Süddeutsche Zeitung

Energiewende:Der Bund könnte zum größten deutschen Netzbetreiber werden

Der niederländische Tennet-Konzern ist bereit, sein Stromnetz an den deutschen Staat zu verkaufen - und zwar komplett. Es könnte Teil eines größeren Plans werden.

Von Michael Bauchmüller und Henrike Roßbach

Die Leitungen reichen von Flensburg bis Oberammergau, sie verbinden Windparks in der Nordsee mit der Zugspitze - und liegen möglichweise bald in den Händen des Bundes. Denn der könnte demnächst eines der vier großen deutschen Stromnetze übernehmen, und zwar komplett. Man beabsichtige, so hat das die niederländische Tennet-Holding am Freitag mitgeteilt, "Gespräche mit der deutschen Regierung aufzunehmen, um die Möglichkeit eines vollständigen Verkaufs der deutschen Aktivitäten (...) auszuloten". Die Chancen stehen gar nicht schlecht, dass es so kommt. "Wir begrüßen das", heißt es am Freitag aus dem Wirtschaftsministerium. Gespräche dazu laufen schon seit Monaten, entsprechende Überlegungen gibt es schon seit Jahren.

2010 hatten die Niederländer das Netz des Eon-Konzerns gekauft. In den Jahren darauf erwies es sich zunehmend als die zentrale Achse der Energiewende. Nicht nur schloss Tennet zahlreiche Windparks in der Nordsee an, auch zwei der großen Stromautobahnen, die den Windstrom nach Süden abtransportieren sollen, laufen durch das Netzgebiet des Konzerns: Suedlink und Suedostlink. Beide versprechen dereinst gute Renditen aus dem Stromtransport. Fürs erste aber braucht es jede Menge Kapital - zum Leidwesen der niederländischen Regierung. Denn Tennet ist ein Staatskonzern, und Eigenkapital will Den Haag seit einiger Zeit lieber für das eigene Stromnetz aufbringen, Renditen hin oder her.

In Deutschland dagegen könnte der Deal Teil eines größeren Plans werden. In vier große Übertragungsnetze teilt sich das Land, neben dem von Tennet gibt es im Westen das von Amprion, im Osten das von 50 Hertz und im Südwesten jenes von TransnetBW. Schon jetzt hält der Bund über die Staatsbank KfW 20 Prozent am 50Hertz-Netz - die alte Bundesregierung kam durch den Kauf chinesischen Investoren zuvor. Derzeit laufen Gespräche über eine Beteiligung der KfW am Netz von TransnetBW: Die Bank hat ein Vorkaufsrecht für knapp ein Viertel der Anteile. Alles deutet darauf hin, dass der Bund zum größten deutschen Netzbetreiber wird.

Verbraucherschützer reagieren zurückhaltend

Gründe dafür gäbe es. "Der Netzausbau hakt an so vielen Stellen, dass ein Staatseinstieg zumindest nachvollziehbar wäre", sagt der Ökonom Achim Wambach, Präsident des Mannheimer Leibniz-Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung. Wettbewerbsverzerrungen seien jedenfalls nicht zu befürchten, schließlich handelt es sich bei den Übertragungsnetzen ohnehin um Monopole, die nicht untereinander im Wettbewerb stehen. Reguliert werden sie von der Bundesnetzagentur. Und auch Schleswig-Holsteins Energiewende-Minister Tobias Goldschmidt (Grüne) kann dem Tennet-Kauf einiges abgewinnen. Dies könne helfen "die notwendige Dynamik beim Netzausbau dauerhaft sicherzustellen". Allerdings brauche es dafür "ordentlich finanzielle Schlagkraft". Das Bundeswirtschaftsministerium verweist ebenfalls auf die große Bedeutung des raschen Netzausbaus für die Energiewende.

Allerdings sind nicht alle gleichermaßen begeistert von den Stromnetz-Ambitionen. Aus Kreisen des FDP-geführten Finanzministeriums heißt es, eine staatliche Netzgesellschaft sei "kritisch zu sehen". Im Zweifel habe eine solche Konstruktion "mehr Nach- als Vorteile". Deshalb könne es nur um Übergangslösungen gehen.

Auch der FDP-Haushälter Otto Fricke hat Bauchschmerzen. "Ich kann nachvollziehen, dass man beim Thema Energie im Sinne der nationalen Sicherheit über eine maßgebliche Beteiligung des Staates nachdenkt", sagt er der Süddeutschen Zeitung. "Bei einem Gesamtverkauf hätte ich aber erhebliche Zweifel. Jedenfalls wenn es um den Kauf von einem befreundeten EU-Staat geht." Fricke, der Vorsitzender der Deutsch-Niederländischen Parlamentariergruppe ist, missfällt die Vorstellung, dass der deutsche Staat dann Gesetzgeber, Eigentümer und Regulierer auf dem Energiemarkt wäre. Lieber wäre ihm ein bilaterales Kooperationsabkommen zur Energiesicherheit. Auch Verbraucherschützer reagieren zurückhaltend. Es komme weniger darauf an, wer das Stromnetz betreibe, sagt Thomas Engelke, Energieexperte beim Verbraucherzentrale Bundesverband. "Entscheidend ist, dass die für die Energiewende notwendigen Investitionen getätigt werden."

Die schwierigste Aufgabe liegt nun vor den Beamten, die den Deal aushandeln sollen. Denn: Was ist ein Netz quer durch die Republik wert? Der Regierung in Den Haag sitzt zudem die Opposition im Nacken, die Einblick in die Gespräche verlangt. Frühestens Mitte März werde man klarer sehen, teilte das niederländische Finanzministerium den Abgeordneten kürzlich mit. Zuviel dürfe man aber nicht ausplaudern, das beschädige die Verhandlungsposition. Schließlich wolle man "Bedingungen, die für den niederländischen Staat akzeptabel sind".

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