Energiewende:Restlaufzeiten

Kohlekraftwerk Mehrum

Einfach ist der Übergang von Kohle zu Windkraft gewiss nicht.

(Foto: Julian Stratenschulte/dpa)

Eine Denkfabrik in Berlin hat einen Vorschlag erarbeitet, wie der Rückzug aus der Kohlekraft aussehen könnte. Als Vorbild dient dabei der Atomausstieg.

Von Michael Bauchmüller, Berlin

Mit der Stilllegung alter Kraftwerke haben die Deutschen einige Erfahrung. Als erstes Land der Erde schloss im Jahr 2000 eine Bundesregierung einen "Atomkonsens", einen Ausstiegsplan für die deutschen Kernkraftwerke. Die Betreiber erhielten Reststrommengen für 32 Jahre, die sie zwischen den AKWs handeln durften, samt der Zusage der rot-grünen Bundesregierung, dass sie von weiteren Einschnitten verschont blieben. Nie war das Ende einer Technologie so friedlich vonstatten gegangen. Zwar versuchte sich Schwarz-gelb zehn Jahre später noch einmal an einer Verlängerung des Ausstiegsplans, doch Fukushima gab den Meilern den letzten Rest. Seither ist Ruhe.

So ähnlich könnte es nun auch bei der Kohle laufen, jedenfalls nach Auffassung des Berliner Thinktanks Agora Energiewende. Diese Woche will er ein "Konzept zur schrittweisen Dekarbonisierung des deutschen Stromsektors" vorstellen, das Papier liegt der Süddeutschen Zeitung vor. Das Vorbild: der deutsche Atomkonsens. "Wenn wir jetzt nicht offen über die Zukunft der Kohle reden, droht uns die gleiche jahrzehntelange Debatte wie einst bei der Atomkraft", sagt Patrick Graichen, der Direktor der Denkfabrik. "Deutschland kann aber nicht gleichzeitig Energiewende- und Kohleland sein."

In elf Punkten skizziert Agora, wie so ein Kohlekonsens funktionieren könnte. Ausgangspunkt soll ein "runder Tisch nationaler Kohlekonsens" sein. Sein Ergebnis soll, wie einst beim Atomkonsens, in ein Gesetz münden - über den schrittweisen Ausstieg aus Braun- und Steinkohle. Neue Kraftwerke dürfen nicht mehr gebaut werden, auch mit dem Aufschluss neuer Tagebaue wäre es vorbei - was vor allem Braunkohle-Pläne in der Lausitz beträfe. Rund die Hälfte der förderbaren Braunkohle bliebe so im Boden, ein Strukturwandelfonds des Bundes soll den betroffenen Regionen helfen, wieder auf die Beine zu kommen. Daneben sollen die Betreiber der Tagebaue - allen voran der Essener RWE-Konzern und die ostdeutsche Vattenfall - fortan Teile ihrer Gewinne in eine Stiftung einzahlen, die dereinst die Rekultivierung der Tagebau-Regionen zahlt; eine Frage, die der Atomkonsens einst ausgeklammert hatte.

Ähnlich der Vereinbarung mit den Atomkonzernen soll es auch diesmal Restlaufzeiten geben. Sie würden dafür sorgen, dass jüngere Kraftwerke noch bis 2040 laufen können, ältere dagegen rasch vom Netz gehen. Allerdings dürfen die Betreiber Laufzeiten von einem Kraftwerk auf ein anderes übertragen - etwa, um die Riesenbagger ihrer Braunkohlereviere besser auszulasten. Dadurch wäre es möglich, alle Kraftwerke rund um einen Tagebau gleichzeitig stillzulegen - indem die jüngeren Meiler den älteren ein paar Jahre abgeben. Nach Berechnungen von Agora hätte ein solcher Ausstieg weder große Auswirkungen auf die Strompreise, noch auf die Versorgungssicherheit. So werde die Kilowattstunde ohne Kohle im Jahr 2040 nur zwischen 0,3 und 0,5 Cent teurer sein als mit Kohle. Und weiterhin werde mehr Strom exportiert als importiert. Eine regelmäßige Überprüfung der Lage schlagen die Agora-Leute dennoch vor. Man weiß ja nie.

Der Vorschlag kommt nicht von ungefähr jetzt. Durch die Klimakonferenz von Paris gerät die Kohle auch hierzulande verschärft in die Defensive, und bis zum Sommer will Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD) einen langfristigen Klimaschutzplan vorlegen. Es soll zeigen, wie ein klimafreundliches Deutschland bis 2050 aussehen kann. Ein solcher Plan werde "ohne klare Aussagen zur Verstromung von fossilen Energieträgern" nicht auskommen, hat die Ministerin angekündigt - weswegen die Industrie schon Alarm schlägt. "Wir brauchen keine technologiespezifischen politischen Sonderpläne", warnte kürzlich BDI-Präsident Ulrich Grillo. Deutschland laufe sonst Gefahr, "vom Vorreiter zum Einsiedler" zu werden.

Auch Bundesenergieminister Sigmar Gabriel (SPD), der vor einem Jahr noch selbst einen Kohlekonsens gefordert hatte, ist bei der Frage deutlich ruhiger geworden. Ihm sitzt noch der Ärger in den Knochen, den ihm Pläne für eine neue Klimaabgabe für ältere Braunkohlemeiler eingebrockt hatte. Am Ende wurde aus der Abgabe eine Stilllegungsprämie. Wollte man alle Kohlekraftwerke so stilllegen, so hat Agora nun ausgerechnet, würde das 18 Milliarden Euro kosten.

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