Energiewende nach der Wahl:Die Atombranche wehrt sich

Nach der Wahl kommt der politische Druck - doch die Stromkonzerne machen deutlich, dass sie nicht kampflos aufgeben werden: "Ab jetzt haben Juristen das Sagen", kündigt ein führender Atommanager an.

Markus Balser und Michael Bauchmüller

Die Tübinger Altstadt ist eigentlich kein Ort für Revolten. Vergangene Woche aber krachte es mächtig in der beschaulichen Hirschgasse. Pflastersteine flogen in die Schaufensterscheibe des EnBW-Verkaufsraums, an der Fassade landete ein gelber Farbbeutel. Die Täter flüchteten per Fahrrad. Von Atommafia war im Bekennerschreiben die Rede.

Sieben Atomkraftwerke werden voruebergehend stillgelegt

Düstere Stimmung bei den deutschen Kernkraftwerksbetreibern: Sie befürchten, dass die ältesten Meiler nicht nur während des Moratoriums abgeschaltet bleiben, sondern für immer vom Netz gehen müssen. Aus Sicht der Manager könnte es sogar noch schlimmer kommen.

(Foto: dapd)

Seit 25 Jahren ist der Chef des Atomkonzerns EnBW, Hans-Peter Villis, in der Energiebranche. So etwas habe er noch nie erlebt, klagt Villis. Man wolle den Laden so schnell wie möglich wieder herrichten, so der Konzern. Doch immer mehr führende Atommanager in Deutschland fragen sich, was eigentlich noch zu retten ist, seit die Atomkatastrophe aus dem Norden Japans mit großer Wucht in Deutschland angekommen ist.

Nach dem politischen Beben in Baden-Württemberg befürchten die Chef-Etagen der vier AKW-Betreiber RWE, EnBW, Vattenfall und Eon, dass die Abkehr von der einst so einflussreichen Branche drastischer ausfallen könnte als gedacht. "Es wird nicht beim Moratorium bleiben", sagt ein Spitzenmanager am Montag. Die Betreiber der 17 Anlagen in Deutschland rechnen damit, dass die Politik bis zu acht Meiler aus dem Verkehr zieht. Doch sie befürchten, dass es noch schlimmer kommt zwischen Krümmel und Neckarwestheim.

Zum Gesicht der Wende wird für die Konzerne Winfried Kretschmann. Der designierte grüne Ministerpräsident Baden-Württembergs machte schon am Morgen nach dem Wahlsieg klar, wo er seine wichtigsten Aufgaben sieht: Es gelte jetzt den Umbau des Energiekonzerns EnBW, der fast zur Hälfte im Besitz des Landes ist, in Richtung regenerative Energien voranzutreiben.

Noch bezieht der Energieriese 51 Prozent seines Stroms aus den eigenen Kernkraftwerken. Bei den erneuerbaren Energien sind es nur zehn - zu wenig für den neuen Eigentümer. Den Aufsichtsrat will die grün-rote Regierung so schnell wie möglich mit eigenen Leuten besetzen. Es soll zügig vorangehen mit der Energiewende. "Wir werden uns auf eine neue Situation einstellen müssen", heißt es in der EnBW-Spitze. Allerdings habe auch die neue Regierung wohl kaum Interesse, den Konzern zu zerlegen, so ein Spitzenmanager.

Der Druck in der Politik wächst

Doch nach dem schwarz-gelben Wahldebakel wächst in der Politik der Druck, sich als Vorkämpfer des Atomausstiegs zu profilieren. "Jetzt gilt es zu zeigen, dass man schnell aus der Kernenergie raus kann und dass die Energiewende machbar ist", sagte etwa Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU). Man müsse das Thema Energieversorgung dafür "aus der politischen Kampfzone herausholen". Und CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe forderte Konsequenzen aus der Wahlniederlage. Es sei "ganz unwahrscheinlich, dass die vorläufig abgeschalteten Alt-AKW nach Ablauf des dreimonatigen Moratoriums noch einmal ans Netz gehen."

"Ab jetzt haben Juristen das Sagen"

CSU-Chef Horst Seehofer warnte seine Partei vor dem erneuten Einknicken in der Atomfrage. "Die Menschen werden sehr genau darauf achten, dass jetzt den Worten auch die Taten folgen", sagte er vor einer Sitzung des CSU-Präsidiums in München. Und selbst die FDP, noch im Herbst eine der treibenden Kräfte der Laufzeitverlängerung, rückt nun davon ab: "Das war eine Abstimmung über die Zukunft der Atomkraft", sagte Parteichef Guido Westerwelle und schickte vielsagend hinterher: "Wir haben verstanden."

Auch in den Konzernzentralen in Düsseldorf, Essen, Berlin und Karlsruhe beginnt man zu verstehen. Doch von Einlenken keine Spur. "Ab jetzt haben Juristen das Sagen", kündigt ein führender Atommanager an. Innerhalb von drei Wochen würden die Vorstände von Eon und RWE über Widersprüche und Schadenersatzforderungen gegen die Zwangsabschaltung entscheiden, verlautet aus den Konzernen. Man könne gar nicht anders, als die juristisch wackligen Stilllegungsbescheide anzufechten.

Die Politik müsste zuschauen

Schon in dieser Woche beginnen brisante Gespräche über die Zukunft weiterer Atomkraftwerke in Deutschland. Am Freitag will Schleswig-Holsteins Regierungschef Peter Harry Carstensen (CDU) mit den Eigentümern Eon und Vattenfall über die Zukunft des Reaktors in Krümmel sprechen.

Krisengespräche der AKW-Betreiber untereinander sollen folgen. Denn kampflos wollen sie nicht aufgeben. Längst wird in der Branche ein bizarres Szenario durchgespielt. Da die Anordnung der Länder für die Zwangspause der sieben betroffenen AKW keinen Sofortvollzug vorsah, ließen sich die Meiler wieder hochfahren, sobald Klagen eingereicht sind. Die Politik müsste zuschauen.

Die Frage ist nur, ob die Konzerne diesen Affront tatsächlich wagen wollen. Die Fronten verhärten sich, denn jenseits des Drucks, der nun auf der schwarz-gelben Atompolitik lastet, stehen die Betreiber auch faktisch vor einer neuen Sachlage: Erstmals seit langem hat eine Regierung aus Grünen und SPD wieder die Atomaufsicht in einem Betreiberland inne. Bayern, Baden-Württemberg, Hessen, Niedersachsen und Schleswig-Holstein - überall war die Atomaufsicht zuletzt in den Händen schwarz-gelber Regierungen. Nun dürften bald Grüne das Stuttgarter Umweltressort übernehmen. Und die Bundesregierung selbst hat dafür gesorgt, dass dies weitreichende Konsequenzen haben könnte.

Denn mit den jüngsten Novellen des Atomgesetzes wurden nicht nur Laufzeiten verlängert, es entstand auch ein neuer Sicherheitsbegriff: die "weitere Vorsorge". Demnach sollen die Betreiber einen "nicht nur geringfügigen Beitrag zur weiteren Vorsorge gegen Risiken für die Allgemeinheit" leisten. Das alles ist schwammig genug, um nichts zu bedeuten - oder aber sehr viel. Die Atomaufsicht in Baden-Württemberg jedenfalls könnte den neuen Passus nutzen, den verbleibenden Meilern umfassende Auflagen aufzubürden. Damit, so die Furcht in den Konzernen, könnten auch neue Meiler unrentabel werden.

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