Süddeutsche Zeitung

Energiewende:Wind aus allen Richtungen

Die Förderung von Ökostrom soll reformiert werden. Aber wie? Die Interessen von Anbietern, Kommunen, Bundesländern und Industrie klaffen auseinander. Und Sigmar Gabriel muss eine Lösung finden, mit der alle leben können - einigermaßen.

Von Michael Bauchmüller, Berlin

Seit die Pläne von Sigmar Gabriel für eine Reform der Ökostrom-Förderung auf dem Tisch sind, hagelt es Proteste - aus allen möglichen Richtungen. Der Norden will unbegrenzten Windkraftausbau, der Süden mehr Geld für Biomasse. Die Industrie bangt um Rabatte auf den Strompreis, Solaranlagen fürchten um die Rentabilität. Und der Stromkunde? Die Debatte um die Energiewende durchschaut kaum noch jemand. Ein Klärungsversuch.

Warum muss Ökostrom überhaupt gefördert werden?

Seit 1991 mühen sich Regierungen darum, die Stromerzeugung etwa aus Wind und Sonne zu forcieren. Zum einen macht das unabhängiger von Kohle- oder Gasimporten, zum anderen wäre es ein Fortschritt im Kampf gegen die Erderwärmung. Denn Strom aus Wind und Sonne fließt so gut wie kohlendioxidfrei, ganz im Unterschied zu jenem aus Kohlekraftwerken. Risikoärmer als Atomstrom ist er allemal. Nur waren Ökostrom-Anlagen lange Zeit recht teuer, konnten also nicht mit abgeschriebenen Kraftwerken konkurrieren. Die Förderung sollte dieses Manko ausgleichen.

Wer muss das bezahlen?

Die Förderung wird über eine Umlage abgewickelt. Dazu werden die Kosten der Förderung, im vorigen Jahr rund 19 Milliarden Euro, auf alle Stromkunden umgelegt. Ein durchschnittlicher Haushalt zahlt so derzeit gut 200 Euro im Jahr für die Energiewende. Viele Industriebetriebe genießen Sonderkonditionen: Sie müssen nur eine stark ermäßigte Umlage zahlen.

Warum ist eine Reform nötig?

Die Umlage ist in den vergangenen Jahren rasant gestiegen und damit die Belastung der Stromkunden. Das liegt vor allem an der stark wachsenden Zahl geförderter Anlagen. So hatte eine übermäßig hohe Förderung von Solaranlagen deren Zahl in den Jahren 2010 und 2011 regelrecht explodieren lassen. Auch die Fördersätze für Wind gelten mittlerweile als überhöht - schließlich werden neue Anlagen immer billiger. Gleichzeitig aber gibt es Ärger aus Brüssel: Die EU-Kommission stößt sich insbesondere an den Rabatten für die Industrie. Diese waren unter Schwarz-Gelb noch ausgeweitet worden, allerdings zum Leidwesen der übrigen Stromkunden. Denn die müssen seither entsprechend mehr zahlen.

Was soll mit den Industrie-Rabatten geschehen?

Fest steht jetzt schon: Künftig werden weniger Unternehmen profitieren. Was genau sich ändern soll, lassen aber auch jene Eckpunkte der Reform offen, die Energieminister Gabriel diesen Donnerstag den Länderministern erläuterte. Gabriel will dies offenbar gesondert mit der EU-Kommission aushandeln. Brüssel verlangt eine schärfere Abgrenzung. In den Genuss der Sonderregeln sollen demnach nur jene Unternehmen kommen, die sonst im globalen Wettbewerb nicht bestehen könnten - aber das ist nicht so einfach. Zudem drängt die Zeit: Damit die amtierende Kommission die Reform abnicken kann, müssen sich Berlin und Brüssel bis zum Sommer verständigen. Sonst droht der Totalausfall, denn ohne die Zustimmung aus Brüssel gibt es für die Industrie 2015 gar keinen Rabatt mehr.

Sinkt die Förderung für Ökostrom?

Ja, vor allem beim Wind an Land. Gabriel will die Vergütung um bis zu 20 Prozent senken, vor allem an windstarken Standorten. Zudem wird ein "atmender Deckel" eingeführt: Werden in einem Jahr Windräder mit einer Gesamtleistung von mehr als 2500 Megawatt installiert - das entspricht rund 500 größeren Anlagen -, dann sinkt für spätere Anlagen die Vergütung stärker. Umgekehrt sinkt sie schwächer, wenn die 2500 Megawatt unterschritten werden. Auch die Biomasse soll künftig nur noch sehr begrenzt gefördert werden - und dann vor allem für die kompostierten Abfälle aus der Biotonne. Für alle anderen ändert sich wenig: Die Solarenergie hat bereits ihren eigenen "atmenden Deckel", bei Strom aus Wasser oder Geothermie ändert sich nichts. Bei der Windenergie auf See werden die Ausbauszenarien der Realität angepasst, die Förderung sinkt leicht.

