Süddeutsche Zeitung

Enge Verquickung an der Wall Street:Raus aus der Ratingagentur, rein in die Bank

Unabhängigkeit sieht anders aus: Schon seit langem kritisieren Beobachter eine zu enge Verbindung zwischen den Ratingagenturen und den Unternehmen, die sie bewerten. Nun zeigt eine neue Studie, dass viele Mitarbeiter ausgerechnet zu den Firmen wechseln, die vorher von ihrer Agentur benotet wurden.

Warum nicht einfach gegenüber anheuern? Die Hauptquartiere der großen drei Ratingagenturen liegen im Süden Manhattans, wo praktischerweise die Wall Street nicht weit ist. Dass die Nähe von Standard & Poor's, Moody's und Fitch zu Banken, Brokern und Versicherern nicht nur geographischer Natur ist, legen Zahlen der US-Finanzmarktaufsicht SEC nahe: Mehr als hundert Mitarbeiter der Agenturen wechselten in den vergangenen fünf Jahren zu anderen großen Wall-Street-Firmen - Unternehmen, die ihre Agenturen zuvor bewerteten. Die Unabhängigkeit der "großen Drei" steht wieder einmal in Frage.

Von Moody's zu Merrill Lynch, von Standard & Poor's zu Goldman Sachs: Das Wall Street Journal hat die Zahlen ausgewertet und aufgeschlüsselt, von welchen Agenturen Analysten zu welchen Unternehmen gingen. Das Ergebnis: Die Elite bleibt unter sich, zwischen beiden Seiten herrscht ein starker Drehtür-Effekt.

Am beliebtesten sind Banken und Brokerfirmen: Zu ihnen gingen 95 Kreditanalysten, zu Versicherungen nur fünf. Besonders gerne scheinen Analysten von Moody's zu Unternehmen zu wechseln, welche sich von der Agentur bewerten lassen: Ganze 82 der 136 der Seitenwechsler kamen von Moody's, obwohl das Unternehmen weniger Analysten hat als Hauptkonkurrent Standard & Poor's. Die Verteidigung: Man habe nach anderen Kriterien gemeldet als die Konkurrenz. Die Favoriten der Ex-Rater waren die Credit Suisse und Deutsche Bank. Sie warben je sieben Rater an.

Die großen drei Ratingagenturen werden aus zwei unterschiedlichen Gründen kritisiert:

[] Europäische Politiker werfen ihnen vor, mit ihren Abwertungen von Krisenstaaten wie Portugal die Schuldenkrise noch zu verschärfen. Eine Abwertung mache es für diese Länder noch schwieriger, Staatsanleihen zu verkaufen und sich frisches Geld zu leihen, um alte Schulden zu bezahlen. So verlören sie noch mehr Vertrauen, ein Teufelskreis beginne.

[] Die Agenturen bewerten aber nicht nur Staatsanleihen, sondern auch die Kreditwürdigkeit von Unternehmen. Denn auch hier wollen Investoren wissen: Wie wahrscheinlich ist es, mein Geld zurückzubekommen, wenn ich in diese Firma investiere? Für die Antwort auf diese Frage werden die Agenturen meist von den Unternehmen selbst bezahlt. Dass dadurch Interessenkonflikte entstehen, ist ein alter Vorwurf. In der Finanzkrise vor drei Jahren hatten die Agenturen auch wertlose Finanzprodukte sehr lange mit dem Top-Rating Triple-A versehen.

Die neuen Zahlen legen nahe, dass die Verquickungen stärker sind als bisher gedacht. Das Wall Street Journal erklärt, es gebe keinerlei Hinweise, dass die Mitarbeiter der Agenturen ihre künftigen Arbeitgeber in irgendeiner Weise bevorteilt hätten. Der demokratische Abgeordnete Barney Frank hält dagegen: Bei den Banken und Versicherern, welche die Rater zuvor bewertet hätten, würden sie mehr Geld verdienen. "Die Vorstellung, dass Sie ein Unternehmen kritisch bewerten, wenn sie hoffen, von ihm angestellt zu werden, widerspricht dem, was wir über die menschliche Natur wissen." Frank gilt als einer der größten Kritiker der Finanzbranche im Kongress.

Der Abgeordnete ist auch der Grund dafür, dass die Daten überhaupt öffentlich geworden sind: Das nach ihm und einem anderen demokratischen Senator Dodd-Frank-Act genannte Gesetz zur Reform der Wall Street zwingt die Agenturen dazu, Wechsel zu Unternehmen zu melden, die sie bewertet haben.

Den Vorwurf, dass ihre Mitarbeiter diese Konzerne bevorzugen würden, weisen die Ratingagenturen zurück: Nicht einzelne Analysten, sondern Komitees würden die Noten vergeben. Bei Standard & Poor's heißt es, man prüfe schon seit langem die Arbeit von Analysten, wenn sie zu einer bewerteten Firma wechselten.

Innerhalb der Agenturen sollen zudem "Brandschutzmauern" Interessenkonflikte vermeiden. Danach dürfen Angestellte, die mit der Bezahlung durch Kunden zu tun haben, nicht mit jenen über die Arbeit reden, die diese Kunden bewerten.

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