Süddeutsche Zeitung

Energiewende:Eine Steuer für Strom-Selbstversorger? Das ist absurd!

Lesezeit: 2 min

Für viele Solaranlagen könnte bald eine Abgabe fällig werden. Das ist, als müssten Hobbygärtner Steuern auf ihre Tomaten zahlen.

Kommentar von Jan Willmroth

Eine klug eingerichtete Dachgeschosswohnung kann schön sein, vor allem aber ist sie während der Sommermonate meist warm. Jahr für Jahr erinnert die Sonne Mieter daran, wie viel Strahlungsenergie auf das Dach trifft, wenn sie die Wohnung schon morgens bis zum Schweißbad aufheizt. Man spürt dann, welches Potenzial es in deutschen Städten gibt, wie viele Dächer und damit Dachgeschosswohnungen die Sonne erhitzt, ohne die frei werdende Energie klug zu nutzen. Dabei ist das längst möglich: Photovoltaikanlagen sind inzwischen so günstig zu haben, dass sie sich selbst ohne Förderung auf Häusern in Ballungsräumen rentieren und die Mieter direkt mit vergünstigtem Strom versorgen können. So geht Energiewende.

Sollte sich das Bundesfinanzministerium mit seinem jetzt bekannt gewordenen Gesetzentwurf durchsetzen, wären solche Geschäftsmodelle größtenteils zerstört. Wer mehr als 20 Megawattstunden selbst verbraucht, so sieht es der Entwurf vor, soll künftig auch für diese Elektrizität die Stromsteuer von 2,05 Cent pro Kilowattstunde entrichten. Zwar sollen Besitzer von Einfamilienhäusern verschont bleiben. Wohneinheiten mit mehr als sechs Durchschnittshaushalten aber wären schon betroffen. Die Begründung mutet wie ein argumentativer Schutzwall an: Man setze damit nur "Vorgaben aus Brüssel" um, sagt das Ministerium.

Gemessen an den Ökostrom-Ambitionen der Bundesregierung ist der Vorschlag sogar geradezu absurd. Er wirkt in etwa so, als überlege man künftig von Hobbygärtnern Gemüsesteuern zu verlangen, wenn sie ihr Gurken, Karotten und Salate selbst züchten und verzehren, anstatt sich ins Auto zu setzen und in sie im Supermarkt zu kaufen.

Die Steuerfreiheit ist logisch - und ein Anreiz

Nicht nur würde das selbstangebaute Gemüse besteuert - die komplette Dokumentationspflicht läge beim Gärtner. Damit noch nicht genug, hätte die Regierung in diesem Gedankenspiel vorher noch Ziele für den Ausbau der Selbstversorgung mit Gemüse festgelegt und Fördergelder verteilt, um dieses Ziel zu erreichen. Darunter auch Steuererleichterungen, mit denen viele erst zu Kleingärtnern geworden wären.

Die erste rot-grüne Bundesregierung hatte die Stromsteuer 1999 als Teil der Ökosteuer-Reform eingeführt. Diese sollte Energie verteuern und Arbeit günstiger machen. Im übertragenen Sinn wurde die Stromsteuer also einst eingeführt, um die Energiewende zu finanzieren. Dazu gehört auch die Ausnahmeregelung im Stromsteuergesetz, wonach selbstverbrauchter Strom bis zu einer bestimmten Grenze steuerfrei ist. Diese Ausnahme ist nicht nur logisch, sie bedeutet auch einen Anreiz für Immobilienbesitzer, zumindest einen Teil ihres erzeugten Stroms selbst zu verbrauchen und so einen kleinen Beitrag zu einem der größten wirtschaftspolitischen Projekte der kommenden Jahrzehnte zu leisten.

In einem Punkt ist der Entwurf deshalb wirklich gemein: Die Steuer soll auch rückwirkend fällig werden. Wahnwitzig. Da entscheiden sich ein Wohnungsbauunternehmen oder eine Supermarktkette, eine Solaranlage zu bauen, auf Grundlage einer ohnehin knappen Wirtschaftlichkeitsberechnung, die Anlage lohnt sich erst nach vielen Jahren. Ein Supermarkt versorgt seine Neonröhren, Pfandautomaten und Kassensysteme zumindest teilweise autark; ein Vermieter liefert seinen Mietern vergünstigten Strom, der vom eigenen Dach direkt zu ihnen in die Steckdose fließt. Und dann kommt die Bundesregierung und macht diese Kalkulation mit einem Schlag zunichte, sogar rückwirkend? Ob Letzteres überhaupt möglich wäre, ob also nicht Bestandsschutz gälte, ist ohnehin fraglich. Aber allein die Idee ist eine Zumutung.

Die Vorgaben aus Brüssel reichen nicht als Begründung

Zumal die Frage nach dem Warum unbeantwortet bleibt. Weshalb das Finanzministerium gerade jetzt einen solchen Vorschlag öffentlich macht, bleibt unklar. Die vermeintlichen Vorgaben aus Brüssel reichen nicht als Begründung: Es ist überhaupt nicht sicher, ob die Steuerbefreiung für Selbstverbraucher eine unerlaubte Beihilfe darstellt. Warum würden denn zum Beispiel Eigenheimbesitzer ausgenommen, wenn die Vorgaben aus Brüssel so streng sind? In der Begründung heißt es, die Grenze von 20 Megawattstunden werde "aus Gründen der Verwaltungsökonomie" eingeführt, aus Kostengründen also.

Vielleicht sollte man aus Kostengründen lieber die ganze Reform sein lassen. Der Erfüllungsaufwand für sämtliche geplante Änderungen am Stromsteuergesetz übersteigt die voraussichtlichen Steuereinnahmen nämlich deutlich. Es wäre eine Reform, die erstens unvernünftig ist und zweitens auch noch teuer.

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Quelle:
SZ vom 25.05.2016
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