Woran stoßen sich die Länder?

Das hängt von ihrer Lage ab. So stört sich etwa das windreiche Schleswig-Holstein an dem 2500-Megawatt-Deckel. Es ließen sich schließlich noch weit mehr Windräder bauen, erst recht in ein paar Jahren, wenn die Pionieranlagen der Windkraft ihren Dienst einstellen und durch neue, viel größere Anlagen ersetzt werden. Derweil fragen sich Südländer wie Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz, ob Windkraft unter Gabriels Regeln dort überhaupt noch eine Zukunft hat. Bislang wird die Förderung auch an die Güte der Standorte angepasst. Dadurch können sich Windräder sogar in Gegenden ohne viel Wind noch rentabel drehen. Hier will die Koalition nun kürzen. Selbst Bayern, sonst Windrädern gegenüber nicht sehr aufgeschlossen, kämpft dagegen an. Und auch der Biomasse will der Freistaat noch eine Chance geben: Kleinere Anlagen, die viel Gülle verwenden, sollen weiterhin eine Förderung erhalten. Auch müsse es weiter entlohnt werden, wenn die flexiblen Biogas-Kraftwerke in Flautenzeiten einspringen.

Wird die Energiewende so billiger?

Nur bedingt. Zum einen lassen sich die Ökostrom-Zusagen aus der Vergangenheit, gewährt meist über 20 Jahre, nicht mehr zurücknehmen. Dieser Brocken wird erst über die Jahre abschmelzen. Und während die Vergütung für Windparks an Land nun abschmilzt, sind neue Belastungen nicht mehr fern: Der Ausbau der Windenergie im Meer, forciert auch mit Rücksicht auf Werften an Nord- und Ostsee, könnte die Ausgaben wieder steigen lassen. Ein Zuwachs wie in den vergangenen Jahren ist aber erst einmal unwahrscheinlich.

Wie viel muss die Industrie künftig beitragen?

Hier liegt noch am ehesten eine Entlastung für die Stromkunden. Auf zwei Arten konnte die Industrie zuletzt ihren Beitrag zur Energiewende minimieren: Zum einen über die Sonderrabatte bei der Ökostrom-Umlage, an denen sich Brüssel stört. Zum anderen, indem sie zunehmend Strom in eigenen Kraftwerken erzeugt. Rund ein Viertel des deutschen Stromverbrauchs ist so mittlerweile ganz oder teilweise von den Kosten der Energiewende befreit, Kritiker sprechen nicht zu Unrecht von einer "Entsolidarisierung". Beides soll sich nun ändern, das genaue Ausmaß allerdings ist noch unklar. So will Gabriel eine Neuregelung der Rabatte zunächst mit Brüssel besprechen. Der Berliner Thinktank Agora Energiewende hat durchgerechnet, wie viel eine Neuregelung der Privilegien und eine stärkere Belastung des Eigenverbrauchs bringen könnten. Ergebnis: Die EEG-Umlage könnte um 20 Prozent sinken - gut 40 Euro je Haushalt und Jahr.

Was hat die Solarbranche gegen die Belastung des Eigenverbrauchs?

Viele private Haushalte erzeugen mittlerweile ihren eigenen Strom - entweder über Solarzellen oder Minikraftwerke im Keller. Jenseits einer Bagatellgrenze sollen diese Anlagen künftig ebenfalls zur Finanzierung des Ökostroms herangezogen werden. Die Solarbranche fürchtet, dass sich neue Photovoltaik-Anlagen dann nicht mehr rechnen. Auch die - staatlich geförderte - gleichzeitige Erzeugung von Strom und Wärme in effizienten Kraftwerken würde belastet.

Bremst Gabriel die Wende aus?

Unwahrscheinlich. Der vorgeschlagene Korridor für die Windenergie liegt über dem durchschnittlichen Zubau der letzten zehn Jahre. Allerdings könnte es für sogenannte Bürgerwindparks schwerer werden, Projekte durchzufinanzieren. Insgesamt dürften die Pläne eher dazu beitragen, die Wende zu verstetigen. Allerdings ist das auch nur der erste Schritt einer Reform. Wie sich nämlich der Ausbau des Ökostroms regional besser steuern lässt und welcher Mechanismus die Reservekraftwerke für Flautenzeiten sicherstellt, das spart Gabriels Vorschlag bislang aus.

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Quelle:
SZ vom 31.01.2014/uga
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