen 1700 Beschäftigte, zuletzt hat es 1,4 Milliarden Euro Umsatz erwirtschaftet. Eine Firma, deren Miteigentümer Henning Strauss gerade in einem Podcast verriet, dass er sich nie für Fußball interessiert habe und auch nie Fan einer Mannschaft gewesen sei. Dennoch taucht das Vogelstrauß-Logo seit 2008 regelmäßig auf Stadionbanden und im Fußball auf. Damals sei Engelbert Strauss „noch nicht jedem ein Begriff“ gewesen, sagt ein Firmensprecher. Heute schon. Das hat auch mit dem Sponsoring der Metal-Band Metallica und des US-Super-Bowl-Siegers Kansas Chiefs zu tun hat.
Seit 2010 ist Engelbert Strauss Werbepartner des Deutschen Fußballbunds. Auch beim FC Bayern, bei Eintracht Frankfurt, im Profifußball in Österreich und der Schweiz sowie bei der Europa League und Conference League sind die Hessen als Sponsoren präsent. „Der Fußball bietet uns die Möglichkeit, mit Fans und Kunden zu interagieren, Emotionen zu teilen und Werte zu transportieren“, sagt der Sprecher. Und speziell die EM mit ihren Milliarden Zuschauern weltweit biete „durch ihre Strahlkraft und Emotionen die Möglichkeit, die Marke sowohl national als auch international zu präsentieren“.
Es geht bei alledem vor allem um Sichtbarkeit
Hinter dem Marketing-Sprech verbergen sich handfeste wirtschaftliche Ziele: Die Internationalisierung der Marke „sowie die Emotionalisierung und Visualisierung von Produkt und Marke“, wie der Sprecher formuliert. Bislang war Engelbert Strauss außer in Deutschland in zehn Ländern mit eigenen Gesellschaften vertreten. Mit der Fußball-EM nehmen 14 weitere in Europa die Arbeit auf, samt Online-Shops in den jeweiligen Landessprachen sowie mit lokalen Bezahlsystemen in der jeweiligen Währung. „Die Erweiterung des Vertriebsgebiets um 14 Länder ist für das Familienunternehmen ein Meilenstein“, sagt der Sprecher. Und durch die EM hoffe man, „in den neu erschlossenen Ländern vom Imageeffekt des Mega-Events zu profitieren“.
Es geht bei alledem vor allem um Sichtbarkeit. Mit dem EM-Sponsoring hat Engelbert Strauss etwa das Recht erworben, 612 Ballkinder auszusuchen und auszustatten, die während der Matches den Spielern vom Spielfeldrand aus Bälle zuwerfen. Kinder spielen auch bei Lidl eine Rolle. Der Discounter, der zur Neckarsulmer Schwarz-Gruppe gehört, durfte 1100 Jungen und Mädchen auswählen, die Hand in Hand mit den Mannschaften auf den Platz laufen. Auf den Rängen wiederum werden während des Turniers insgesamt 10 000 Menschen sitzen, die ihre EM-Tickets einem Lidl-Wettbewerb verdanken.
EM-Sponsoring ergebe nur Sinn, wenn es mit PR-Aktionen im Umfeld, vor und während des Turniers begleitet werde, sagen Experten. Beide, Strauss wie Lidl, entfalten viele solcher Aktivitäten. Der Discounter konzentriere seine Aktivitäten keineswegs nur auf den deutschen Heimatmarkt, sagt Marketingleiter Martin Alles. „Lidl ist in 30 europäischen Ländern mit Filialen vertreten. Durch diesen europäischen Rahmen profitieren alle Lidl-Landesgesellschaften von unseren Sponsoringaktivitäten.“ Deswegen stieg der Discounter auch als globaler und nicht nur als nationaler EM-Sponsor ein. Die EM sei „sozusagen ein Heimspiel im doppelten Sinne für Lidl“, sagt Alles. Sie sei „aus Marketinggesichtspunkten attraktiver für uns als beispielsweise die Champions League.“ Mit der EM erreiche Lidl „direkt unsere Kunden“.
Der große Mehrwert, sagen sie in den Lidl-Zentralen Bad Wimpfen und Neckarsulm, liege allerdings auf ganz anderem Gebiet. Der Filialist arbeitet seit geraumer Zeit daran, das allen Discountern per se anheftende Billigheimer-Image loszuwerden und sich als nachhaltig zu profilieren, als Lieferant von gesunder Ernährung und nachhaltigem Lebensstil. Weswegen es zum ersten Mal frisches Obst und Gemüse als Snacks in den Stadien und den Fan-Zonen geben werde, wie eine Sprecherin sagt. Auch die Marketingkampagne in den eigenen Filialen hat Lidl ganz auf dieses Thema abgestellt. Fußball, Sport überhaupt, passe perfekt. Schließlich sei „neben der Ernährung Bewegung ein weiterer wichtiger Bestandteil einer gesunden Lebensweise“, so die Sprecherin.
An sich beruht das Prinzip von Discountern hauptsächlich darauf, die Kosten möglichst niedrig zu halten, um die eigentliche Ware ohne daraus resultierende Aufschläge und damit möglichst billig anzubieten. Lidl geht seit einigen Jahren einen anderen Weg und ist nach und nach immer stärker in Sportsponsoring eingestiegen. Das Unternehmen sponsert die deutsche Handball-Nationalmannschaft und den europäischen Handballverband. Auch im Radsport ist man zunehmend aktiv, unter anderem mit einem eigenen Rennstall und dem Sponsoring der diesjährigen Deutschlandtour. Und beim FC Bayern trinkt man überdies seit geraumer Zeit Mineralwasser aus dem Hause Lidl.