Energiewende:Strom in Nord- und Süddeutschland könnte unterschiedlich teuer werden

Höchstspannungs-Erdkabel

Auf einer Baustelle werden Höchstspannungskabel verlegt, um Strom von Norden nach Süden zu bringen.

(Foto: Roland Weihrauch/dpa)
  • In Deutschland wird mittlerweile viel Strom mit Windenergie erzeugt. Doch der Transport nach Süden ist nach dem Widerstand Bayerns gegen oberirdische Stromleitungen problematisch.
  • Das könnte bedeuten, dass sich künftig zwei eigenständige Strommärkte herausbilden.

Von Michael Bauchmüller, Berlin

Alles war genau getaktet. Im Jahr 2022, wenn im Süden Deutschlands die letzten Atomkraftwerke vom Netz gehen, sollten die neuen Stromleitungen fertig sein. "SuedLink" und wenig später auch "SüdOstLink" sollten dann Windstrom quasi nonstop nach Bayern transportieren. Doch dort regte sich Widerstand gegen die Leitungen, Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer setzte sich an die Spitze der Bewegung - und statt hässlicher Freileitungen sollen nun unterirdische Kabel nach Süden verlaufen. Das aber kostet nicht nur Geld, sondern auch Zeit. Genauer gesagt: drei Jahre, mindestens.

So jedenfalls steht es in einem Bericht, den die Bundesnetzagentur ohne viel Aufhebens im Internet veröffentlicht hat (PDF). Reihenweise werden sich demnach die neuen Stromleitungen verzögern. Der Korridor A, eine Leitung von Emden ins nordrhein-westfälische Osterath, soll nun nicht 2022, sondern 2025 fertig werden. Die Leitung von Osterath ins baden-württembergische Philippsburg braucht zwei Jahre mehr, bis 2021. Und eben auch die beiden großen Trassen Richtung Bayern werden nun frühestens 2025 fertig.

Die eine, SuedLink, soll in zwei Strängen vom schleswig-holsteinischen Brunsbüttel mit einem Abzweig ins unterfränkische Grafenrheinfeld nach Baden-Württemberg führen, 770 Kilometer weit. Die andere, SuedOstLink, soll Strom über 580 Kilometer von Sachsen-Anhalt nach Niederbayern bringen, wo bisher das Atomkraftwerk Isar 2 läuft. Alle diese Leitungen eint eins: Sie sollen Strom möglichst ohne große Widerstände transportieren, per Gleichstrom-Technik. Es wären wahre Stromautobahnen.

Je schneller die Leitungen fertig sind, desto weniger teure Eingriffe werden nötig

Doch wo es die Autobahnen noch nicht gibt, droht Stau. "Wir geraten immer mehr in eine Situation, in der wir Energie nicht mehr transportieren können", sagt Lex Hartman, Geschäftsführer beim größten deutschen Stromnetzbetreiber Tennet. Die Folge: Immer öfter müssen die Netzfirmen eingreifen. Sie müssen Windparks drosseln oder dafür sorgen, dass Kraftwerke kurzfristig anlaufen, um das Netz zu stabilisieren. Auf eine Milliarde Euro summieren sich die Kosten dieser Eingriffe im Jahr. Auf Dauer, so warnt die Bundesnetzagentur, könnten daraus auch jährlich vier Milliarden werden; eine Zahl freilich, die sich schwer überschlagen und noch schwerer überprüfen lässt. Die Botschaft aber ist klar: Je schneller die Leitungen fertig sind, desto weniger Eingriffe wären nötig.

Doch die Planänderung des vorigen Jahres hat einiges verkompliziert. Seinerzeit verständigte sich die Koalition darauf, die Stromautobahnen vorzugsweise unter der Erde zu verlegen. "Das verlangt umfangreiche Neuplanungen", heißt es nun bei der Bundesnetzagentur. "Das ist der wesentliche Grund für die Verzögerung." Ähnlich argumentiert Tennet.

Belastung für das Miteinander mit Österreich

Ausgerechnet für Süddeutschland könnte diese Verzögerung unangenehme Folgen haben. Denn wenn ausreichend starke Verbindungen zwischen Nord und Süd fehlen, könnten sich auch zwei eigenständige Strommärkte herausbilden: Der eine, reich an Windstrom, würde für den Norden gelten, der andere für den Süden. Die Folgen wären klar: Norddeutsche Firmen und Verbraucher hätten künftig günstigeren Strom als die im Süden. Implizit räumt die Bundesregierung solche Unterschiede derzeit sogar im reformierten Ökostrom-Gesetz EEG ein - mit eigenen "Netzengpassgebieten", in denen der Bau neuer Windräder gedrosselt werden soll. "Wenn wir den Netzausbau nicht hinkriegen, könnten am Ende Preiszonen die einzige Lösung sein", sagt Tennet-Mann Hartman.

Auch das bisherige Miteinander mit dem Nachbarn Österreich könnte sich eintrüben. Bisher verbindet beide Länder eine einheitliche Strompreiszone. Doch schon seit einiger Zeit schwelt ein Streit, ob zwischen beiden Ländern wieder ein Engpass errichtet werden muss. Die Folge wäre ein sinkender Aufwand für die Steuerung des deutschen Netzes, inklusive jener Reservekraftwerke, die für Wintertage ohne viel Sonnen- oder Windstrom vorgehalten werden müssen. Für Österreich jedoch würde diese Entscheidung steigende Stromkosten bedeuten - entsprechend groß ist die Gegenwehr. Derzeit befasst sich die gemeinsame Agentur der europäischen Regulierer, ACER, mit der heiklen Causa.

Allerdings gehen die Meinungen über die Tragweite der Verzögerung weit auseinander. So untersuchte der Berliner Thinktank Agora Energiewende vor einiger Zeit die Effekte eines verzögerten Netzausbaus - und zwar verzögert bis 2033. Ergebnis: Zwar steigen dadurch die Kosten für die Regelung des Netzes - allerdings fallen auch die Baukosten später an. Beides wiege sich in etwa auf. "Langfristig ist der Netzausbau zwar wichtig", sagt Agora-Chef Patrick Graichen. "Aber ein verzögerter Bau der Trassen ist nicht kritisch." Auf die Fertigstellung von SuedLink jedenfalls müsse die Energiewende nicht warten.

Die Kosten dürften ohnehin weit höher ausfallen als bislang gedacht. Für SuedLink etwa, geplant ursprünglich für drei Milliarden Euro, gehe man jetzt von bis zu zehn Milliarden Euro an Investitionen aus, heißt es bei Tennet. Allerdings setze auch das voraus, dass Verfahren weiter beschleunigt werden. Dann lasse sich 2025 halten, sagt Hartman - "wenn alles gut läuft."

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